Die Vier-in-einem-Perspektive. Frigga Haug
das Private zu vergessen (ebd.).
Allgemein können wir formulieren, dass eine Zunahme von Angst und Vereinzelung zu den Verarbeitungsmustern der neuen Produktionsmittel und -arrangements gehört.
Folgen für die Arbeitspsychologie
Eine Bestandsaufnahme über die typischen Aufgaben von Betriebspsychologen lehrt uns: Sie beraten die Arbeitenden in sogenannten persönlichen Fragen wie Ehe und Familie, Kindererziehung; hinzu kommen Fragen der Eignung für die Arbeitsplätze und die Herausbildung solcher Eignungstests; manchmal sind Fragen der angemessenen Ausbildung und der zumutbaren Belastung Aspekte ihrer Tätigkeit; ganz selten gehört auch die Arbeitsgestaltung dazu.
Diese Fragen haben auf den ersten Blick nicht allzu viel mit den oben diskutierten Veränderungen in den Produktionsbedingungen und den damit auftretenden Problematiken zu tun, bekommen aber in den Zeiten der Umbrüche eine neue Dimension. Es ist ja weder davon auszugehen, dass die Arbeitssituation so einfach und unumwunden die Familiensituation bestimmt, wie wir dies noch vor Jahren mit dem vereinfachten Modell der Weitergabe von Unterdrückung annahmen (der männliche Arbeiter wird im Betrieb unterdrückt und gibt diese Erfahrung sozusagen kompensatorisch an die Familie weiter). Auch die umgekehrte Behauptung, dass die Familie den Arbeitsfrieden störe, erscheint als zu einfach und gradlinig. Unsere empirischen Untersuchungen zeigten vielmehr, dass die Weise, wie privat Probleme angeordnet und gelöst werden – nämlich vereinzelt, hierarchisch und unter Eliminierung aller Widersprüche –, das Problemlöseverhalten auch im Betrieb bestimmt und unter den neuen Bedingungen dort scheitert.
»Arbeits-« und »Lebens«weise sind als ein Zusammenhang zu begreifen. Die dringliche Aufgabe einer »eingreifenden« Arbeitsforschung ist, dazu beizutragen, dass die Handlungsfähigkeit der Arbeitenden in schnellen Veränderungsprozessen auf höherem Niveau wiederherstellbar wird. Dabei können die Betroffenen nicht als Objekte solcher Forschung konzipiert werden, denn es geht nicht um arbeitsteiliges Diagnostizieren von Problemen, sondern die neue Weise zu produzieren ist solcherart, dass Handlungsfähigkeit der Arbeitenden nur erreichbar ist, wenn sie ihre eigene Arbeitssituation beherrschen. Dafür ist eine erste Voraussetzung die Analyse der Arbeitsprozesse durch die Handelnden selber. Die Zweifel über die eigene Identität und die damit verbundenen Probleme fehlenden Selbstbewusstseins bedürfen einer historischen Betrachtung der eigenen Arbeit und ihrer Bedeutung für die Gesellschaft. Wie lässt sich anders Sinn und Bedeutung finden, wenn etwa die Aufgabe als Versetzen eines Kommas oder eines Bindestrichs beschrieben wird (wie dies uns durch eine Gruppe von Programmierern nahegelegt wurde), in einem Feld allgemeiner Neudefinition von Arbeit und Beruf?
Die theoretisch-praktische Beherrschung des eigenen Arbeitsfeldes beinhaltet das Lernen des Lernens, ist bestimmt durch die Möglichkeit, verändernd eingreifen zu können, Alternativen zu entwerfen, Kritik zu üben. Wenngleich diese Dimensionen sich abstrakt und utopisch anhören mögen, sind sie doch Wirklichkeit auf den verschiedenen Niveaus computerisierter Arbeit und dort zu studieren. Statt um Anpassung an die gegebenen Arbeitsstrukturen muss es jetzt um deren Aneignung gehen.
Projektforschung
Lernen steht in jeder Weise im Zentrum der neuen Arbeit. Alle Umbrüche in den Arbeitsbedingungen verlangen neue Lernformen und aktive Anstrengungen, um einer Auslieferung zu entgehen, die ohnehin für den Umgang mit den neuen Technologien nicht tragfähig ist. Arbeitsforschung, die nicht bloß konstatierend, sondern eingreifend tätig sein und in den neuen Arbeitsstrukturen die Erforschten als Subjekte einschließen will, verlangt ebenfalls neue Formen des Herangehens. Unter den bisher möglichen Formen scheint mir das Projektstudium für dieses Unterfangen am geeignetsten zu sein. Es verbindet für die Studierenden forschendes Lernen als wesentliche Weise, in der Lernen überhaupt stattfindet, mit der Möglichkeit, in den erforschten Arbeitsbereichen die Arbeitenden selbst zur Analyse ihrer eigenen Bedingungen zu gewinnen. Für ein solches Vorgehen ist ein Zusammengehen von Wissenschaft und Gewerkschaften unerlässlich.
Methodische Überlegungen und erste Ergebnisse
Die Veränderung in den Arbeitsbedingungen wird vielfältig widersprüchlich erfahren. Lösungsformen für solche Widersprüche sind ihre Leugnung – was nur einen kurzen Aufschub bedeuten kann –, ihre partielle Auslöschung, der Rückzug aus solch widerspruchsgeladenem Feld. Gegen eine kollektive Bewältigung der Widersprüche nach vorn stehen die Bemühungen der Unternehmer und des Staates, die Vereinzelung, die Privatheit zu stärken – das selbstbestimmte Individuum hat in den neokonservativen Strategien Konjunktur –, und die subjektive Verarbeitungsform der Privatisierung3.
Weiter oben berichtete ich von unserem merkwürdigen Befund, dass die einzelnen Büroangestellten ihre eigenen Arbeitsplätze durch die Ausgestaltung mit Computern jeweils als interessant und verbessert erfuhren, im Ganzen aber unbeirrt an der Auffassung von den durchgehend negativen Auswirkungen der Computerisierung festhielten; dass sie die Methode verfolgten, beim Fällen von allgemeinen Urteilen von der eigenen praktischen Erfahrung zu abstrahieren, aber nicht von den herrschenden Meinungen über ihr eignes Arbeitsfeld. Dieses individuelle Widerspruchsverhalten brachte uns dazu, eine eigene Methode zu entwickeln, um die Einzelnen darin zu unterstützen, den Widerspruch als Bewegungsform zu entdecken.4 Wir gingen davon aus, dass die Notwendigkeit, in widersprüchlichen Situationen handlungsfähig zu werden, verlangt, Widersprüche zu explizieren, zu erkennen, zu artikulieren statt sie zu eliminieren. Zunächst hatten wir einzelne Arbeitende in Gruppen (gemischtgeschlechtlichen mit verschiedenen Positionen in der Arbeit) zusammengesetzt, mit dem Ziel, ihnen einige Themen zur Diskussion vorzulegen und in die Diskussion nur dann einzugreifen, wenn ein Monolog entstünde, der die anderen Gesprächsteilnehmer aus der gemeinsamen Gedankenproduktion ausschalten würde. Unsere Vorgabe fragte ausdrücklich nach einer Diskussion auf der Grundlage eigner Erfahrung, wenngleich wir zunächst gar nicht damit gerechnet hatten, dass alle Gesprächsteilnehmer sofort anfangen würden, über die gemutmaßten Erfahrungen der anderen zu sprechen. Sie teilten sich in überkommenen Ausdrücken so mit, dass es ihnen unmöglich wurde, sich selbst ins Allgemeine zu ziehen. Gegen unsere Entmutigung, solcherart über ein Biertischrunde nicht hinauszukommen, die wir uns fast auch selbst hätten ausdenken können, setzten wir jetzt die Methode, die Erfahrung der offiziellen Lesart ausdrücklich gegen die Arbeitserfahrung zu richten. Wir sprachen als widersprüchliches Faktum aus, was in ihren Köpfen als Nebeneinander vom je eignen guten und den fremden schlechten Arbeitsplätzen koexistierte. Wir richteten also die je offizielle Meinung gegen die Arbeitserfahrung und warfen diesen Widerspruchsballon in die Diskussionsrunde. Die Diskutanten nahmen den Ball auf, bearbeiteten aber nun den Widerspruch als solchen, nicht die Sache selbst, die so widersprüchlich artikuliert war. Der Widerspruch war ihnen eine Herausforderung, die es zu beseitigen galt. Die Diskrepanzen zwischen der je eignen Erfahrung und den gesellschaftlich durchschnittlich vermittelten Auffassungen führten in der Folge zu Äußerungen wie, dass unqualifizierte Computerarbeit (die der anderen) eben eine Charakterfrage sei, als eine Art Beruhigung der selbstpositionierten Elite über die Masse. Störend im Schwarz-Weiß-Gemälde blieb die Einsamkeit des qualifizierten Computerarbeiters gegenüber der heimelig solidarischen unqualifizierten Masse: »Es sind eigentlich diejenigen, die keine Chance haben zu einer steilen Karriere, die zusammenhalten und Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln« (Brosius/Haug 1987, 88), sagte einer, durchaus ohne steile Karriere, mit Trauer in Bezug auf die von ihm als nur für seinen Fall angenommene Abwesenheit von Solidarität. Ist ein Widerspruch erst einmal selbstverständlicher Bestandteil einer solcherart forschenden Diskussion, so wird er durch die Bereiche getrieben, als führe er ein Eigenleben. Neue Dimensionen tun sich auf, die Gespräche gewinnen an Spannung für die Teilnehmer selbst. Sie haben den Eindruck, voranzukommen und selbst urbar gemachtes Neuland zu betreten.
In dem berichteten Fall kam die Gruppe von der Einsamkeit und vom Alleinsein in der Arbeit zu der auch von den Gruppenmitgliedern beobachteten Zunahme an Kooperation, einer Verdichtung der Zusammenarbeit, seit die Computer im Büro waren. Sie beharrten aber darauf, dass dieser Umstand am Alleinsein nichts ändere, sodass dieses Phänomen vielleicht vorläufig ebenso widersprüchlich mit Kooperation als Vereinzelung bezeichnet werden kann. Bis hierher hatten wir selbstverständlich angenommen, dass Zusammenarbeit von Menschen im Arbeitsprozess auf jede Weise positiv sei. Vom Standpunkt der Effektivität und Produktivität der Arbeit liegt der Nutzen