Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil

Der Flügelschlag des Zitronenfalters - Martin Scheil


Скачать книгу
quer durch die Stadt, bis er auf einem großen Parkplatz vor dem geklinkerten achtstöckigen Gebäude seinen neuen Mercedes abstellte.

      Richard genannt Rick Pfeffer musste einige Zeit suchen, aber schließlich fand er in dem verschlungenen Gebäude endlich eine Art Rezeption, von wo aus man ihn an die Innere Medizin verwies. Auch diese fand er nach einiger Zeit und meldete sich ordnungsgemäß bei einer der Schwestern an.

      „Guten Tag schöne Frau, ich begrüße Sie.“ Pfeffer ließ seinen bekannten Charme spielen.

      „Ich grüße Sie auch“, sagte die Schwester lächelnd. „Kann ich etwas für Sie tun?“

      Pfeffer überlegte kurz, ob er dies mit einer schlüpfrigen Geste bejahen sollte, entschied sich aber, seriös zu bleiben. Dienst ist schließlich Dienst und Schnaps Schnaps.

      „Ich befürchte nicht“, sagte er mit in Falten gelegter Stirn. „Ich habe einen Termin beim Doktor. Um 14 Uhr, zum Durchchecken, wegen meiner Lebensversicherung, wissen Sie. Pfeffer, Richard Pfeffer. Aber sagen Sie ruhig Rick.“

      Die Schwester schlug einen Terminkalender mit biblischen Ausmaßen auf und fuhr mit dem Finger die Eintragungen ab, schaute dabei mäßig angestrengt und sagte schließlich „Hier haben wir Sie, Herr Pfeffer. Und pünktlich ist er auch noch. Na, dann kommen Sie mal mit.“ Noch während sie sprach, war Sie ihm schon einen Schritt voraus und Rick Pfeffer ging direkt hinter ihr her. Folgsam und brav. Eigentlich wie ein Labrador. Nur dass er nicht an Ihrem Hinterteil schnüffelte. Obwohl ... Husch, weg mit diesen Gedanken! Er stellte fest, dass das Inselleben endgültig vorbei war und sagte Guten Tag zu den Schlüsselreizen der Zivilisation. Verdammt auch! Aber eins nach dem anderen. Sie gingen einen endlosen, leeren Gang hinunter, der sich scheinbar über die ganze Etage zog. Pfeffer kam es vor, als sei eine Ewigkeit vergangen, als sie endlich vor einer Tür standen und die Schwester diese öffnete.

      „Nehmen Sie schon mal Platz, Herr Pfeffer. Dr. Bartholdy kommt dann gleich für die Anamnese zu Ihnen.“

      Sie hielt ihm die Tür auf, während er sich bedankte und eintrat. Er fand sich allerdings nicht in einem Behandlungszimmer wieder, wie er es erwartet hatte. Offenbar war dies das Büro des besagten Dr. Bartholdy und offenbar hatte dieser Geschmack. Der Raum war stilvoll eingerichtet, wobei sich das klinische Weiß harmonisch ins Lichtgrau der Möbel mischte. Hell alles. Strahlend und einnehmend. Zentrum des Raumes war ein asketischer, ebenfalls weißer Schreibtisch, hinter welchem ein teuer aussehender Ledersessel geparkt war. Davor – ebenfalls mit Leder bezogen – zwei Stühle, deren Design an Clubsessel angelehnt war, deren Größe und Schwung jedoch die Hierarchie in dem Ensemble deutlich unterstrichen. An den Wänden hingen neben verschiedenen Diplomen auch die Approbationsurkunde, das Promotionszeugnis und die amtliche Urkunde zum bestellten Amtsarzt. Vor den Fenstern, in geräumigen Abständen, standen getopfte Pflanzen, die Pfeffer noch nie zuvor gesehen hatte. Waren die echt? Mit zwei Fingerspitzen an die Blüte gegrapscht. Echt. Jawohl. Und nun kaputt. So ein Mist. Er rupfte das beschädigte Blütenblatt heraus und ließ es in seiner Hosentasche verschwinden. Was noch? Alle Sinne waren im Suchmodus. Er stand vor dem Schreibtisch und wollte sich gerade setzen, dann entschied er sich aber doch dazu, die Entdeckungsreise durch das Büro fortzusetzen.

      Musste wohl ein doller Typ sein, dieser Doktor. Mann, Mann, Mann, da muss man schon sagen. Und überhaupt. Zu seiner Linken fiel ihm eine Tür auf. Untersuchungsraum war darauf zu lesen. „Aha, da drin geht’s dann gleich zur Sache mit mir und dem Doktor“, dachte Pfeffer und hatte pubertäre Doppeldeutigkeiten völlig ausgeblendet. Er war viel zu sehr mit Sehen beschäftigt. Genauer: Staunen. Ehrlicher: Neiden. Zu seiner Linken erstreckte sich über beinahe die ganze Länge des Raumes ein in der Konstruktion schlichtes Bücherregal. Auch wieder weiß. Nur die Bücher darin, die meisten in einem Ledereinband, brachten Farbe und eine gewisse Asymmetrie in dieses geometrische Gesamtkonstrukt, das vom Boden bis unter die Decke reichte. Er ging zu dem Regal und las die Namen der Autoren auf den Buchrücken. Er kannte keinen davon.

      Dann aber plötzlich: „Hah! Caesar! Kenn’ ich!“, er hatte dies laut gesagt und in seiner Stimme schwang ein gewisser Triumph mit, verlieh es ihm doch endlich mal ein bisschen Ebenbürtigkeit in diesem Raum. Er zog das Buch aus dem Regal, schlug die erste Seite auf und las. „Gallia est omnis divisa in partes tres, quarum unam incolunt Belgae..“, weiter kam er nicht.

      „Mist“, dachte er sich, „Latein!“, und stellte das Buch wieder zurück in das Regal, wobei er sich beinahe ebenso peinlich ertappt fühlte wie damals beim doppelten Bernd bezüglich seines nicht vorhandenen Hebraeicums.

      Er suchte weiter die Buchrücken ab. „Cicero! Der aber!“, doch dann wieder: „Si quis vestrum, iudices, aut eorum qui adsunt, forte miratur me ...“ „Verdammt noch mal, auch Latein“, sagte er, stellte auch dieses Buch zurück und suchte nun umso akribischer. Er fuhr die Buchrücken der Reihe nach mit dem Finger ab und wurde fündig.

      „Thomas Mann! Na also! Der wird jawohl wenigstens noch deutsch schreiben, oder was!“ Er nahm das Buch heraus und las den Titel „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. Huch. Was war das denn? Irgendwie fühlte er sich schon wieder ertappt, obwohl er gar nicht genau wusste, warum. Er kannte das Buch nicht, beschloss aber, es irgendwann zu lesen und stellte es sorgsam zurück. In diesem Moment öffnete sich vorwarnungslos die Tür und ein Mann trat ein. Pfeffer war sich aus zwei Gründen sofort sicher, dass es jener Mann sein musste, dem der Sessel auf der anderen Seite des Schreibtisches gehörte. Erstens und ganz banal: wer sollte es sonst sein. Aber zweitens: Herein kam ein Mann, etwa seine Größe, ein wenig jünger vielleicht, aber mit einer deutlichen Präsenz. Vielleicht Charisma? Bestimmt Charisma. Passte auf jeden Fall zum Büro, der Typ. Er hatte eine schmalgliedrige Statur, fast ein wenig leptosom, leicht schütteres Haar und durch die feine, randlose Brille traf Pfeffer ein wacher Blick. Der weiße Kittel mit dem Pieper und den vielen Stiften war natürlich beeindruckend und Pfeffer merkte, wie er sofort Haltung annahm.

      „Na, haben Sie etwas Interessantes gefunden?“, sprach ihn der Arzt nun jovial an, während er auf ihn zuging und ihm die Hand reichte.

      „Ich verstehe nicht, ich ...“ Pfeffer fühlte sich schon wieder ertappt.

      „Na, die Bücher! Haben Sie was gefunden, das Sie interessiert?“, er war mittlerweile ganz nah und schüttelte ihm die Hand.

      „Bartholdy, Clemens Bartholdy, angenehm“, sagte der Arzt und ohne, dass er überlegte, entfuhr es Pfeffer:

      „Sind Sie kein Doktor?“

      Der Arzt musste lachen.

      „Ich bin sogar Doktor Doktor! Aber das können Sie ruhig weglassen, das sind nur Titel.“

      Jetzt holte Pfeffer seinerseits die Begrüßung nach.

      „Pfeffer. Rick, also Richard Pfeffer. Freut mich auch, Herr Doktor, sehr angenehm. Ich habe das wegen der Lebensversicherung, also, ich muss ... Was ich meine ist: Dass Sie überhaupt noch so einen einfachen Check-Up für mich machen, das ist aber aller Ehren wert, Herr Doktor. Oder sagt man Herr Doktor Doktor? Also, ich, ich bitte um Entschuldigung.“ Pfeffer merkte plötzlich, dass er versuchte, dem Arzt zu schmeicheln. Das war ihm peinlich. Und auch sein Gestammel.

      „Ach was, hören Sie auf. Auch der Zimmermannsmeister muss ab und an mal wieder einen Nagel durch den Balken treiben, nicht? Sonst verlernt er noch am Ende sein Gewerk! Wie sagten Sie, heißen Sie gleich noch?“ Er besah das Klemmbrett, das er mit sich hereingebracht hatte.

      „Richard Pfeffer.“

      Dr. Bartholdy schaute ihn an, und da plötzlich ... nein, doch nicht. Pfeffer war so, als würde sich gerade etwas von der Präsenz und dem Charme des Doppeldoktors verabschieden. Dann aber war er von einer Sekunde auf die andere wieder völlig hergestellt. Merkwürdig. Aber wahrscheinlich eine Sinnestäuschung. Immerhin hatte Rick Pfeffer nun schon seit sieben Tagen keinen Alkohol getrunken. Er beschloss, dass er wohl halluziniert hatte. Kann schon mal passieren, wenn man nüchtern ist. Nun aber wieder der Arzt.

      „Und weswegen genau sind Sie hier bei mir?“

      Naaa ... Doch. Doch, da war was. Er hatte nicht halluziniert. Eigentlich eine gute Nachricht. Irgendetwas


Скачать книгу