Gesundes Gift. Franz Kabelka

Gesundes Gift - Franz Kabelka


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Holzkreuz gebohrt und verwandelt sich jetzt, geführt von Geisterhand, in eine Dornenkrone.

      Eine Detonation, die es gar nicht geben kann, geben darf.

      Und die dennoch einen Tinnitus auslöst, der sie in alle Ewigkeit begleiten wird.

      Betäubt klappt sie den Sarg auf, betrachtet das Gesicht der Mutter mit den weit aufgerissenen Augen, mit den schrecklich bleichen Lippen, die vergeblich ein letztes Wort zu formulieren versuchen: Frieda.

      Klagend, flehend, im höchsten Diskant: Friiie-da, Friiie-da …

      Hör auf, bitte hör endlich auf! Vergib uns unsere Schuld, Mama, vergib wenigstens mir!

      Ja, ich hätte dich öfter besuchen müssen, dich nicht so alleine lassen dürfen. Hätte wissen müssen, wie dir zumute ist, nach all den Jahren ohne Mann, ohne Wärme. Du und ich, wir sitzen im selben Boot, hast du mehr als einmal gesagt. Aber ich habe dich nicht verstanden, habe deine Hilferufe nicht gehört. Du hast geschrien, wenn du schweigend in deinem Lehnstuhl gehockt bist, wenn du mich so müde angeschaut hast. Nicht anklagend, nur unendlich müde.

      Das Schnitzelmesser, es ist neben dir in der Wanne gelegen.

      Ein solides, altes Küchenmesser mit zwei Messingschrauben im Griff. Du hast dafür gesorgt, dass es immer gut geschliffen war. Das zäheste Hammelfleisch hat sich anstandslos damit zerlegen lassen, mit dem Schleifstein hast du umgehen können wie keine sonst. Das kommt davon, wenn man mit der Sense in der Hand auf die Welt gekommen ist – deine Worte! Früher hast du die Wiese hinterm Haus noch selbst gemäht. Alle paar Minuten hast du den grauen, speckigen Schleifstein hervorgezogen und das Sensenblatt damit nachgeschärft. Das Messer war ein Teil der Mitgift, ja, der halbe Hausrat wurde einem nachgeschmissen bei der Hochzeit dazumal, nicht irgendwelche teuren Reisegutscheine wie heutzutage. Deine Eltern haben es bei einem der letzten Messerschmiede in Zwettl anfertigen lassen. Weißt du noch, wie du mir das stolz erzählt hast?

      „Echte Qualitätsware“, hast du gesagt: „So etwas geht nie kaputt.“

      Und das ist sie auch nicht, obwohl die Klinge schon ganz schmal und dünn war vom vielen Schleifen, wie bei einem richtigen Fleischermesser. Wie viele Schnitzel du damit wohl geschnitten hast? Keines für Papa jedenfalls. Der war nach meiner Geburt schneller weg, als du schauen konntest.

      Ich weiß nur eins: Ich werde nie mehr ein Schnitzel essen können, Mama. Mein Lebtag nicht! Denn das Schnitzelmesser habe ich gefunden, finden müssen, das hast du gut arrangiert. Ein altes Schnitzelmesser unter deinem weißen, aufgeschwemmten Körper. Die Pulsadern glatt durchtrennt. Zwei saubere Schnitte. Kein Pfusch.

      Weil zu pfuschen, das ist dir zeitlebens gegen den Strich gegangen, Mama.

       E-Mail-Verkehr mit Thomas Mitterer, Wien

      Von: [email protected]

      Gesendet: Mittwoch, 20. Juni 2012 17 : 47

      An: [email protected]

      Betreff: deine fachliche Meinung

      Lieber Thomas,

      ich habe mich lange nicht mehr bei dir gemeldet, entschuldige! Aber wenn das auch nach einer Ausrede klingen mag: Mir ist es wirklich nicht so gut gegangen in letzter Zeit. Wenigstens hab ich jetzt beruflich etwas Spannendes am Laufen, was auch der Grund für dieses Mail ist.

      Ich hätte ein paar fachliche Fragen zu klären, die du als erfahrener Chemiker mir vermutlich aus dem Stand beantworten könntest. Sofern es deine Zeit am Ökologieinstitut erlaubt, würde ich mich gerne mit dir treffen, um ein kleines Interview zu machen. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mir einen Termin geben könntest. Gerne komme ich auch zu dir an deine Arbeitsstelle, damit du keine Freizeit opfern musst. Es eilt allerdings ziemlich, wenn ich das so direkt sagen darf, denn ich stecke bereits mitten in den Recherchen.

      Nur so viel dazu: Es geht um Kritik an ayurvedischen Praktiken. Soweit ich weiß, bist du mit dem Thema vertraut, immerhin hast du zwei Jahre lang in Kalkutta gearbeitet. Konkret würde mich deine fachliche Meinung zu einer amerikanischen Studie interessieren, die ich dir ebenso beilege wie eine aktuelle Zurückweisung dieser Studie durch indische Ärzte. Vielleicht findest du Zeit, dir beides vor unserem Gespräch anzuschauen.

      Auf eine baldige Antwort freut sich

      deine alte Studienkollegin

      Frieda Prohaska

      Von: [email protected]

      Gesendet: Freitag, 22. Juni 2012 11 : 03

      An: [email protected]

      Betreff: Re: deine fachliche Meinung

      Liebe Frieda,

      ich hab geschwind einmal in deine Unterlagen hineingeschaut und rede natürlich gerne mit dir darüber, auch wenn ich schon viele Jahre nicht mehr in dieser Sparte tätig bin. Andererseits: Die Grundprinzipien vergisst man wohl nie.

      Ich bin derzeit noch in Berlin, ab nächsten Mittwoch aber wieder in Wien. Während der Zugfahrt werde ich mir das Material noch genauer zu Gemüte führen. Ruf mich einfach ab Donnerstag an, dann machen wir uns einen Termin aus, einverstanden?

      Herzlich dein

      Thomas

       Transkript: Interview mit Dr. Thomas Mitterer, Ökologieinstitut, 29. 6. 2012

      FP: Danke, Thomas, dass du dir für dieses Gespräch Zeit genommen hast. Es geht, wie gesagt, um deine Einschätzung jener Studie, die Dr. Richard Piper von der Boston University gemacht hat und die unlängst im Journal of the American Medical Association publiziert wurde. Die Studie kam zum Ergebnis, dass vierzig Prozent der im Internet verkauften ayurvedischen Produkte, welche unter Rasa shastra laufen, massive Überschreitungen der Grenzwerte bei Quecksilber, Blei und Arsen aufweisen. Diverse Ayurvedaverbände in den USA und Europa haben auf die Ergebnisse von Pipers Studie reagiert und die Aussagekraft dieser Untersuchungen bestritten. Meine erste Frage an dich: Wie schätzt du das Ganze ein?

      TM: Okay, zuerst einmal einige Anmerkungen zur Studie selbst. Was ich für problematisch halte, ist, dass da immer von soundso viel Mikrogramm Schwermetall pro Kilo die Rede ist. Es wird nicht unterschieden, ob es sich um Schwermetalle in löslicher oder nicht löslicher Form handelt. Genau das macht in der Praxis aber den Unterschied zwischen gefährlich und ungefährlich aus.

      Weiters stört mich die ständige Bezugnahme auf den sogenannten Durchschnittsmenschen. Ich habe diese Kategorie noch nie verstanden. Wo sind etwa Kinder oder Alte und Schwache anzusiedeln? Aber man kann den Studienverfassern natürlich zugutehalten, dass ihr Untersuchungsgegenstand nicht die Erfassung der gesundheitlichen Effekte am Patienten war, wie bei einer klinischen Studie, sondern nur die Bestimmung des Schwermetallgehalts in verschiedenen Produkten.

      FP: Und wie siehst du die kategorische Ablehnung dieser Studienergebnisse durch die Ayurvedacommunity? Sie lehnt den chemisch-analytischen Zugang ja prinzipiell ab.

      TM: Nun, das ist eine sehr komplexe Geschichte. Erst einmal muss ich bekennen, dass sich meine Einstellung zur westlichen Naturwissenschaft im Verlauf der letzten Jahre einigermaßen geändert hat. Das klingt aus dem Mund eines Chemikers vielleicht eigenartig, aber ich bin überzeugt, dass es Dinge jenseits unseres Horizonts gibt. Dinge, die wir mit unseren evidenzbasierten physikalischen oder chemischen Methoden alleine nicht in den Griff bekommen. Denk nur an die Homöopathie. Es ist doch hochinteressant, dass sie bei uns immer stärker angenommen wird – gerade von den höheren Bildungsschichten.

      Für mich kommt da eben ein wichtiger Aspekt ins Spiel, und der lautet Systembetrachtung. Die klassische Chemie, so wie du und ich sie gelernt haben, beruht ja darauf, dass man die Dinge erst in ihre Einzelteile zerlegt und


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