Die Vier-in-einem-Perspektive. Frigga Haug
sie ihre Basen heiße, an ihrer Seite sitzen und am Hochzeitsmahl teilhaben lasse. Das Mädchen schlägt ein, und die drei heben sogleich an und spinnen in kürzester Zeit alle Kammern aufs Schönste leer.
Die Königin ist ebenso zufrieden wie der älteste Sohn, der eine so fleißige und geschickte Frau bekommen soll, und sie richten die Hochzeit. Das Mädchen bittet darum, ihre drei Basen einzuladen. Wie die drei abgearbeiteten Weiber zur Tür hereinkommen, ruft der Bräutigam erschrocken: »Wie kommst du zu der garstigen Freundschaft?« Darauf fragt er die erste: »Wovon habt Ihr einen so breiten Fuß?« – »Vom Treten des Spinnrads«, antwortet sie, »vom Treten.« Da fragt der Bräutigam die zweite: »Wovon habt Ihr nur die herunterhängende Lippe?« – »Vom Lecken des Fadens«, antwortet sie, »vom Lecken.« Da fragt er die dritte: »Wovon habt Ihr den breiten Daumen?« – »Vom Fadendrehen«, antwortet sie, »vom Fadendrehen.« Da erschrickt der Königssohn und spricht: »So soll mir nun und nimmermehr meine schöne Braut ein Spinnrad anrühren.« Damit ist sie das schädliche Flachsspinnen los. Der Pakt hat sich für sie doppelt ausgezahlt: Sie bekommt den Prinzen und braucht nicht mehr zu spinnen. Jetzt kann auch sie sich dem Wohlleben, der Schönheitspflege und den mit Muße möglichen Tätigkeiten und Künsten widmen, was ja auch besser zu einer Königin passt.
Die Geschichte hat es hinter den Ohren. Sie erzählt von weiblicher List, von schlechter Arbeit und Armut und von merkwürdiger Scham, vom reichen Leben durch Geburt oder bei Frauen auch durch Heirat. Sie zieht uns zunächst in das Einverständnis, uns, empört über die Faulheit der Tochter, mit der Mutter zu verbünden. Doch schon wenig später finden auch wir, dass der Widerstand gegen Arbeit gerechtfertigt ist. Da wir zumindest eine Ahnung davon haben, dass einseitige und womöglich lebenslange Vernutzung bei der Arbeit zu Verunstaltungen und frühzeitiger Erschöpfung führen kann, verbünden wir uns jetzt spontan gegen die Arbeit, freilich etwas zagend, weil wir uns und unseren Kindern kein Leben im Luxus und ohne Arbeit leisten können. Und doch verlockt uns die Aussicht, nicht einfach bloß faul sein zu dürfen, sondern obendrein alle Möglichkeit zu haben, unsere kulturellen Fähigkeiten zu entwickeln und so etwas wie lernende Muße zu genießen. Kurz, wir werden probehalber imaginäre Mitglieder des selbst noch von Herrschaftsarbeit freigesetzten Teils einer herrschenden Klasse, in der die Einzelnen viele menschliche Möglichkeiten entfalten auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung, die auf diese Weise, gemessen am menschlich Möglichen, ein verkümmertes Leben führt. Wir merken plötzlich, dass wir es bisher aus schierer Gewohnheit hingenommen haben, dass es für die meisten Menschen kaum Entwicklungschancen gibt.
Die Märchenwelt ist bei aller Grausamkeit, von der sie ebenfalls kündet, voller Träume vom wünschbaren Leben. Für unseren Gebrauch wenden wir uns nicht an Träume wie den vom Schlaraffenland, wo immer Milch und Honig fließen und gebratene Schweine mit Messer und Gabeln im Rücken darauf warten, gegessen zu werden. Hier ist die Verbindung zu unserem tätigen Leben gänzlich abgeschnitten. Stattdessen wenden wir uns Überlegungen zu, die, wiewohl utopisch, doch der Möglichkeit nach noch in unserer Welt handeln, auf deren Änderung sie dringen.
Von Ernst Bloch haben wir gelernt, aus Utopien Kraft für Veränderung zu schöpfen. Wenn die tatsächliche Geschichte eine Geschichte der Unterdrückung der vielen ist, zieht sich die Kraft des Veränderns in Traumbilder einer Gesellschaft ohne Entfremdung zurück. Wenn wir im Gegenwärtigen auf eine Weise stecken, dass Veränderung schwer gedacht werden kann, und wir noch von ihr träumen, gilt es, den Traum auf den Boden der Wirklichkeit zurückzustellen. Bloch nennt solche Sehnsucht »die einzige ehrliche Beschaffenheit des Menschen« (Ergänzungsband, 55) und »verstecktes Heimweh«, das vom »Vorbewussten« (288) und vom Noch-nicht zehrt. Es geht um Grenzüberschreitungen, um ein Planen von besseren Inhalten, die möglich wären (290), also darum, Utopie immer konkreter werden zu lassen. Und schließlich geht es darum, das schon in der Französischen Revolution Bewusste so aufzunehmen, dass damit endlich ernst gemacht wird: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – was wir als Frauen mit Solidarität übersetzen und um Gerechtigkeit ergänzen.
Dass man Neugier auf Zukunft hegt, konkrete Möglichkeit zurückgewinnt und Kommendes als Sprengkraft in der Gegenwart ausmacht – in diesem Sinn nutzen wir utopisches Denken.
Im Märchen sahen wir spielweis Dimensionen des Lebens, zwischen denen gewählt werden konnte: Arbeit und gegen sie, wenn auch kaum ausgeführt, Luxus, nicht als Faulheit, sondern auch als Tätigkeit, als Entwicklung schöpferischer Möglichkeiten. Aber das eine ist ja nicht verschwunden aus der Sphäre des menschlich Notwendigen, wenn man, wie die Tochter, einfach das andere wählen kann. Es wird erledigt durch Arbeitsteilung, bzw. als Arbeitsteilung tritt auch auf, dass die einen genießen, was die anderen erarbeiten, sich entwickeln auf Kosten der anderen. Um Arbeit so zu teilen wie im genannten Märchen, muss Arbeitsteilung verbunden sein mit Herrschaft. Teilung der Arbeit und Verfügung der einen über die anderen gilt auch für das Verhältnis zwischen Mann und Frau – als das erste Klassenverhältnis, wie Marx und Engels das ausdrücken –, dann zwischen Kopf und Hand, zwischen Stadt und Land. Die Geschichte der Arbeitsteilungen, ihres Segens und ihres Fluches ist gesondert zu studieren – hier betrachten wir nur das Resultat: Verfügung der Männer über die Arbeitskraft der Frauen, der Kapitalbesitzer über die der gegen Lohn Arbeitenden, der Regierenden über die regierten Subalternen, die so nicht selbst ihre Gesellschaft machen, der Entwicklung einiger auf Kosten vieler.
Die aus solchen Ungleichheiten geborenen Protestbewegungen, von denen wir lernen wollen, traten ungleichzeitig in die Geschichte und protestierten gegen je verschiedene Unterdrückungen, die sie am meisten bedrängten, partiell. Wir konzentrieren uns hier auf vier solcher Bewegungsimpulse: diejenigen, die der Lohnarbeit als fremdverfügter Arbeit entspringen; diejenigen, die aus der Verfügung der Männer über die Frauen herrühren; diejenigen, welche die Abtrennung des Politischen von den unmündigen Subalternen durchbrechen; und schließlich diejenigen, die dagegen protestieren, dass den meisten Menschen die konkret-mögliche Entwicklung ihrer Anlagen vorenthalten wird. Die verschiedenen Bewegungsimpulse spielen zusammen, bestimmen und gestalten einander; sie sind also auch immer als Zusammenhang zu studieren.
Der Form der Lohnarbeit entsprang Arbeiterbewegung mit dem Anspruch, alle Menschen aus der Knechtschaft zu befreien, weil es unterhalb der nurmehr über ihre Arbeitskraft Verfügenden keine weitere Klasse mehr geben könne. Der Befreiungsanspruch zielte auf alle Menschen, da im Großen und Ganzen alle als Lohnarbeiter gedacht waren, wenigstens der Tendenz nach. Die Arbeiterbewegung hatte die bedeutendsten Theoretiker, die als Manifest hinterlassen konnten, was zu tun wäre. Daher rührte eine stolze Bereitschaft der Vertreter dieser Bewegung, sich selbst allein für das Zentrum zu halten. In diesem Kontext wurde entsprechend über Frauenbefreiung nachgedacht. So schreibt Engels:
»Die Befreiung der Frau wird erst möglich, sobald diese auf großem, gesellschaftlichem Maßstab an der Produktion sich beteiligen kann, und die häusliche Arbeit sie nur noch in unbedeutendem Maß in Anspruch nimmt […] möglich durch die moderne Industrie […], die auch die private Hausarbeit mehr und mehr in eine öffentliche Industrie auszulösen strebt.« (MEW 21, 158)
Und Rosa Luxemburg:
»Als bürgerliche Frau ist das Weib ein Parasit der Gesellschaft, ihre Funktion besteht nur im Mitverzehren der Früchte der Ausbeutung; als Kleinbürgerin ist sie ein Lasttier der Familie. In der modernen Proletarierin wird das Weib erst zum Menschen, denn der Kampf macht erst den Menschen, der Anteil an der Kulturarbeit, an der Geschichte der Menschheit.« (GW 3, 410 f)
Noch radikaler Lenin:
Bäuerinnen und Proletarierinnen »werden erdrückt, erstickt, abgestumpft, erniedrigt von der Kleinarbeit der Hauswirtschaft, die sie an die Küche und an das Kinderzimmer fesselt und sie ihre Schaffenskraft durch eine geradezu barbarisch unproduktive, kleinliche, entnervende, abstumpfende, niederdrückende Arbeit vergeuden lässt.« (LW 29, 419)
Die Frauenbewegungen, zumal die der 1970er Jahre, legten offen, dass diese Sicht nicht nur bloß negativ auf Hausarbeit und Sorgearbeit blickt, auf etwas, das abgeschafft gehört, statt auch als Ort, an dem lokales Wissen und entsprechende Haltungen gewonnen werden, die menschlich unentbehrlich sind (situated knowledges), sondern auch, dass mit der Kritik der Lohnarbeit nicht alles erledigbar ist, dass weitere Herrschaft abzubauen ist – die der männlichen Verfügung über weibliche