Die Vier-in-einem-Perspektive. Frigga Haug
ob dieses Produkt »Kind« dann auf irgendeinem Markt verkaufbar wäre, ob die investierte Arbeit sich also gelohnt habe. Befürchtet wird nicht nur von konservativer Seite, dass auf diese Weise nun auch »Liebestätigkeiten« entseelt würden, wenn man sie in Geld umrechnet. Die Nichtbezahlung von zeitintensiver Arbeit am Lebendigen ist nicht nur Gewohnheit und hat Tradition, sie ist nicht nur grundlegend für die Unterdrückung und Marginalisierung von Frauen, sie ist auch ein Hoffnungsposten in diesem Zivilisationsmodell, wo ansonsten nur zählt, was sich bezahlt macht, und durchfällt, was sich am Markt nicht bewähren kann.
Aber es geht im Bericht nicht nur dieser entscheidende Zusammenhang verloren. In der Leichtigkeit, mit der er die dominante Stellung der Lohnarbeit verabschiedet, wird die Rechnung gewissermaßen ohne den Wirt, ohne die Herren der Gesellschaft gemacht. In der Argumentation der Autoren taucht Lohnarbeit irgendwann in der Entwicklung der Arbeit (»plötzlich«, 90) auf; ihre Zeit scheint abgelaufen. Kein Gedanke wird verschwendet an die doppelte Verkehrung, welche die Form der Lohnarbeit anzeigt: dass hier auf gesellschaftlicher Stufenleiter privat gearbeitet wird, von Menschen, die frei genug sind, dies zu tun, und zugleich keine andere Möglichkeit haben, als ihre Arbeitskraft zu verkaufen, und dass dieser Zusammenhang die Entwicklung vorantreibt von Krise zu Krise, weil die Erzielung von Profit die Wirtschaftsweise regelt.
Damit wird fraglich, ob der Vorschlag tatsächlich hegemoniefähig ist, ob er also auf eine Massenzustimmung und eine Durchschlagskraft im Politischen rechnen kann. Vorläufig scheint es mir, als ob die eben aufgeführten Schwächen der Beliebigkeit und Gleichgültigkeit, die auf jede ethische Wertung verzichten und keinen Zwang auf individuelle Lebensweisen auszuüben scheinen, gerade die Stärken sind, die eine allgemeine Zustimmung hervorbringen können. Dies wird abgesichert durch das Versprechen eines existenzsichernden Einkommens, so vage dies auch im Einzelnen bleibt. Prüfen wir diesen Vorschlag für unsere reichen industriell entwickelten Gesellschaften, für die gleichwohl die »Krise der Arbeitsgesellschaft« ein brennendes Problem ist. Hier klingt die Vergewisserung von Selbstverwirklichung in Eigenarbeit oder im Hobby nicht gar so zynisch. Jedoch wird offensichtlich, dass »Selbstverwirklichung« als ganz individuelle Handlung gedacht ist, losgelöst von anderen und von Gesellschaft im Großen. Vereinzelt wählt jeder, ob er sich eher im Garten, im Kegelverein oder bei der Altenpflege verwirklicht. Er macht einen Lebensplan, wie er ein Menü zusammenstellt. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird ins Imaginäre geschoben.
Fazit
Die Ausgangsfrage war: Gibt es in der Entwicklung, für die der neue Bericht an den Club of Rome ein Indikator ist, einen Terrainwechsel, durch den unsere bisherigen perspektivischen Vorschläge und Kampfpunkte so einbezogen sind, dass eine linke Politik handeln muss und auf andere Weise als bisher auch kann? Die Frage kann bejaht werden. Das Ziel dieses Berichts ist nicht eine gute Gesellschaft, aber die drei Hauptachsen – die Halbierung der Erwerbsarbeitszeit, die Erweiterung des Arbeitsbegriffs, die Garantie eines existenzsichernden Einkommens und damit das Recht auf Arbeit und Leben in Gesellschaft – eröffnen neue Möglichkeiten, die wichtigen Fragen in großer Öffentlichkeit zu diskutieren. Sie sind ein Anfang, wie er in dieser Weise bislang nur in eher linken und vor allem feministischen Vorstellungen überlegt wurde. Dass diese Vorstellungen Mainstream werden, ist sicher auch eine Waffe gegen derzeitige gewerkschaftliche Diskussion und Vorschläge. Da die Autoren Realentwicklung aufnehmen und Lösungen vorschlagen, wo die Bedrohung schon offensichtlich ist – etwa bei Jugendlichen, Frauen, Alten –, wäre zynisch, wer hier bloß Ungenügen anmerkte. Wir müssen aus solchen Vorschlägen von oben eine Stärke von unten machen und das Projekt einer guten Gesellschaft unter Nutzung dieser Widersprüche vorantreiben.
»Schaffen wir einen neuen Menschentyp«. Von Ford zu Hartz
Revolution – dieses einmal kämpferische, mit Hoffnung und Schrecken besetzte Wort wurde längst weichgeklopft, breitgetreten, ins Beliebige verformt. Es kann ein neues Waschmittel ankündigen oder jede andere Ware bis hin zu Regierungshandeln: Ist die diskutierte Rentenreform nicht auch eine Revolution? Peter Hartz, ehemaliger Vorsitzender der gleichnamigen Kommission in der rot-grünen Regierung, legte in einem 2001 publizierten Buch den projektierten Arbeitsplätzen diesen Namen an: Job-Revolution. Obwohl das Buch im Verlag der FAZ erschien und von dort genügend Publicity bekam, sind die Vorhersagen, Methoden, Ziele kaum öffentlich diskutiert8. Da aber das Vorhaben weiterhin Grundlage von Regierungspolitik ist, legen wir es hier auf den Prüfstein. Das Buch spricht ganz offensichtlich im Zeitgeist. Es betreibt die ganz und gar ruchlose Verwandlung aller Worte in Waren, die im ständigen Ausverkauf noch um Marktvorherrschaft streiten. Das beginnt ja sogleich im Titel, den nicht zu beachten die Sache ins Halbbewusste schiebt. Revolution, gerade noch eine Metapher für Ausbruch und Aufbruch, Gewalt gegen zu lange ertragenes Unrecht, Blutbad und endlich Gerechtigkeit – in Begleitung eines Jobs rutscht die Auflehnung in die Niederungen von Arbeitssuche und Kräfteverbrauch, in die Verschiebung des Lebens auf die Zeit danach. Bei Hartz ist das Gegenteil gemeint. Die Verbindung von Job und Revolution veredelt den Job, er ist die Form, in der Arbeit unaufhörlich im Aufbruch ist, der Einzelne sich neu erfindet, Unternehmer ist. Die versprochene revolutionäre Dynamik setzt sich fort in Ausstattung, Kapitelüberschriften, farbig hervorgehobenen Versprechen und Tabellen noch und noch. Ohne Zweifel finden wir uns im Bereich der Werbung, des Buhlens um Kundschaft, die um ihr Begehren noch nicht weiß.
Der Autor ist seit 1976 Arbeitsdirektor im Personalmanagement, ab 1993 Vorstandsmitglied der Volkswagen AG, auch hier Arbeitsdirektor. Er übernahm den Vorsitz in der nach ihm benannten Kommission im August 2002. Er spricht von oben und vom Standpunkt der Wirtschaft über Arbeitsplätze und ihre Vermehrung – insofern ist von vornherein klar, dass es sich weder um ein wissenschaftliches Sachbuch noch um ein Gutachten handelt, gleichwohl bringt die Lektüre eine doppelte Überraschung. Das Buch kommt aus der unverhüllten, Sprache missbrauchenden, redundanten und schreienden Werbung nicht heraus, und dennoch ist dies der Grundstein, das Zeugnis, die Legitimation und fachkundige Beratung für die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung Deutschland: das Hartzmodell. Insofern lesen wir das Buch nicht nur als Vorschlag für Arbeitsmarktpolitik, sondern auch als Aufbruch in eine neue politische Kultur.
Das Fernsehen hat seine Zuschauer erzogen. Ein Film in einem Privatsender etwa wird von den sich stets wiederholenden Werbestücken unterbrochen, in denen einem suggestiv durch Farbenreichtum, Anmut, Exotik, Atmosphäre wie in einem Reiseprospekt und kurze Handlungsgags der Genuss einer bestimmten Kaffeemarke, eines Haarwaschmittels oder einer Fertignahrung geboten wird. Die untermalende Musik mischt sich mit den strahlenden Augen der schönen und jungen Menschen in der Werbehandlung – all dies ist lange schon Brauch und schon vielfach analysiert. Neu ist, dass es immer die gleichen Stücke sind, die durch solch einen Film ziehen wie ein Nummerngirl, sodass man in eine Art Trance gerät und das beleidigte und überdrüssige Bewusstsein anfangen muss, diese kleinen Handlungsstücke selbsttätig in den Film zu verweben und das Ganze als Unterhaltung zu verbrauchen, deren Informationen sich vielleicht zu Kaufentscheidungen sedimentieren. Dies ist Vorbild und Muster für unsere neue politische Kultur, wie sie im Buch von Peter Hartz vorgeführt ist.
Prüfen wir die Konstruktion eines solchen rhetorischen ›Nummerngirls‹, das mit besonderer Suggestivkraft Zustimmung organisiert: die Berechnung der Arbeitszeiten. Man kennt die Rede von der Zwei-Drittel-Gesellschaft als Drohung einer strukturellen Arbeitslosigkeit und Aussonderung eines Drittels der Bevölkerung aus aktiver Teilhabe. Hartz rechnet mit der damit verbundenen Angsthaltung und baut auf ihr die Legitimation für seine Vorschläge. Aber er dreht den Spieß um: Wir leben in einer 10-Prozent-Gesellschaft. »Der Anteil der Lebensarbeitszeit am Leben ist bereits unter 10 Prozent gesunken« (20). Kein Wunder, wenn das System in Krise ist. Der Trick dieser überraschenden Berechnung steckt im Wort »Leben«. Hartz konzipiert den Menschen als eine Maschine, die rund um die Uhr und ihr ganzes Leben arbeiten könnte. Dann begibt er sich an die Berechnung der Stillstandszeiten und kann erkennen, dass diese Maschine nicht ausgelastet ist.
»40 volle Jahre im Beruf mit durchschnittlich 1.400 Stunden effektiver Jahresarbeitszeit bei 80 Jahren Lebenserwartung (mal 8.760 Stunden pro Jahr) sind gerade einmal 8 Prozent des Lebens.« (20)
Auf dieser Grundlage, die fortan durch das gesamte Buch geistert, kann Hartz Zumutbarkeiten diktieren, alternative Nutzung vorschlagen, Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit anmahnen.