Die Vier-in-einem-Perspektive. Frigga Haug

Die Vier-in-einem-Perspektive - Frigga Haug


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vom Standpunkt der Arbeitenden selber hatten wir Zusammenarbeit und ihre Erfahrung als Ausgangspunkt für solidarisches Handeln angenommen, als unmittelbare Lebendigkeit der vergesellschafteten Menschen. Von daher war uns die Frage nach dem Schicksal der Kooperation in der Computerarbeit strategisch wichtig. Das Ergebnis war im Ganzen einhellig: Während tatsächlich eine Verdichtung der Kooperationsstrukturen angegeben wird, wird zugleich eine Abnahme der Zusammenarbeit erlebt. In weiteren Diskussionsverläufen zeigte sich, nicht die Zusammenarbeit hat abgenommen, sondern ihre Zunahme wird nicht als Stärkung, sondern als Zwang, ja als Bedrohung, jedenfalls als Zunahme an Fremdbestimmung erfahren. Die neue Zusammenarbeit nahm subjektiv und objektiv den Platz der vorhergehenden persönlichen Beziehungen am Arbeitsplatz ein. Unter persönlichen Beziehungen verstanden sie Geburtstagsfeiern, Unterhaltungen über Hochzeiten, Taufen, Krankheiten, Tod in der Verwandtschaft, Feste aller Art bis hin zu kleinen Aufmerksamkeiten wie Blumen am Arbeitsplatz. Sie bezeichneten diese »persönlichen Beziehungen« als Grundlage solidarischen Verhaltens. Kurz, sie vermissten eben jene Beziehungen, die wir als oberflächlich dachten, weil sie mit dem Inhalt der Arbeit nichts zu tun hatten. Wir hatten dabei angenommen, dass inhaltliche Arbeitsbeziehungen durch Produktivkräfte wie Fließband z. B. und vor allem durch Produktionsverhältnisse behindert werden und so kaum über die räumliche Nähe hinauswachsen.5 Umgekehrt waren unsere Büroarbeiter praktisch außerstande, inhaltliche Arbeitsbeziehungen als entwickelte Beziehungen zwischen Menschen wahrzunehmen und zu leben. Das inhaltliche Aufeinanderangewiesensein in der Büroarbeit wird als doppelte Bedrohung erfahren: als Bedrohung der persönlichen Arbeitskontakte und der Privatperson durch aufgezwungene Arbeitsbeziehungen, die die Einzelnen ungeschützt treffen können und müssen.

      Vorsichtig formuliere ich folgende These: Unter Konkurrenzverhältnissen sind aufgezwungene inhaltliche Arbeitsbeziehungen ein Paradox, welches als bedrohlich erlebt wird. Die Auslieferung an Fremdbestimmung wird nicht ermäßigt, sondern verstärkt. Was selbstbestimmte Koordination von Einzelarbeiten sein könnte, erscheint in der Form ihres Gegenteils, als Auslieferung an fremde andere in diffus horizontaler und darum umso konkurrenzförmiger erfahrener Zusammenarbeit.

      »Die Kollegen reichen mir über die 8 Stunden und ich sehne mich danach, in den Familienbereich zurückzukommen und meinen eigenen Neigungen nachzugehen. […] Diese enge Kooperation, die teilweise zwischen den Kollegen da ist, die reicht mir dann. Das geht nicht mehr, […] das auch noch in den Stunden nach Feierabend durchziehen zu können.« (Brosius/​Haug 1987, 88)

      Das Wichtigste, das uns diese Kooperationserfahrungen lehrten, war eigentlich auch wieder eine Selbstverständlichkeit: Zusammenarbeit ist gebunden an die selbstbestimmte Entscheidung der Subjekte und nicht einfach ein von oben dargebotenes Arrangement, in das sich die selbstbewussten Individuen einfügen können, ohne ihr Selbstbewusstsein zu verlieren. In der Tat kam in allen Gruppendiskussionen irgendwann die Rede von »wahrer Zusammenarbeit« auf, in der die Einzelnen einander begeistert »widerständige« Taten berichteten, wie sie gemeinsam gegen die Regeln verstießen, verlangte Strukturen durchkreuzten, einander die Passwörter gaben usw. Unsere oben formulierte These lässt sich ergänzen: Unter fremdbestimmten Arbeitsverhältnissen wird Kooperation widerständig gelebt.

      Da wir alte Grenzziehungen zwischen verschiedenen Einzelarbeiten und -arbeitern und ebenso die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit auch als Schranke gegen Entwicklung und Vermenschlichung der Arbeitsverhältnisse dachten, sahen wir die durch die Computerarbeit bedingte Auflösung solcher Grenzen auch als eine Chance. In unserer Untersuchung konnten wir die Einzelnen dabei erleben, wie sie diese »Chance« durchweg als Bedrohung wahrnahmen, neue Grenzziehungen versuchten und alte weiter ausbauten. Ihre Hauptaktivität schien die Verhinderung von Durchlässen zu sein. Die Arbeit z. B. soll niemals nach Hause genommen werden – falls dies unbestreitbar doch der Fall ist, »retten« sie sich durch Umbenennung, indem sie nicht als Arbeit bezeichnen, was sie im Kopf nach Hause tragen. Wichtiger noch ist die Umkehrung: Die Privatperson bzw. das Private an ihr soll nicht in den Betrieb. Wesentlich wird die Kontrolle von Informationen über sich selbst.

      Wieder treffen wir auf das Phänomen zunehmender Vereinzelung. Da dies als eine neue Erfahrung berichtet wird, nehmen wir nicht an, dass es »nur« ein Problem der Produktionsverhältnisse ist, sondern etwas mit den Produktivkräften, also mit dem Computereinsatz zu tun haben muss. Wir fragten nach den spezifischen Anforderungen in den computerisierten Büros bzw. den Erfahrungen der Einzelnen mit diesen Anforderungen. Trotz unterschiedlicher Arbeitsplätze stimmten die Einzelnen zunächst darin überein, dass Qualifikationsanforderungen gestiegen seien, dass mehr Wissen und Können erforderlich sei, beurteilten dies aber negativ. Auf unsere Anschlussfrage, wie denn dieses erforderliche Wissen vermittelt werde, kam bemerkenswert wenig. Das Wenige verwies uns zudem auf die Geschlechterverhältnisse. Es gab Einführungskurse, insbesondere für die Männer. Frauen eigneten sich das erforderliche Know-how meist während der Arbeit an. Gibt es nennenswerte Formen der Weiterbildung für den Umgang mit Computern? Diese Frage stieß nahezu auf Unverständnis; d. h. die Anzahl derer, die nicht geantwortet haben, war besonders hoch. Da Weiterbildung bislang eine übliche Form des innerbetrieblichen Aufstiegs war, versuchten wir in Gruppeninterviews diese Form des Lernens zur Diskussion zu stellen. Dabei kamen wir zu dem überraschenden Ergebnis, dass die nächtliche Aneignung von Computerhandbüchern, das heimliche Lernen nach Feierabend von den Betroffenen überhaupt nicht als eine Form von Bildung begriffen wurde. Vielmehr erfuhren sie dies als Ausgleich von Charakterdefiziten, den sie vornehmen müssten, um auf dem enger werdenden Arbeitsmarkt verkäuflich zu sein bzw. im Betrieb nicht zu den Aussortierten zu gehören.

      Learning by Doing ist keine sehr gute Form des Lernens, wenn die Tätigkeitselbst nicht alltagsverständig strukturiert ist. Computerarbeit folgt einer anderen Logik als der des Alltags. Dies erfordert einen Umgang, der sich gewissermaßen theoretisch über die Arbeitsvollzüge erhebt, den Computer selbst als »dumm« erkennt und sich also zum Computer »denkend« verhält. Eingewiesen über unzureichende Einführungskurse, die sie zudem zu einem Zeitpunkt bekommen, zu dem die männlichen Kollegen schon das erforderliche Know-how besitzen, und da sie selbst abends meist keine Zeit haben, das Versäumte nachzuholen, reagieren die Frauen mit Panik. Sie lernen die Befehle auswendig mit der Konsequenz, dass sie wie in einem Gefängnis unverstandener, jederzeit drohender Katastrophen arbeiten. Wir fanden eine Menge Hinweise, warum es insbesondere die Frauen sind, die in den verschiedenen Ländern die alarmierenden Unverträglichkeiten melden.

      Sind Frauen vielleicht generell an den geringer qualifizierten Arbeitsplätzen und von daher belasteter als ihre männlichen Kollegen? Da wir in unserer Untersuchung einen relativ hohen Anteil an männlich besetzten Eingabeplätzen fanden und da die Frauen zudem den Bereich der Dialogbearbeitung fast zur Hälfte innehatten, waren wir nicht versucht, uns vorschnell mit diesem Argument zufriedenzugeben. Im Feld der Vorurteile prüften wir eine weitere gängige Erklärung: Frauen seien technikfeindlich. Eine Aversion gegen Technik überhaupt könnte sowohl Angst wie eine Schwierigkeit beim Lernen und ein allgemeines Problem mit Bildschirmarbeit begründen. Es gab in unserem – immerhin 240 Arbeitsplätze umfassenden – Sample nur sehr wenige Männer oder Frauen, die der neuen Technologie an ihrem eigenen Arbeitsplatz nicht positiv begegnet wären. Die praktische Selbsteinschätzung gleicht allerdings den Meinungen über das Verhältnis der Frauen zur Technik wenig. Die jüngeren Männer (unter 35) und die verheirateten Frauen sind durchweg der Meinung, dass Frauen der Technik nicht wohlgesonnen seien und dass dies von den Vorgesetzten auch entsprechend wahrgenommen und behandelt werde.6 – Einmal auf der Spur der Geschlechtsspezifik der in den automatisierten Büros auftretenden Probleme, stießen wir auf eine besondere Unzufriedenheit der weiblichen Arbeitenden mit sich selber, die vielleicht mit dem Charakter der Arbeit zu tun hatte. Sie beklagten sich darüber, häufig nichts geschafft zu haben. Sie wollten eine Auslastung der durch Rechnerstillstand verursachten Leerzeiten durch Mischarbeitsplätze. Wir hatten eigentlich angenommen, dass angespannte Alarmbereitschaft, Wartezeiten, Kritik und experimentelle Sorgfalt dem weiblichen Sozialcharakter besonders entgegenkommen müsse, da Frauen ähnliche Anforderungen in Haus- und Familienarbeit gewohnt sind. Tatsächlich aber waren sie es, die solchen Arbeitseinsatz als besonders unbefriedigend charakterisierten. Sie betrachteten sich mit den Augen von Vorgesetzten und empfanden solche Arbeit, die der häuslichen am meisten ähnelt, als unzureichend, ja im Grunde überhaupt nicht als Arbeit, sondern als vertane Zeit. Da hätten sie »gleich zu Hause bleiben können«. Es


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