Anekdoten frommer Chaoten. Adrian Plass
Man mag es sich gar nicht ausdenken.
Ich kenne eine Menge schwuler Christen, die sich entschieden haben, für den Rest ihres Lebens zölibatär zu bleiben. Mag sein, dass Satan ihnen Lügen über ihre sexuellen Präferenzen eingeflüstert hat, oder auch nicht. Tatsache ist aber, wie sehr sie auch beten und ihr Bestes tun, um nach Veränderung zu streben, sie scheinen nicht davon wegzukönnen, wer sie sind und was sie sind, und jeder Tag ist eine Herausforderung und ein Kampf. Ich habe höchsten Respekt vor ihnen. Ich kenne auch schwule Christen, die glauben, dass Gott gleichgeschlechtliche Beziehungen akzeptiert. Ich habe großen Respekt vor jedem, der eine aufrichtig durchdachte und durchbetete Entscheidung über irgendeinen Aspekt seines christlichen Lebens trifft, auch wenn ich selbst nicht mit seiner Entscheidung übereinstimme. Ich habe selbst schon manche blödsinnigen Entscheidungen getroffen, und meist habe ich sie lautstark mit Bibelstellen begründet.
Wie ist das nun mit der Gnade Gottes? Nun, das Problem mit Gott ist und war schon immer, dass er sich partout nicht davon abbringen lässt, Menschen als Individuen zu begegnen und nicht als Kategorien. Die Gnade tut, was die Gnade tut. Ich finde das herzerwärmend und aufregend und beruhigend und beunruhigend und ein bisschen verwirrend, aber ganz ehrlich, ich würde es nicht anders haben wollen.
Falls ich meiner Herausforderin je wieder begegne, werde ich mich bei ihr bedanken, dass sie mich zum Nachdenken über diese Dinge gebracht hat. Aber ich würde sie auch gern daran erinnern, dass viele Leute im Laufe der letzten zweitausend Jahre versucht haben, den christlichen Glauben zu säubern und aufzuräumen, wie man ein Haus säubert und aufräumt.Tut mir leid, würde ich ihr sagen, aber das klappt nicht.Wenn Christus mitten im Chaos nicht eine echte Möglichkeit ist, dann sitzen wir mächtig in der Tinte.
Du hast recht, Jeff. Jede Gemeinde sollte einen Ort haben, wo man gefahrlos sagen und denken und fühlen kann, was immer einem auf dem Herzen liegt. Es mag eine Weile dauern, solche Orte einzurichten, aber bis dahin, scheint mir, sind wir beide schon dabei, uns einen für uns selbst zu schaffen. Das ist eine sehr behagliche Ecke hier. Du bist am Zug, glaube ich.
Liebe Grüße,
Adrian
PS Ich hatte vollstes Mitgefühl mit Dir, als die Karaoke-Burschen sich wunderten, wieso jemand wie Kay sich mit einem alten Knacker wie Dir abgibt. Bei einer Tour durch Deutschland vor ein paar Jahren wurde ein ziemlich altes Foto von mir für die Werbung verwendet. Die erste Frage aus dem Saal zu Beginn der zweiten Hälfte des Abends lautete so: »Warum haben Sie Ihren Vater geschickt, anstatt selbst zu kommen?«
Das war der größte Lacher des Abends.
VIER
Lieber Adrian,
danke für Deinen Brief, der mich dazu inspiriert hat, hinunter zur Videothek in meiner Straße zu gehen (die immer noch so heißt, obwohl es da seit dem Erscheinen der allmächtigen DVD gar keine Videos mehr gibt) und mir The Commitments auszuleihen. In der Videothek passierte etwas, was eigentlich gar nicht mit irgendetwas von Belang zu tun hat, aber da ich es amüsant fand, würde ich Dir gern davon erzählen. Glaub mir, das Folgende hat sich wirklich so abgespielt.
Während ich mich mit meiner DVD in der Hand ( The Commitments hatten sie leider nicht) an der Kasse anstellte, um mein Kleingeld loszuwerden, fiel mir ein Aufkleber auf der DVD-Hülle auf. »Bitte zurückspulen!«, stand darauf. Die Aufschrift verwirrte mich zutiefst, da es ja gänzlich unmöglich ist, eine DVD zurückzuspulen. Warum also dieser Aufkleber? Ich beschloss, mich bei dem Neunjährigen, der hinter dem Tresen Dienst tat, danach zu erkundigen.
Zwischen mir und dem etwas desinteressierten, aknegeplagten Jüngling entspann sich folgendes Gespräch:
Ich: Entschuldigung, dürfte ich Sie nach diesem Aufkleber fragen?
Pickliger Jüngling: Ja, was ist damit?
Ich: Nun, da steht »Bitte zurückspulen!« drauf. Pickliger Jüngling: Richtig. Das steht da.
Ich: Aber das ist doch albern. Pickliger Jüngling: Was? Wieso?
Ich: Weil das eine DVD ist. Die kann man doch gar nicht zurückspulen.
Pickliger Jüngling: (die Augen verdrehend) Natürlich kann man eine DVD nicht zurückspulen. Es ist ja eine DVD.
Ich: Äh, ja, das habe ich ja gerade gesagt. Also warum kleben Sie dann diesen Aufkleber drauf, der die Leute nur verwirrt und dazu bringt, deswegen nachzufragen?
Pickliger Jüngling: Ganz einfach. Als wir die Videos abgeschafft haben und zu DVDs übergewechselt sind, hatten wir noch Hunderte von diesen Aufklebern übrig. Die Chefin wollte sie nicht wegschmeißen; wir hatten sie ja extra drucken lassen. Also ließ sie uns die Dinger auf die DVDs aufkleben …
Ich: Also Ihre Chefin hat Geld für Aufkleber ausgegeben, die jetzt überflüssig sind, und dann noch mehr Geld für Arbeitszeit investiert, um diese unnützen Aufkleber auf DVD-Hüllen zu kleben, wo sie Kunden wie mich nur verwirren?
Pickliger Jüngling: (wirft über meine Schulter dem Kunden hinter mir einen Blick zu, der besagt: »Der Trottel hier hält den ganzen Betrieb auf.«) Genau. Wir haben die übrig gebliebenen Aufkleber verbraucht. Sonst noch Fragen?
Wie gesagt, Adrian, dieser Wortwechsel ist ohne jeden Belang für unsere Unterhaltung, aber ich fand ihn so grotesk, dass ich ihn Dir nicht vorenthalten wollte.
Wenn ich an Dich in diesem christlichen Gästehaus denke, wünschte ich, Du hättest Deinen Mut zusammengerafft und das »Er-ist-auferstanden«-Plakat mit einem frechen Graffitispruch verziert. Allerdings vermute ich, damit hättest Du unsere gemeinsame Gabe der Albernheit vielleicht einen Schritt zu weit getrieben. Zumindest ist »Er ist auferstanden« kein kitschiger Spruch, und es ist die Wahrheit. In meiner ersten Zeit als Christ trug ich immer einen großen Button, fast so groß wie ein Mülleimerdeckel. Er brüllte irgendeine ziemlich brachiale Botschaft hinaus – so etwas wie
»Hallo, du bist auf dem Weg in die Hölle« oder so. Ich hatte eine große Schwäche für Buttons und sonstige Accessoires aus unserer christlichen Buchhandlung am Ort. Am Heck meines Autos klebten so viele Fische, dass es aussah wie ein fahrendes Aquarium. (Übrigens, in meiner christlichen Buchhandlung hier gibt es im Moment Pfefferminzbonbons mit aufgedruckten Bibelstellen. Sie heißen »Testamints«. Auf der Packung steht »Bonbon für Bonbon die Welt verändern«. … Hätte es die Dinger doch nur schon gegeben, als Paulus lebte. Dann wäre er bestimmt als Gemeindegründer noch erfolgreicher gewesen, und Mundgeruch hätte er obendrein vermeiden können …)
Ich schweife ab. Zurück zu Slogans. Ich bin ein eifriger Beobachter von Gemeindeschaukästen und -schrifttafeln, besonders in Amerika, und ich habe schon so manchen Knaller zu Gesicht bekommen.Während einer Hitzewelle in Oklahoma, der einige Menschen zum Opfer fielen, hatte eine Gemeinde in ihrem Bestreben, die »gute Nachricht« zu verbreiten, vor ihrem Gebäude folgendes Plakat aufgehängt:
Wenn Sie meinen, hier wäre es heiß,
warten Sie nur ab.
Das ist fast so schlimm wie die markige, aber brutale Schrifttafel, die verkündete:
Ewigkeit: Raucher oder Nichtraucher?
Diese christliche Neigung zu grafischen Tiraden hat allerdings auch den einen oder anderen amüsanten Ableger hervorgebracht. Meine persönlichen Lieblingsbeispiele sind die Autoaufkleber mit der Aufschrift:
Jesus kommt wieder, tut so, als wärt ihr beschäftigt.
Oder auch:
Jesus liebt dich.
Alle anderen halten dich für ein *&%$@*&!§
Um wieder ernster zu werden: Es tat mir richtig leid, von Deiner Begegnung mit dem Mann zu hören, den Du als »Terrier« beschrieben hast. Die Bezeichnung passt perfekt auf jene Sorte frommer Leute, die einem gerne nach den Fersen schnappen, sich über jede Kleinigkeit aufregen und nicht mehr loslassen, wenn sie einen erst einmal zwischen die Zähne bekommen haben. Ich schätze, wir beide gemeinsam sind schon genug Terriern begegnet, um ein ganzes Tierheim damit zu füllen.Vielleicht hast Du ja ein