Ketzer. Gerd Ludemann

Ketzer - Gerd Ludemann


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Sammlung unter der Leitung des Petrus anzusprechen. Während dieser Zeit wird die griechischsprachige Fraktion des Christentums, die Hellenisten, gewaltsam aus Jerusalem gedrängt und Stephanus, einer der Sieben, in einem Tumult zu Tode gebracht (Apg 7,58). Die Akteure hierbei waren im Gegensatz zum Prozess gegen Jesus, in dem die Römer einschritten, Jerusalemer Juden, die Stephanus steinigten. Die andere Fraktion des Christentums verblieb unbehelligt in der jüdischen Metropole. »Die eschatologische Institutionalisierung war das Werk des Petrus … Er leitete die Versammlung für Gott und war insofern dessen theokratischer Repräsentant. Als solcher konnte er nur ein einziger sein.«39 Es ist kein Zufall, dass Paulus ihn alsbald (drei Jahre) nach seiner Bekehrung aufgesucht hat, um ihn kennenzulernen (Gal 1,18).

      In der Folgezeit bildeten zwei andere Männer, Jakobus und Johannes (die Söhne des Zebedäus), zusammen mit Petrus ein Leitungsgremium und erhielten den Ehrennamen »die Säulen«. Sie waren zusammen mit Petrus zu Jesu Lebzeiten dessen engste Vertraute gewesen.40 Als der Zebedaide Jakobus Opfer einer Verfolgung wurde (Apg 12,1 f), trat sein Namensvetter Jakobus, der Bruder Jesu, an seine Stelle, dies wohl nicht in erster Linie aufgrund seiner Jüngerschaft, sondern vor allem wegen Familienzugehörigkeit.41 Paulus hatte jedenfalls 14 Jahre danach bei seinem zweiten Besuch in Jerusalem (Gal 2,1) mit einem Leitungsgremium zu tun, das sich aus diesem zweiten Jakobus, dem Petrus sowie dem anderen Zebedaiden Johannes zusammensetzte (Gal 2,9).

      Inzwischen waren die aus Jerusalem vertriebenen Hellenisten nicht untätig geblieben. Sie verbreiteten den neuen Glauben im Umkreis von Jerusalem und bis hin nach Damaskus, Antiochien und Phönizien (Apg 11,19 – 22). Ihre geisterfüllte Predigt (Apg 6,10) schloss nun auch Heiden nicht mehr aus, ja beide, Juden- wie Heidenchristen bildeten bald eine Gemeinschaft.

      In Antiochien empfing die merkwürdige neue Sekte aus Juden und Nichtjuden von Außenstehenden den fortan geltenden Namen: Ihre Mitglieder wurden »Christianer« genannt (Apg 11,26). Dies geht nicht etwa auf das Programm der betreffenden Gruppe zurück, sondern ist eine Fremdbezeichnung durch politische Behörden, die etwas auf einen Begriff bringen, oder durch konkurrierende Gruppen, die sich damit abgrenzen.42 Dieser Name wurde von den Christen recht bald übernommen, weil er deren Anliegen treffend wiedergab. Bereits zwei Generationen später kann Bischof Ignatius aus demselben Antiochien, in dem diese Fremdbezeichnung aufgekommen war, wie selbstverständlich vom »Christianismos« sprechen und triumphierend ausrufen: »Das Christentum ist nicht zum Glauben an das Judentum gekommen, sondern das Judentum (zum Glauben) an das Christentum«. (IgnMagn 10,3 u.ö.).

      Die Jerusalemer Gemeinde dürfte die Entwicklung in Antiochien mit großer Skepsis und Sorge beobachtet haben. Wohnte sie selbst am Vorort des Heils, Jerusalem, und sah sie sich selbst als die Gemeinde an, die auf den Säulen Petrus, Jakobus und Johannes ruhte und von der es allenfalls einige Ableger außerhalb Jerusalems geben durfte, so wurde man in Antiochien eines neuen Kirchentyps gewahr. Dieser war nicht auf Petrus und den anderen Säulen, sondern auf Christus selbst gegründet und baute in der Praxis die Schranken zwischen Juden und Heiden ausdrücklich ab. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Schilderung, die Paulus in Gal 2,12 vom gemeinsamen Essen von Juden- und Heidenchristen gibt (dazu weiter unten S. 74 f).

      Ein anderes Unterscheidungsmerkmal zwischen beiden Kirchentypen betrifft den Aposteltitel. Ist er nach Jerusalemer Verständnis als Erscheinungsapostolat an Jerusalem gebunden und chronologisch begrenzt, so kann die antiochenische Gemeinde ihn für ihre Abgesandten gebrauchen und kennt offenbar keinerlei zeitliche Einschränkungen (vgl. Apg 14,4.14; Did 11,4). Hier ist er ein pneumatisch-charismatischer Wanderapostolat.

      Idealtypisch geurteilt, liegen in Jerusalem und Antiochien also zwei verschiedene Kirchentypen vor43, allerdings nur idealtypisch, denn in der historischen Wirklichkeit realisieren sich Idealtypen nur bis zu einem gewissen Grad, und Paulus, aus dessen Schrifttum die obige Charakteristik weitgehend gewonnen wurde, ist im Hinblick auf das Kirchenverständnis nicht frei von widersprüchlichen Zügen. Er trieb die Unabhängigkeit seines Kirchenverständnisses nicht auf die Spitze und konnte gelegentlich auch so verstanden werden, dass Jerusalem in der Tat der Mittelpunkt der Christenheit sei.44 Eine ähnliche Kombination von Vorstellungen findet sich in dem Verständnis seines Apostelamtes. Behauptet er einmal, es entspreche dem Jerusalemer Erscheinungsapostolat (1Kor 15,8), so ist Paulus doch faktisch Wanderapostel.45

      Konflikte waren angesichts der auseinanderdriftenden christlichen Gruppen der Frühzeit vorprogrammiert. Für die in Jerusalem verbleibende aramäisch-sprachige Gemeinde war die Thora nach wie vor gültig. Wer sich – ob Jude oder Heide – im Namen Jesu taufen ließ, hatte noch längst nicht den Freibrief, sich vom Gesetz zu dispensieren. Jesus war nämlich gekommen, das Gesetz zu erfüllen – nicht zu zerstören (Mt 5,17).

      Ein Versuch, diese Krise zu meistern, ist das sog. Apostelkonzil, von dem Paulus in Gal 2 und Lukas in Apg 15 berichten. Wir halten uns an den Bericht des Paulus, der ja selbst maßgeblich am Krisenmanagement beteiligt war.46

      Hier steht die Forderung zur Debatte, ob Heidenchristen beschnitten werden sollten, um Mitglieder der christlichen Gemeinde werden zu können (Gal 2,3). Sie richtet sich gegen die Praxis, Heiden ohne Beschneidung in die Gemeinde aufzunehmen, und wurde nicht erst zur Zeit des Konzils erhoben, sondern bereits vorher, und zwar in der Gemeinde Antiochiens, in die sich die von Paulus so titulierten »falschen Brüder« eingeschlichen hatten, um die Freiheit der dortigen Christen »auszukundschaften«.47

      Darauf zieht Paulus mit Barnabas nach Jerusalem und nimmt in einem provokativen Akt auch den Heidenchristen Titus mit, um auf diese Weise grundsätzlich die Zustimmung der Jerusalemer Gemeinde zu seiner eigenen gesetzesfreien Praxis zu erlangen.

      Aus dem paulinischen Bericht im Gal lassen sich zwei Verhandlungsgänge voneinander unterscheiden: Einer findet im Rahmen einer Gemeindeversammlung (Gal 2,2a), der andere mit den »Säulen« im kleinen Kreise statt (Gal 2,2b.6 ff). Das zeitliche Verhältnis der Unterredungen ist unklar.

      Nach zähen Unterredungen und erregten Auseinandersetzungen, die spätestens in den Streitereien zum Zeitpunkt des Gal wieder aufgeflammt sind, kann Paulus den »Säulen« die Zustimmung abringen, dass die Heidenchristen nicht beschnitten werden müssen. Der Begleiter des Paulus, der Grieche Titus, wird jedenfalls nicht zur Beschneidung gezwungen (Gal 2,3; vgl. 2,14; 6,12).48 Gleichwohl war die Zustimmung hart umkämpft, ja, man wird sogar annehmen müssen: Die »falschen Brüder« hatten bei ihrer Forderung der Beschneidung des Titus wenigstens anfangs einen erheblichen Rückhalt in der Jerusalemer Gemeinde und weiterhin wohl auch die »Säulen« zumindest teilweise auf ihrer Seite.

      Trotzdem – Paulus hatte die grundsätzliche Zustimmung der Jerusalemer Gemeinde zu seiner beschneidungsfreien49 Heidenmission erhalten. Der Grund für die mit einem feierlichen Handschlag besiegelte Einigung war offensichtlich ihr Erfolg, vor dem die Jerusalemer die Augen nicht verschließen konnten, und weiterhin die Bereitschaft der heidenchristlichen Gemeinden bzw. ihrer Vertreter, Paulus und Barnabas, die Einigung mit einer Geldgabe zu besiegeln.

      Die Jerusalemer nahmen wohl eine zwiespältige Haltung gegenüber Paulus ein: Einerseits war sein Tun natürlich unzureichend, da die von ihm Bekehrten die Thora nicht hielten, und sogar gefährlich, da ihr Beispiel Juden andauernd zur Übertretung des Gesetzes anreizte. Andererseits war es besser als gar nichts, da Christus gepredigt und Zentren gegründet wurden, in denen die Arbeit durch Abgesandte aus Jerusalem fortgesetzt werden konnte. Die Richtigkeit solcher Betrachtungen vorausgesetzt, war die großzügige Geste des Paulus vielleicht der Punkt, der sie – zumindest für den Augenblick – für die seltsame Nachgeburt aus Tarsus einnahm, dies um so mehr, wenn sie aus der Spende gewisse Rechtsforderungen ableiten konnten. Zwar ist Paulus in seinem Bericht über die Konferenz in dieser Hinsicht zurückhaltend. Er versichert: »Mir haben die in Ansehen Stehenden nichts zusätzlich auferlegt«. (Gal 2,6). Dann aber folgt doch noch eine Zusatzklausel: »Nur sollten wir der Armen fürsorgend50 gedenken, was zu tun ich mich bemüht habe«. (Gal 2,10). »Deshalb ist die wichtigste Bestimmung des Konvents die unscheinbarste: die Sammlung für die jerusalemische Gemeinde; und die ferneren Bemühungen des Paulus für diese Kollekte gehören zum Wichtigsten seiner Tätigkeit.«51

      Um das Verständnis der Kollekte ist in der Forschung lange gerätselt worden. Eine Richtung versteht sie in Analogie zur Tempelsteuer52, eine andere verweist darauf, dass mit ihr die Verheißung


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