Darky Green. Adrian Plass

Darky Green - Adrian Plass


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Keine drei Jahre später hatte man ihn zum Leiter der Bestandsabteilung befördert und nun entschied er, welche Bücher angeschafft oder verkauft wurden, und beriet auch andere Bibliotheken in der Gegend.

      Nette Freunde hatte er auch. Vor allem drei. Tom und Beth, die beide ein Jahr jünger waren als er, kannte er natürlich schon seit der Grundschule. Der umwerfende Olly, frisch an der Universität eingetroffen, um sein Wirtschaftsstudium zu beginnen, war der allererste Mensch gewesen, den Lance bei seiner Ankunft im Studentenwohnheim in Aberystwyth kennen gelernt hatte. Olly hatte sich um Lance gekümmert. Und ein Jahr später waren Tom und Beth, die auf alle guten Ratschläge pfiffen, man dürfe sich seine Universität nicht danach aussuchen, ob ein Freund bereits dort sei, ebenfalls eingetroffen, um ihr Studium zu beginnen. Seither waren die vier unzertrennliche Freunde, so unterschiedlich sie auch waren. Noreen fand sie alle großartig, aber für Olly hatte sie besonders viel übrig. Wie sie wusste, hatte er eine schicke Wohnung auf der Hove-Seite von Brighton. Das war die Gegend, in der er die meisten seiner Häuser und Wohnungen kaufte und verkaufte. Sie wünschte, er würde nicht so weit von Lipsham entfernt wohnen, damit Lance und er sich öfter sehen könnten, besonders im Moment.

      Wenn die Freunde alle vier zusammen waren, schienen sie immer einen unglaublichen Spaß miteinander zu haben. Es tat gut, Lance laut lachen zu hören.

      Wirklich, dachte Noreen, als sie ihre Nummer an der Käsetheke aus dem Spender zog und sich auf den Einkaufswagen stützte, um zu warten, bis sie an der Reihe war, sie hatte allen Grund, sich über Lance zu freuen. Jeden Grund. Bis auf einen.

      Eine Entscheidung hatte Noreen im Supermarkt noch zu treffen, nachdem sie sich mit Käse und geräuchertem Schinkenspeck und einem Dreiviertelpfund von dem leckeren panierten Schinken eingedeckt hatte, den sie letzte Woche probiert hatten. Apfelkuchen. Sollte sie Zeit sparen und sich aus der Tiefkühltheke einen eingefrorenen Kuchen von der Hausmarke holen oder sollte sie noch einmal zurück in den ersten Gang gehen und ein paar schöne, große Kochäpfel holen, damit sie selbst einen machen konnte? Noreen schüttelte den Kopf und wunderte sich wie jedes Mal, dass sie sich diese Frage überhaupt stellte. Nun ja, möglich war es ja, dass einmal ein Tag kommen würde, an dem sie sich für den Fertigkuchen entscheiden würde, aber nicht heute. Sie wendete den Einkaufswagen und steuerte zurück in die Frischobstabteilung.

      Eine schlechte Eigenschaft gab es, die Lance mit seinem Vater gemeinsam hatte. Noreen hatte keine Ahnung, ob sie erblich war oder nicht. Manchmal hatte sie sich schon gewünscht, dass es definitiv so wäre. Dann wieder quälte sie gelegentlich der Gedanke, irgendetwas an ihr müsse schuld an den schrecklichen finsteren Abgründen der Depression sein, in denen beide von Zeit zu Zeit versanken. Derek hatte das in der Zeit, seit sie ihn kennengelernt hatte, drei Mal durchgemacht. Das letzte Mal war es etwa ein Jahr, bevor er an der schrecklichen Krebserkrankung starb, die seinen ganzen Körper gelb verfärbte und ihn von innen her aufzufressen schien wie ein wildes Monster.

      So sehr sie sich auch bemühte, Noreen hatte es einfach nicht geschafft, sich mit den Sorgen zu identifizieren, die Derek in diesen letzten seiner schwarzen Tunnels geschickt hatten. Soweit sie feststellen konnte, fing es damit an, dass er über die unzähligen Generationen von Männern und Frauen nachgrübelte, die während der Menschheitsgeschichte gelebt hatten und gestorben waren. Er hatte davon geredet, wie dieser ganze Prozess sich dahinwälzte wie eine riesige, geistlose, unaufhaltsame Maschine. Wieso versuchten wir erbärmlichen Menschenwesen uns einzureden, das Ganze hätte irgendeine Bedeutung? Das Nachdenken über all das machte ihn allmählich mürbe und saugte ihm die Energie aus, die er brauchte, wenn er weiter so tun wollte, als ob irgendetwas von alledem auf lange Sicht einen Sinn hatte.

      Dann hörte er auf, so viel zu reden, und verschwand in seinen Büchern. Das war das Muster; so hatte Noreen das schon zuvor erlebt. Er schien es geradezu darauf anzulegen, alles noch schlimmer zu machen. Denn es waren alles die grundfalschen Bücher. Die Bücher speisten die Dunkelheit, die in ihm war, statt sie auszuhungern und Platz zu schaffen, damit Licht hereinkonnte. Aus dem Fenster starren oder über gedruckten Seiten brüten. Das war für eine Weile alles, was Dereks Leben ausmachte.

      Noreen konnte beim besten Willen nicht begreifen, wieso jemand so versessen auf die Katastrophe war. Sie selbst hatte einen ganz schlichten Glauben. Einen Glauben, der nie wirklich Fragen stellte oder Wegverzweigungen erkundete, aber der sie in schwierigen Zeiten auf den Beinen hielt. Doch es steckte noch mehr dahinter. Mehr als nur eine Krücke oder eine Flasche Whisky. Er brachte etwas Helles in die Welt. Er machte Hoffnung möglich. Wenn man sie in die Enge getrieben hätte, dann hätte sie wohl etwas davon gesagt, dass Liebe – echte Liebe – unzerstörbar sei. Aber sie hätte sich nicht gern in die Enge treiben lassen und freiwillig hätte sie ihre Ansichten nie geäußert.

      Noreen war außer sich vor Sorge gewesen. Es war wieder über ihren Mann gekommen. Es war nicht leicht, aber schließlich konnte sie Derek dazu bewegen, einen Arzt aufzusuchen. Der Arzt schickte ihn zu einem Psychiater namens Dr. Siddons.

      Das war genau das Richtige. Dr. Siddons war eine große Hilfe für Derek und Noreen. Es war das erste Mal, dass jemand ihr die Sache so erklärte, dass sie das Gefühl hatte, sie zu verstehen. Er sagte ihr, solche Dinge machten empfindsamen Leuten wie Derek hin und wieder zu schaffen. Statt ihren Zorn auf die Sache oder die Person zu richten, die ihn ausgelöst hatte, kehrten sie ihn nach innen und begruben ihn irgendwo in ihrem Geist. Wenn das über längere Zeit immer wieder geschah, konnte sich all der verborgene Zorn, der sozusagen geistig nie verdaut worden war, in eine Depression verwandeln und damit zu einem Problem werden, wie es Derek zu schaffen machte.

      Zeit und Medikamente brachten die Wende. Derek wurde wieder er selbst. Es gab einen bestimmten Moment in einer bestimmten Stunde an einem bestimmten Tag, in dem Noreen sich einen Kaffee einschenkte und zu dem Schluss kam, dass sie sich jetzt entspannen und wieder anfangen durfte, ihr Leben zu genießen. Keinen ganzen Monat später zeigten sich die ersten Symptome von Dereks Krebs. Bevor das Jahr zu Ende war, war er tot.

      Noreen war mit ihrem Einkauf fertig. Der letzte Artikel, der in ihren Wagen gewandert war, war eine Flasche Bristol Cream Sherry. Das elegante, an altes Apothekeninventar erinnernde Gefäß aus schwerem blauen Glas verhieß ihr ein wenig süßen Trost für später. Ein seltener Genuss. Immer waren es Noreens eigenwillige Hände, die ohne ihr Zutun diesen besten aller Sherrys aus dem Regal in der Wein- und Spirituosenabteilung nahmen und vorsichtig unten in den Einkaufswagen zwischen die übrigen Waren legten. Ohne diesen kleinen bewussten Selbstbetrug hätte sie es gar nicht fertiggebracht, ihn zu kaufen. Schon der Gedanke, irgendetwas nur für sich selbst zu tun, reichte aus, damit sie schuldbewusst nach links und rechts schielte und fürchtete, ihre seit Langem tote Mutter könnte beobachten, was sie im Schilde führte, und herüberkommen, um ihr die Leviten zu lesen.

      Eine Kasse war frei. Gut. Sie fing an, ihre Einkäufe auf das Transportband zu legen.

      »Hallo«, flötete das junge Mädchen an der Kasse, das noch neu in diesem Job war und erst vor zwei Tagen das Trainingsvideo gesehen hatte. Deshalb war ihr noch deutlich vor Augen, dass es ein wichtiger Aspekt der Politik ihres Unternehmens war, jeden ihrer Kunden auf diese Weise fröhlich zu begrüßen.

      »Hallo, meine Liebe«, lächelte Noreen, die nie irgendeine Politik verfolgte, aber ausnahmslos zu jedem Menschen freundlich war, dem sie begegnete.

      Lances Depressionen waren nie so schlimm gewesen wie die seines Vaters – nun ja, jedenfalls bisher nicht. Zum ersten Mal waren sie ernsthaft aufgetreten, als er kurz vor dem Schulabschluss stand. Nachdem er sich wochenlang wie üblich in seine Arbeit gekniet hatte, hatte ihn mit erschreckender Plötzlichkeit wie eine Besessenheit die Überzeugung gepackt, das alles sei doch nur Zeitvergeudung, er werde wahrscheinlich doch nur mit Pauken und Trompeten durchfallen, also was sollte das Ganze überhaupt? Anfangs hatte sich diese pessimistische Sichtweise Tag für Tag als eine Art dumpfe Niedergeschlagenheit gezeigt, doch nachdem Noreen eines Samstagmorgens ihrem Sohn am Küchentisch gegenübergesessen, seine beiden Hände gehalten und hilflos zugesehen hatte, wie ihm die Tränen übers Gesicht strömten, hatte sie bestürzt erkannt, dass etwas geschehen musste. Der Doktor, inzwischen ein neuer, seit Derek gestorben war, war auf der Höhe der Zeit. Er hatte einen geschulten Therapeuten und eine Krankenschwester in seiner Praxis angestellt. Nach einer langen Unterhaltung mit dem bedrückten


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