Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil

Der Flügelschlag des Zitronenfalters - Martin Scheil


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ein Fahrzeug, das, na ja, das ein bisschen weniger auffällig ist.“ Müller versuchte sanft zu klingen.

      „Ich kann mir aber kein zweites Auto leisten.“ Pfeffers Protest klang schon wieder ab, aber die Empörung war geblieben.

      „Machen Sie sich darüber mal keine Sorgen. Sie haben doch schon Geld von uns bekommen. Fünftausend, wenn ich nicht irre.“

      Empörung weg. Hallo Scham, alter Freund!

      „Das ähm ...“ Stammel, stammel. „Ich habe das schon alles ausgegeben.“

      „Ausgegeben?“ Müller klang nicht überrascht.

      „Eher investiert, würde ich sagen. Also, das war so eine ganz verrückte Sache ...“

      „Mir ist es egal, wofür Sie Ihr Geld ausgeben, Pfeffer. Sie werden dieselbe Summe noch einmal erhalten. Versprechen Sie mir nur, dass Sie sich davon angemessene Kleidung und einen normalen“, er machte in der Luft mit den Fingern Anführungszeichen „PKW kaufen. Haben Sie sonst noch Verbindlichkeiten, die Sie begleichen müssen?“

      „Nein, nichts“, log Pfeffer.

      „Dann ist es ja gut. Also: Sie gehen zum Arzt, Sie entspannen sich, und Sie sorgen für ein unauffälliges Äußeres. Und das alles in den nächsten zehn Tagen. Haben Sie das verstanden, Pfeffer?“

      „Völlig verstanden“, sagte Pfeffer tonvoll und nun wieder selbstsicher.

      „Wirklich? Keine Affären. Keine Exzesse. Kein Casino. Wenn Sie glauben, dass Sie das nicht durchhalten, dann sagen Sie es lieber jetzt gleich.“

      „Ich fahre ans Meer und mache eine Saftkur oder was auch immer. Zufrieden?“

      „Gut. Ich werde Sie rechtzeitig informieren, wo und wann wir uns treffen. Sie kümmern sich um alles, wie besprochen. Und Pfeffer:“, er hob jetzt den Zeigefinger vor die Brust „Nochmal, Pfeffer: keine Eskapaden bis dahin. Das meine ich wirklich ernst. Und vergessen Sie nicht: wir beobachten Sie!“

      Oberleutnant Hans Müller trank sein Glas aus, stand auf, zog Mantel und Hut wieder an und verabschiedete sich mit einer förmlichen Herzlichkeit von Pfeffer. Noch schnell – klingeling – Zwei Mark für das Wasser auf den Tisch gelegt, dann ging er zur Tür hinaus und war weg. Rick Pfeffer blieb wie zurückgelassen auf seinem Platz sitzen und wusste, dass er sich in diesem Moment über alles Mögliche Gedanken machen sollte. Hatte Müller nicht Grenze gesagt? Und was sollte das für ein Gefallen sein, den er ihm tun sollte? Den er dem BND tun sollte? War es gefährlich? Ja, ja, über all das hätte er sich Gedanken machen sollen. Machte er aber nicht. Richard genannt Rick Pfeffer machte sich Gedanken über die Zahl Fünftausend und er machte sich Gedanken darüber, was er mit so viel Geld so alles anstellen könnte.

      Den Auftrag aber, welchen Müller ihm gegeben hatte, diesen Auftrag nahm er sehr ernst. Reisepläne. Seiner Frau erzählte Pfeffer, die CDU habe ihn nach Kiel gebeten, dort sei ja bald Wahlkampf und man wollte seine Meinung zu ein paar Dingen hören. Inoffiziell versteht sich, um keinen unnötigen Staub aufzuwirbeln. Tuschel, Tuschel, Decke drüber. Aber da ein Experte wie er nun mal gefragt sei in diesen Zeiten und es ja außerdem um Deutschland ginge, hätte er nicht Nein sagen können. Darüber hinaus würden die für alles sorgen, ihn sogar mit dem Taxi direkt vor der Tür abholen lassen, eine Woche Vollpension Fünf Sterne, dazu Getränke frei und so weiter. Staatsfinanzen, Budget, Geld spielt keine Rolle. Man kennt das ja. Steuergelder, ja na klar, aber was wäre wenn die Roten? Da wollen wir lieber mal gar nicht dran denken. Seine Frau hatte nur genickt und ihm wahrscheinlich kein Wort geglaubt, aber wenn er ehrlich war, war es Pfeffer eigentlich auch gleichgültig.

      Ein Taxi holte ihn dann aber tatsächlich ab, der restliche Reiseplan wich von der offiziellen Ehegeschichte jedoch erheblich ab. Der echte Plan sah vor, zunächst zum Bahnhof zu fahren, dann den Zug nach Hamburg zu nehmen, von dort weiter – ebenfalls per Bundesbahn – nach Flensburg, von wo aus wiederum ein Zug über Niebüll und den Hindenburgdamm nach Sylt ging. Hier wieder ein Taxi bis nach List ganz im Norden der Insel und dann mit der Fähre rüber nach Rømø, die dänische Insel, auf der Pfeffer für eine Woche ein kleines Ferienhaus direkt am Strand gemietet hatte. Dort wollte er dann auch ein Auto kaufen, mit dem er später zurück nach Deutschland fahren würde. EG, EWG, barrierefrei, innereuropäisches Grenzregime, alles kein Problem. Auf dem Rückweg würde er dann in Flensburg halten, wo er bereits einen Termin zur „Allgemeinen ärztlichen Untersuchung“, vereinbart hatte, für den er, ganz der Lebemann, als Grund angegeben hatte, er wolle eine Lebensversicherung in nicht unbeträchtlicher Höhe abschließen und bräuchte dafür ein ärztliches Zeugnis. Er hatte sich überlegt, diese Untersuchung lieber nicht in Bremen machen zu lassen. Die Hälfte der Ärzte dort wusste nämlich um seinen zweifelhaften Lebenswandel, und die andere Hälfte hatte ihn deswegen schon krankschreiben müssen, wenn er wieder mal einen seiner großen Abstürze hatte. Weil es ihm aber jedes Mal in Nachhinein peinlich war, wenn er völlig zerknittert nach einer langen Nacht beim Arzt erscheinen musste, hatte er die Praxen immer alterierend gewechselt, so dass er nach einigen Jahren medizinisch nirgendwo mehr ein unbeschriebenes Blatt sein konnte. Ach ja, der Pfeffer. Na, wieder Genosse Vollski getroffen? Ja, ja, können mich alle am Arsch lecken. Aber hin zu diesen Ärzten, um sich durchchecken zu lassen – das ging dann doch zu weit. Der Trost war immerhin, dass es ja nie wirkliche Krankheiten waren, weswegen er sich hatte arbeitsunfähig schreiben lassen. Er konnte morgens nur einfach die Augen nicht aufkriegen und fuhr mächtig Karussell. Wie sollte man denn auch in einem solchen Zustand arbeiten? Also gelben Schein her, Du Quacksalber! Wie auch immer, er hatte jedenfalls keinen Grund, sich wegen der nun anstehenden Untersuchung in Flensburg Gedanken zu machen.

      Die Woche auf der dänischen Insel verbrachte er tatsächlich in völliger Ruhe und Abgeschiedenheit. Er hatte sich einige Bücher eingepackt, zweimal Konsalik, zweimal Brecht, da er meinte, beide Seiten der Waage müssten gleich gefüllt sein. Er verbrachte die Tage ohne einen Tropfen Alkohol, nicht einmal seinen kleinen Flachmann, der ihm über die Jahre ein treuer Weggefährte geworden war, hatte er dabei. Und an etwaige Eskapaden war auf dem verlassenen Eiland sowieso nicht zu denken. Schon nach wenigen Tagen stellte Rick Pfeffer fest, dass er sich so gut fühlte, wie schon lange nicht mehr. Die Bücher hatte er nach wenigen Tagen ausgelesen, er war völlig klar und fühlte sich so frisch wie der Wind, der ihm bei seinen morgendlichen Strandspaziergängen um die Nase wehte. „Der Müller weiß, wovon er redet“, sagte er ein ums andere Mal zu sich und verspürte dabei eine ehrliche innere Dankbarkeit für diesen Aufenthalt. Als die Woche vergangen war, fühlte er sich wie neugeboren. Wie einmal runderneuert. Hallo. Ebenfalls Hallo. Was darf’s denn sein? Lohnt eine Generalinspektion noch? Ist ein älteres Modell. Ja, sie lohnte noch und er war in herausragender Form, als er seinen Urlaub beendete und die Heimreise antrat. Jetzt machte er sich noch weniger Gedanken wegen des Arzttermins und erwog sogar, ihn gänzlich abzusagen. Ginge schon. Andererseits: Befehl war nun einmal Befehl. Und er konnte es gleichzeitig als Möglichkeit nutzen, bei Müller endlich einmal zu punkten. Hier, Herr Oberleutnant. Kerngesund und alles erledigt. Toll gemacht! Oder so ähnlich. Jetzt musste nur noch ein Auto her, und dieser vermeintlich leichte Teil des Plans erwies sich als der erheblich schwierigere. Auf der ganzen Insel gab es keinen Autohändler und von Privat hätte er nicht kaufen können wegen der Zulassung, der Nummernschilder und so weiter. Also musste er noch einmal Geld tauschen, eine Zugverbindung nach Flensburg auskundschaften und dort zuschlagen. Das ärgerte ihn. Nicht, weil er Zeit und Geld verlor, sondern, weil er nicht daran gedacht hatte, zu überprüfen, ob es überhaupt einen Autohändler vor Ort gab. Grimmig nahm er die Bahn nach Flensburg, stieg am Bahnhof aus, suchte sich ein Taxi und ließ sich zum erstbesten Gebrauchtwagenhändler der Stadt fahren, wo er schließlich doch noch sein Auto finden sollte. Und es musste natürlich ein Mercedes sein. Er kaufte einen 77er Mercedes 350SL. Der war zwar zehn Jahre alt und ziemlich kaputt, aber bei einem Mercedes-Cabriolet, das über 200 fährt und nur viertausend Mark kostet, konnte man schließlich nicht viel verkehrt machen. Außerdem war das Auto weiß, und wenn schon nicht Gold, so dachte sich Pfeffer, sollte es wenigstens weiß sein.

      „Coupe wäre auch nicht schlecht gewesen, aber was soll’s! Nette Kabriolette!“ Er war zufrieden mit seinem Kauf und das Auto machte schon nach wenigen Sekunden richtig Spaß. So, nun aber weiter. Es gab schließlich noch viel zu tun.


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