Opak. Matthias Falke
hinaus, wie es flimmernd die Sterne überstreicht und gelassen seine opaleszierende Bahn beschreibt. Das Einzige, was ich über das Opak zu wissen glaube, ist, dass wir niemals herausbekommen werden, was es ist. Es ist die Kristallisation unseres Unvermögens. Natürlich können wir zu spekulieren anfangen und rastlose Hypothesen entwerfen. Vielleicht ist es ein eigenes Universum, eine Welt, die geschäftig und friedvoll unseren Kosmos durchquert. Oder ein Elementarteilchen, das durch eine Verwerfung des Quantenraumes in eine falsche Dimension geraten ist, ein Elektron, das versehentlich zur Größe eines Dorfes aufgeschwollen ist. Ich weiß es nicht und ich weiß, dass ich es niemals wissen werde. Anscheinend legst du keinen Wert auf eine weitere Partie?«
Die Dorset hatte den Rand ihres Operationsradius erreicht. Die Abschirmung lief auf 150 %, die Klimaautomatik hatte die Leistungsgrenze überschritten. Wir näherten uns der Merkurbahn, als Theresa in einem lakonischen Manöver die Bugraketen zündete und so eine Geschwindigkeitsverzögerung bewirkte. Das Schiff fiel hinter das Opak zurück, das unbeeindruckt der Sonne entgegenzog. Die Distanz nahm rasch zu, vor allem nachdem wir die Spur des Objektes, dem wir einige Tage noch mit zunehmendem Abstand gefolgt waren, endgültig verließen, den Merkur umrundeten und eine Beschleunigungsphase einleiteten, um zunächst auf einen Venusorbit zurückzugehen. Lethargische Wortlosigkeit herrschte an Bord, als wir begriffen, dass die Akten geschlossen waren. Tausende von Ordnern, gefüllt mit unbeflecktem Papier. Eine Woche nach dem »Abkoppeln« kam die Meldung von Luna III. Das Opak war verschwunden. Es hatte, kurz bevor es die äußere Sonnenkorona berührt hätte, aufgehört zu existieren. Noch einmal bemächtigte sich eine gewisse Aufregung der Behörden und auch der Besatzung der Dorset. Aber an der Tatsache gab es nichts zu rütteln. Das Objekt hatte sich, ohne dies durch die geringfügigste Veränderung seines Verhaltens anzukündigen, in nichts aufgelöst. Es war ins Nichts eingegangen, dem es nach Meinung vieler Kommentatoren, denen sich Groenewold und Theresa und schließlich auch Commander Carlssen anschlossen, entstammte und dem es auch während seines Daseins im Grunde angehört hatte. Lediglich Silesio blieb bei seinem spröden Skeptizismus und meinte, das erkläre immer noch nicht, wie sich das Nichts zu einem Etwas habe verpuppen können. Die Dorset bog mürbe in eine exzentrische Umlaufbahn des zweiten Planeten ein, gestrandet nach einer vielmonatigen Reise durch die schweigenden Gezeiten der Sinnlosigkeit.
Bordcomputer des Explorers Dorset I; Logbuch des Kommandanten:
Wir haben das innere System verlassen und durchschneiden die Bahn des Saturn an einer Stelle, die der bereifte Planet in einem Jahr innehaben wird. Die Leibniz, nach wie vor im Uranusorbit geparkt, wo sie für eine neue interstellare Mission überholt wird, steht auf einer Position von 150°, mehrere Milliarden Kilometer entfernt. Die Erde befindet sich gegenwärtig hinter der Sonne, was den Funkverkehr entschieden verspärlicht. Die Kommunikation wird über die Relais der Marsbasen aufrechterhalten. Aber die zuständigen Behörden von Luna III scheinen seit Monaten das Interesse für uns eingebüßt und uns dem Vergessen überantwortet zu haben. Am besten beginne ich damit, die Ereignisse nachzutragen, die seit unserem Abkoppeln von dem sonderbaren und bis zuletzt unerklärlichen Objekt, genannt »Das Opak«, und dessen bald darauf erfolgendem Verschwinden vorgefallen sind.
Wir hatten das Objekt, das wir nicht mehr sonnenwärts begleiten konnten, verlassen und die Dorset auf Venushöhe zurückgenommen. Da kein Einsatzplan vorlag und alle übergeordneten Stellen anscheinend die Zuständigkeit für uns verloren hatten, dümpelten wir in einem ausgreifenden Orbit um den weiß-blauen Planeten, dessen Schwefelgewitter und Seen aus kochendem Blei harmlos und jeder Aufmerksamkeit entbehrend unter uns brodelten. Von dem unerwarteten Sichauflösen des rätselhaften Phänomens – das die meisten von uns im Nachhinein für konsequent und beruhigend erklärten – der Beschäftigungslosigkeit anheimgegeben, verbrachten wir mehrere Wochen damit, das lädierte Schiff zu überholen. Vor allem im Drohnendeck gab es unendlich viel zu tun, da wir die meisten der ausgesetzten Robotsonden vor unserem Ablegen in den Hangar zurückbeordert, dort aber zunächst nur notdürftig verstaut hatten. Hier gingen wir nun daran, die kostspieligen und nutzlosen Instrumente zu warten und in angemessener Weise zu vertäuen. Gus fehlte uns, da wir nicht nur seinen Sachverstand kaum ersetzen konnten, sondern vor allem auch seinen zupackenden Trotz entbehrten.
Die Arbeiten näherten sich dem Ende, als wir von Luna III aus dem Behagen geschrillt wurden. Das Opak war jenseits der Sonne, aber auf einer Bahn, die die vor einigen Monaten abgebrochene exakt fortsetzte, wieder aufgetaucht. Offensichtlich hatte es unseren Zentralstern in einer Art von Verpuppungszustand durchquert und sich nun auf einer merkurnahen Position, die spiegelbildlich der Koordinate des Verschwindens entsprach, wieder enttarnt und strebte in ansonsten unverändertem Habitus von der Sonne weg. Es war wohl in einer gewissen Verlegenheit der zentralen Beobachtungsstation begründet, die nicht so recht zu wissen schien, was sie mit uns anfangen sollte, aber man reaktivierte uns und übermittelte einen neuen Marschbefehl, der darauf hinauslief, die Verfolgung des Phänomens aufzunehmen und die Observierung fortzusetzen.
Da das Opak mittlerweile nicht nur einen Vorsprung von etlichen hundert Millionen Kilometern gewonnen hatte, sondern sich jenseits der Sonne befand, die wir nun nicht mit der gleichen Indolenz durchtunneln konnten, wurde ein aufwendiges Manöver nötig, dessen Berechnung die Erste Offizierin und den Chefprogrammierer mehrere Tage kostete. Die Dorset musste die Sonne umrunden und das Objekt, das dann bereits die Marsbahn hinter sich gelassen haben würde, auf einem komplizierten, mehrfach gekrümmten Kurs in einigen Monaten einholen. Es wurde daher beschlossen, das Schiff von der Automatik steuern zu lassen, überwacht von den Stationen Luna II und III, und die Crew dem Tiefschlaf zu überantworten.
Nachdem die erforderlichen Sequenzen eingegeben waren, gaben wir mehrere Minuten vollen Schub aus dem Photonentriebwerk und nahmen Kurs auf die Erde, die wir in großem Abstand umrunden würden. Dann war eine Rückkehr zur Venus vorgesehen, wo uns ein neuerlicher Swing-by auf eine hyperbolische Bahn um die Sonne und zum Rendezvous jenseits der Marsbahn katapultieren würde.
Die Zweite Offizierin suchte unmittelbar nach der Startphase die sensorielle Koje auf. Einen Tag später zog sich die Erste Offizierin zum Tiefschlaf zurück, und schließlich ließ sich auch der Kommandant auf 27 °C herunterkühlen. Das Schiff war auf Kurs; der Chefprogrammierer, das vierte noch lebende Besatzungsmitglied, blieb auf eigenen Wunsch wach. In stoischem Schweigen beschrieb die Dorset die ineinander verschachtelten Kegelschnitte, die es in streng ballistischen Webmustern hin und her warfen, beschleunigten und dem Bestimmungsort zudirigierten.
Die Weckautomatik kippte mich mit dem Zartgefühl eines Müllkutschers in die Realität zurück. Ich kam mit der vertrauten Unbeholfenheit zu mir. Ich betrachtete die Anzeige vor meiner vertrockneten Nase und stellte fest, dass ich fast zwei Wochen vor dem programmierten Termin aus dem Tiefschlaf zurückgeholt worden war. Nachdem ich meinen Personalcode auf die Innenseite des Sichtfensters getippt hatte, öffnete sich der Sargdeckel, wie die Kojenklappe im Jargon genannt wurde, und ich klomm heraus. Niemand erschien, um mir bei der Reanimation meiner unterkühlten Knochen zu helfen, dennoch brauchte ich eine Weile, um mich zu wundern.
»Warum wurde ich geweckt?«
Im gleichen Augenblick wusste ich, was passiert war. Es gab nur eine Möglichkeit, nur eine logische Erklärung.
»Mortales Ereignis in Sektor C«, verkündete die Maschinenstimme in schmeichelhafter Kälte.
Ich zog den komischen Schlafanzug aus, in dem man während des Schlafes vor sich hin rottet, und wankte in den Wohntrakt hinaus. Im Kopf war ich absolut klar und voll trauriger Nüchternheit.
»Wer hat dich diesen absurden und geschmacklosen Ausdruck gelehrt?«
Ich erkundigte mich ohne Neugier, bekam aber prompt und ohne erkennbare Irritation den Namen eines besonders unsympathischen Systemingenieurs der Leibniz geliefert.
Silesio lag angezogen auf seinem Bett, mit geschlossenen Augen auf dem Rücken ausgestreckt, ein trügerisches Lächeln um den erkalteten Mund. Das silberne Röhrchen auf dem kleinen Nachttisch verriet, warum er keine Schmerzen gelitten hatte. Der Tod musste vor mehreren Stunden eingetreten sein. Bis die Automatik seine Routinemeldungen vermisste und mich langsam auftaute, war der Leichnam zu wächserner Steife erstarrt. Ich setzte mich nackt, wie ich war, neben den Toten auf das abgedeckte Bett und faltete gedankenlos seine störrischen Hände ineinander. Dann fiel mein Blick