Der Schatz der Kürassiere. Herbert Schoenenborn
Truppenkonzentrationen des Feindes. Deshalb wird es uns niemals gelingen von Plappeville aus durch die gegnerischen Linien zu schlüpfen.“
„Warten Sie´s mal ab“, Grau blinzelte Fréchencourt beschwichtigend zu. „Wir haben einen ungewöhnlichen, aber ausgezeichneten Plan. Sie werden sich noch wundern. Inzwischen dürften die Vorbereitungen im Fort angelaufen sein. Mehr verraten wir jetzt noch nicht.“
„Da ich Sie beide nicht für Selbstmörder halte, werden Sie schon wissen, was Sie tun“, brummelte achselzuckend der Hausherr.
„Etwas unwohl ist es mir allerdings bei dem Gedanken, das Haus hier ohne Bewachung zurücklassen zu müssen. Ich kann wegen der Kürze der Zeit keinen erreichen, den ich damit betrauen kann, sich um das Haus zu kümmern.“
„Ich hab da eine Idee“, beruhigte ihn Muller. „Geben Sie mir bitte zwei Blatt Papier und etwas zu schreiben.“ Fréchencourt öffnete unterhalb der Tischplatte eine Schublade und reichte Muller zwei Briefbögen, Tintenfass und Schreibfeder.
„Hier bitte!“, sagte er.
Muller schrieb auf jeden der Briefbögen einige wenige Zeilen und setzte anschließend seine Unterschrift darunter.
„So das hätten wir, Monsieur Fréchencourt. Ich muss jetzt nur noch den Stempel des Kriegsministeriums drunter setzen, damit die Schreiben amtlich werden.“ Muller entnahm einer Innentasche seines Gehrocks ein kleines flaches Etui.
„Für solche Fälle habe ich immer Stempel und Stempelkissen dabei“, erklärte er. „Unsere Unterschriften alleine sind nichts wert, denn wer in Frankreich kennt schon Muller oder Grau. Aber mit diesem hübschen Stempel hier, wird’s amtlich“, fügte er ironisch hinzu. Dann setzte er betont feierlich den Stempel unter seine Schreiben und betrachtete zufrieden sein Werk.
„Eigentlich können wir jetzt unser Gespräch beenden“, sagte Grau.
„Ich schlage vor, dass Sie und Philippe jetzt mit den Reisevorbereitungen beginnen, Monsieur Fréchencourt.“
„Ich bin einmal sehr gespannt, was Sie vorhaben, Messieurs.“ Der Hausherr steckte den Brief seines Vaters ein, verschloss die Tresortüre und schob das Bücherregal zurück an seinen Platz. Als die Männer die Bibliothek verließen, erhoben sich die beiden Gardisten.
„Claude Robin und Roger Mourai, es ergeben sich für Sie neue Aufgaben. Sie sind ab sofort direkt dem Kriegsministerium unterstellt und unterstehen somit nicht mehr der militärischen Befehlsgewalt, sondern haben ab jetzt nur noch die Anweisungen des Kriegsministeriums zu befolgen. Hier sind Ihre Legitimationen.“ Muller überreichte ihnen die soeben verfassten Schreiben.
„Ich werde noch heute Ihre Vorgesetzten im Fort Plappeville darüber informieren. Monsieur Fréchencourt, Monsieur Perçu Monsieur Grau und ich werden in der kommenden Nacht nach Paris aufbrechen. Sie beide werden Ihre Uniformen mit Zivilkleidung tauschen und das Haus hier bewachen, bis Monsieur Fréchencourt zurückkehrt oder Sie neue Anweisungen erhalten.“
Philippe, der hinzugekommen war und die letzten Worte mitgehört hatte, schaute irritiert in die Runde. Fréchencourt nahm ihn beiseite und informierte ihn kurz über sein Gespräch mit den Besuchern. Dann wandte sich der Hausherr an Robin und Mourai:
„Philippe wird Ihnen jetzt das Haus zeigen. Sie können sich hier überall frei bewegen. Zum Schlafen stehen Ihnen zwei Gästezimmer im oberen Stockwerk zur Verfügung. In den Schränken finden Sie ausreichend zivile Kleidung vor, sicherlich ist auch etwas Passendes für Sie darunter.
Die Lebensmittelvorräte, über die Sie verfügen können, reichen, je nach Ihrem Appetit, für sechs bis acht Monate. Noch etwas! Es ist möglich, dass einige meiner Männer hier auftauchen, die sich mit der Parole ‚La petite guerre’ zu erkennen geben. Nur diejenigen, die den Code kennen, dürfen Sie ins Haus lassen“, dabei blickte er Philippe grinsend an. Als ihn Robin und Mourai fragend ansahen, fügte Fréchencourt hinzu:
„Ach ja, ich hatte vergessen Ihnen zu sagen, dass dieses Gebäude den Franctireurs als geheimer Treffpunkt und Rückzugsort dient. Damit Sie mit meinen Leuten keine Probleme bekommen, werde auch ich ein kurzes Schreiben aufsetzen, welches Sie ihnen zeigen können, wenn es notwendig sein sollte.“ Muller schloss an:
„Folgenden Rat sollten Sie zu Ihrer Sicherheit dringend befolgen. Gesetzt den Fall, dass es sich abzeichnen sollte, dass der Feind die Stadt besetzen wird, dann wären Sie als Mitarbeiter des Kriegsministeriums, insbesondere aber als Unterstützer der Franctireurs, in größter Gefahr. Deshalb beseitigen Sie frühzeitig alles belastende Material. Vernichten Sie sowohl die von mir als auch die von Monsieur Fréchencourt ausgestellten Legitimationen und geben Sie sich als Bedienstete dieses Hauses aus. Dann haben Sie kaum etwas zu befürchten. Egal was geschieht, bleiben Sie auf Ihren Posten, auch wenn es länger dauern sollte als geplant. Wir werden uns melden, sobald es möglich ist.“ Nun ergriff Fréchencourt das Wort:
„Philippe wird Sie gleich in ein geheimes Kellergewölbe führen. Dort befinden sich ein Schießstand, Vorrats- und Waffenkammern. Ich bitte Sie, Ihre Uniformen und Gewehre in dem eigens hergerichteten Waffenraum unterzubringen. Philippe wird Ihnen dort im Gegenzug Handfeuerwaffen mit ausreichend Munition aushändigen. Vergessen Sie auf keinen Fall, bei Gefahr die Türen zu schließen.“
„Wir werden Sie nicht enttäuschen, Messieurs! Sie können sich voll und ganz auf uns verlassen“, erwiderte Robin. Daran zweifelte niemand, selbst Philippe nicht, der inzwischen seinen Frieden mit den Besuchern geschlossen hatte.
„Beeilen Sie sich Philippe, Sie müssen sich noch reisefertig machen, wir wollen um sechs aufbrechen“, erinnerte ihn Fréchencourt.
Nachdem sich Philippe, Robin und Mourai zur Hausbegehung entfernt hatten, entschuldigte sich Fréchencourt, um sich umzuziehen und ein paar wenige Sachen zusammenzusuchen, die er auf seine vermeintlich letzte Reise mitnehmen wollte.
Grau und Muller zogen sich in die Bibliothek zurück, um sich die Wartezeit ein wenig mit Lesen zu verkürzen.
Wie verabredet, traf man sich kurz vor sechs in der Eingangshalle. Robin und Mourai waren in Zivil kaum wieder zu erkennen, und Philippe sah in Cut und grau-schwarz gestreifter Hose ausgesprochen elegant aus.
Die Gruppe verabschiedete sich von Robin und Mourai und wünschte ihnen viel Glück. Dann traten die Männer auf die Straße und hörten, wie sofort hinter ihnen der Riegel vorgeschoben wurde. Muller blickte prüfend zum Himmel, was er sah, schien ihn zufrieden zu stellen. Die Sonne war wieder hinter dunklen Wolken verschwunden und es wehte ein teils kräftiger Wind aus nordöstlicher Richtung.
„Mon Dieu, was stinkt das hier draußen so erbärmlich, so nach Fäkalien und Verwesung“, angewidert stieß Fréchencourt die eingeatmete Luft aus.
„Das ist Gewöhnungssache, nach einiger Zeit nehmen Sie den Geruch nicht mehr wahr“, beruhigte ihn Grau.
„Wir haben bis Fort Plappeville noch einen Weg von ungefähr vier Kilometern vor uns. Wenn wir stramm gehen, sind wir in gut einer Stunde dort“, sagte Muller und beschleunigte seine Schritte.
Zunächst eilten sie die Rue des Jardins hinunter, an der gotischen Kathedrale vorbei, ein Stück an der Mosel entlang und gelangten über die Pont des Morts auf die linke Flussseite. Überall auf ihrem Weg trafen sie kleinere oder größere Gruppen Soldaten, die den vorbeieilenden Zivilisten spöttisch hinterher schauten. Auch einige lästerliche Worte waren zu hören. Doch davon nahmen die vier Männer keine Notiz. Da es mittlerweile wieder begonnen hatte zu regnen, meinte Grau:
„Wenn wir Plappeville erreicht haben, sind wir nass bis auf die Knochen.“
Als sie hinter sich ein Fuhrwerk hörten, drehte Muller sich um und trat dem Gespann mit empor gestreckten Armen in den Weg. Der Kutscher konnte sein Gefährt gerade noch rechtzeitig vor Muller zum Stehen bringen.
„Sind Sie wahnsinnig, Mann?“, brüllte der aufgebrachte Soldat, der auf dem Kutschbock saß.
„Pardon Soldat, wir müssen so schnell wie möglich zum Fort Plappeville.“ Muller hielt ihm seinen Ausweis unter die Nase.
„Sie