Die Vier-in-einem-Perspektive. Frigga Haug
den es zu unterstützen und voranzutreiben gälte. Sie sind vielmehr als Zeichen von Unverträglichkeiten zu begreifen, als Versuche, ein lebbares Gleichgewicht unter Beibehaltung der Rahmenverhältnisse zu finden, dabei möglichst viel Widerstand zu vereinnahmen oder präventiv umzulenken in Form einer Art passiven Revolution. Bei alledem interessieren sie als Veränderung unserer Handlungsbedingungen, die nicht zuletzt daraus resultiert, dass eine ganze Reihe radikaler Forderungen etwa aus der Frauenbewegung auf der Seite offizieller Vorschläge erscheint.
Krise um Arbeit. Club of Rome 1998
Nach dem aufsehenerregenden Bericht über die Grenzen des Wachstums (1972), den Bänden Mit der Natur rechnen (1995) und Faktor 4 (1995) hat der Club of Rome 1998 einen politischen Vorschlag zur Arbeitsproblematik vorgelegt. Das Buch enthält außer dem Vorwort von Ernst Ulrich von Weizsäcker ein Geleitwort des Aufsichtsratsvorsitzenden der Robert Bosch GmbH Bierisch und eine Vorbemerkung des Exekutivkomitees des Club of Rome. Als Motto spricht Sir Karl Popper über die Dringlichkeit, das »Problem der Vollbeschäftigung« »optimistisch« anzugehen. So eingeführt strahlt das Buch Bedeutung aus und Segen von oben. Versprochen werden: eine systematische Behandlung der Arbeitslosigkeitskrise und die Vision einer neuen Arbeitsgesellschaft (von Weizsäcker), ein arbeitsethisches Fundament (Bierisch), eine eingehende Analyse der moralischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Aspekte der Arbeit (Exekutivkomitee). Wer mit entsprechenden Erwartungen das Buch durcharbeitet, muss enttäuscht werden. Keiner der hier vorgestellten Gedanken und Vorschläge, Analysen und Berichte ist in irgendeiner Weise »neu«. Im Gegenteil wurden die einzelnen Punkte zur Veränderung von Arbeit und Arbeitsbegriff seit mehr als 20 Jahren geradezu mit Redundanz diskutiert, wenn auch nicht im Mainstream. So u. a. von Andre Gorz, vor allem aber, soweit es die Hausarbeit betrifft, in der Frauenbewegung, unter vielen anderen bei Rifkin, aber auch in den jüngeren Diskussionen um Eigenarbeit (vgl. etwa Scherhorn 1995, 1998; Möller 1997).
Im Folgenden geht es besonders um die Stichworte, die aus den politischen Diskursen »von unten« in das neoliberale Konzept des Berichts eingebaut werden. Die Begründungen, die historischen Exkurse lasse ich weg, weil sie zumeist nur Ideologisches zu bieten haben. Immerhin haben sich die Autoren die Mühe einer Historisierung gemacht und ebnen damit wiederum dem Einsatz historischer Argumentation einen Weg.
Es geht um die weltweit wachsende Arbeitslosigkeit, die im Geleitwort folgendermaßen umrissen wird: In Deutschland verloren die Landwirtschaft und das produzierende Gewerbe in den letzten sieben Jahren 4,5 Millionen Arbeitsplätze, die ein Zuwachs an 1,5 Millionen Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor nicht auszugleichen vermochte. In der OECD wuchs die Zahl der Arbeitslosen auf 36 Millionen oder 7,5 Prozent der Erwerbsbevölkerung. Diese Entwicklung hält an. Ergänzen wir: Nach Zahlen des Sachverständigenrats 1997 steigt zwar die Zahl der Erwerbstätigen insbesondre zwischen 1950 und 1965 ein wenig, stärker noch aber steigt die Erwerbsbevölkerung, sodass seit 1980 die Zahl der Arbeitslosen dramatisch wächst, um nach kurzer Pause von 1985 bis 1989 schnell weiter zu steigen. Das Statistische Jahrbuch zeigt seit den sechziger Jahren ein kontinuierliches Wachstum an Sachkapital der deutschen Wirtschaft bei stets schrumpfendem Bedarf an Arbeiterinnen und Arbeitern. Dies also ist die Ausgangslage.
Im Zentrum steht der Vorschlag einer Ausdehnung des Arbeitsbegriffs auf alle »produktiven Tätigkeiten im erweiterten Sinn« (u. a. 14 u. 211). Dafür soll im Gegenzug der jetzige Arbeitsbegriff auf den der Beschäftigung verengt werden, womit das, was wir als »Krise der Arbeitsgesellschaft« zu denken gewohnt sind (seit 1982, seit dem Soziologentag, auf dem Dahrendorf, Offe et al. diesem Sprachgebrauch zum Zuge verhalfen), weniger dramatisch wird. Für den Umbau des Arbeitsbegriffs wird konstatiert: »Letztlich ist es unsere Produktion im weitesten Sinne, nicht allein der Prozess der industriellen Erzeugung materieller Güter, über die wir uns definieren: wir sind, was wir produzieren.« (26)
Der historische Exkurs zurück in die Agrarwirtschaft soll den hohen Anteil an Eigenproduktion dort zeigen und verdeutlichen, dass die Konzentration auf Güterproduktion und Erwerbsarbeit nur eine Übergangsphase war, die den Wohlstand der Nationen (Smith ist Kronzeuge) schnell und wirksam, aber einseitig voranbrachte. Das Fazit: Die Konzentration auf bezahlte Arbeit in der Güterproduktion gehört einer vergangenen Epoche an. Jetzt geht es darum, die Dimensionen menschlicher Produktivität und Kreativität, die »identitätsstiftend« sind, zum Einsatz zu bringen, um »eine völlig andere Organisation von Arbeit« (212) voranzutreiben.
Diese Stoßrichtung wird eingangs von Weizsäcker emphatisch zusammengefasst: Die Reduktion menschlicher Arbeit auf einen ökonomischen Produktionsfaktor verursache Schäden und sei eine Herabwürdigung. Arbeitslosigkeit bedeute so nicht nur Abnahme von materiellem Wohlstand, sondern beraube den Menschen auch der Möglichkeit von Selbstverwirklichung und aktiver Teilnahme an Gesellschaft. Indem die Autoren als zentrale Dimensionen von Lohnarbeit die Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand, Identität oder Selbstverwirklichung und die Frage der Partizipation an Gesellschaft aufnehmen, kommen sie erst gar nicht auf die Idee, das Lob der Arbeitslosigkeit als möglicher Muße zu singen und – wie das auch anderswo politisch diskutiert wird – die Frage einer existenziellen Krise mit Verweis auf ein Existenzminimum beiseitezuschieben. Es geht darum, die derzeitige Entwicklung, die auf eine Massenarbeitslosigkeit zusteuert, welche mehr als ein Drittel der Bevölkerung umfassen wird, als äußerst bedrohlich wahrzunehmen und ihre Lösung daher sofort anzugehen.
Die Autoren nehmen Forderungen aus dreißig Jahren Frauenbewegung auf: Anerkennung der Hausarbeit als Arbeit. Sie ergänzen: Anerkennung überhaupt der unzähligen ehrenamtlich verrichteten Tätigkeiten durch ihren Einschluss in den Arbeitsbegriff. Sie schlagen für die Zukunft im Prinzip eine Dreiteilung des Verständnisses von Arbeit als produktiver Tätigkeit vor. Die herkömmlich entlohnten Tätigkeiten sollen auf ca. 20 Stunden pro Woche reduziert werden (212); hinzu kommen solche Tätigkeiten, die man auch am Markt berechnen und kaufen könnte, die aber herkömmlich nicht bezahlt geleistet werden7, sondern »freiwillig« oder »wohltätig« (37) sind, wie Kinderbetreuung, Haushaltstätigkeiten, viele ehrenamtliche Tätigkeiten – sie werden zu 70 Prozent von Frauen getan und bilden, laut Berechnung des Familienministeriums von 1994, ein Drittel des Sozialprodukts in Deutschland (150). Schließlich gibt es Tätigkeiten, die gewöhnlich nicht als Tauschwerte ausgedrückt werden – die Autoren nennen Tätigkeiten des »Eigenkonsums« und der »Eigenproduktion« wie Reparaturen, Selbstbehandlung, Bildung (151) und behaupten, dass diese Tätigkeiten in »unserer Dienstleistungsgesellschaft« dauernd zunehmen. Als Beispiel führen sie etwa die Selbstbedienung in der Distribution und am Geldautomaten an, »wo vormals monetisierte Systeme abgeschafft werden« (151) und neue Typen entstünden wie der Prosument (nach Toffler zusammengesetzt aus Produzent und Konsument). Sie resümieren, »dass jede Strategie für die Entwicklung von Beschäftigung und produktiven Tätigkeiten alle drei Formen der Produktion parallel fördern muss« (145). Die Unterscheidung in diese Tätigkeitsarten dient dem Nachweis, dass eine Gesellschaft, die allein auf Tausch basiert – mit Geld als Vermittler und einer Berechnung der Verausgabung von Zeit –, immer weniger überlebensfähig ist. Freilich werden die Nutznießer nicht genannt, sodass man den Eindruck einer eher schicksalhaften Bewegung hat.
Diese Ausgangsbestimmungen legen nahe, dass ein Umbau auch eine kulturelle Tat ist, die eingreift in die Werthaltungen und Gewohnheiten der Menschen. Die Autoren bezeichnen dies munter als »kulturelles Abenteuer« (26).
Die Lohnarbeitszeitverkürzung soll flankiert werden durch ein Grundeinkommen und eine negative Einkommensteuer (179). Beides soll gewährleisten, dass niemand in Armut leben muss, aber im Ganzen geht es darum, »Arbeit zu subventionieren, nicht Untätigkeit« (181). Die Argumentation entspricht der in den USA und in England als Entwicklung vom »welfarestate« zum »workfare-state« propagierten. Alle sollen über ein Mindestmaß an Geld verfügen als Einkommen für produktive Arbeit und als Grundeinkommen für Ernährung, Kleidung, Unterkunft, Gesundheit. Unmittelbare Abhängigkeiten sollen dadurch überwunden werden: zwischen Männern und Frauen, Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Arbeitslosen und Arbeitslosenämtern usw. (176).
Die Vorschläge scheinen zumindest für ein so entwickeltes industrielles Land wie die BRD nicht vollkommen illusionär, wenn man z. B. bedenkt, dass die strategische Seite des Problems, die Arbeitslosigkeit, den Fiskus jährlich ca. 38 000 DM pro Kopf kostet. Dieses Geld wollen die Autoren