Geburtsort: Königsberg. Ursula Klein
Trost geben. Eigentlich war das ein einfaches Rezept. Das wollte sie in Zukunft auch bewusster anwenden, wenn sie einmal Probleme hatte. Und lächelnd summte sie das Lied, das ihre Mutter angestimmt hatte, mit.
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Die beiden letzten Jahre waren die bisher schwersten in der Familie Krohn. Zwar hatten sie das Haus noch behalten und Vater hatte immer noch Arbeit, aber der Hunger und die allgemeine Armut waren groß. Rein statistisch gesehen sank das Realeinkommen eines Reichsbahn-Betriebsarbeiters, also bei Vater Krohn, von 1913 bis 1923 auf 50 % bei 48 Wochenstunden Arbeitszeit. Familie Krohn musste also bei einer ständig größer werdenden Familie mit der Hälfte des Geldes auskommen. Die Kinder bestaunten zwar die immer größer werdenden Summen auf den Geldscheinen, konnten aber nicht so recht glauben, dass man dafür im Laden nur so wenig Waren erhielt.
Und Otto und Anna suchten im täglichen Gebet gemeinsam mit den Kindern Trost und Hilfe. Ihre Zwiesprache mit Gott war jedoch immer auch von Dankbarkeit getragen, dass ER sie in diesen schweren Zeiten bisher so treu versorgt hatte.
Neben dem täglichen, sich ständig wiederholenden Ablauf beobachtete Vater Krohn besonders die wirtschaftlichen Vorgänge in der Stadt und im „Reich“. Alle Informationen, die sein persönliches Leben und das seiner Familie betreffen könnten, registrierte er unter der einfachen Berechnung: „Wenn das …. jetzt so ist, dann kann das …. Folgen für uns haben.“
Und so registrierte er zufriedenstellend, dass durch die Inflation wieder einige Betriebe ihre Arbeit aufnahmen, da es sich für einige Kapitaleigner lohnte, Kredite aufzunehmen, weil der Zinssatz real ständig sank. Die Bestätigung hatte er durch den Hauskredit. Der Betrag für die Zinsen blieb fast immer wie früher, obwohl nun schon mit Billiarden gerechnet wurde.
Im vergangenen Jahr, also 1922, hatte die Produktion schon wieder 80 % des Vorkriegsstandes erreicht. Wer also Arbeit hatte, konnte sich unter den gegebenen Bedingungen auch zur Not versorgen. Zwar war gerade die Arbeitslosenzahl im November wieder auf 23,4 % im Reich gestiegen, weil auch wieder sehr viele Kleinbetriebe Bankrott anmelden mussten, aber an diese allgemeine Situation hatte man sich schon fast gewöhnt.
Auch die Länder und Gemeinden – genau wie Vater Krohn – nutzten die Inflation, um die Schulden zu tilgen, so auch Hypothekenschulden. Doch dieser „Bezahlung von Grundschulden“ setzte das Reichsgericht dann einen Riegel vor. Es erzwang die Aufwertung „alter“ Grundschulden für Gebäude, die vor dem 1. 7. 1918 bezugsfertig gewesen waren. Für diese Objekte musste eine „Hauszinssteuer“ in Höhe von 25 % extra entrichtet werden. Nun war guter Rat teuer. Das traf auch für „56“ zu.
Vater blieb nichts anderes übrig, als zu seinen Mietern zu gehen und ihnen die Sonderzahlung anzukündigen. Lange Gespräche waren mit den 11 Mietparteien des Vorderhauses notwendig, da keiner zahlungsfähig war. Auch empfanden die Mieter es als ungerecht, dass diese zusätzliche Zahlung für die 3 Mietparteien des Hinterhauses nicht erforderlich waren. Mit Einzelgesprächen kam Vater nicht voran. Er lud kurzerhand alle in seine Wohnung ein. Jeder musste seinen Stuhl mitbringen. Und heiß entbrannten die Diskussionen.
Doch ausziehen wollte keiner der Mieter. Alle fühlten sie sich wohl in einer sauberen Umgebung, in dem Haus, wo keine Zwietracht geduldet wurde, jeder ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der anderen hatte, gegenseitige Hilfe und Achtung groß geschrieben wurden. Und so kam Vater Krohn letztlich doch noch zu einer Einigung mit allen Mietern. Es sollte in Kürze eine grundlegende Wende in der Währung kommen:
Am 15. November 1923 konnte man an allen Litfasssäulen das Wort „Währungsreform“ dick gedruckt lesen. Große Menschenmengen drängten sich vor den Plakaten, Jeder wollte wissen, was das nun schon wieder bedeutete. Vater Krohn kaufte kurz entschlossen eine Zeitung, denn das wollte er in Ruhe Zuhause studieren und Mutter auch gleich über diese Neuigkeit informieren. Da stand in großen Lettern:
„Währungsreform!
Am 15. 10. 1923 wurde die „Deutsche Rentenbank“ gegründet, die vom Staat unabhängig arbeitet. Ihr Grundkapital ist eine hypothekarische Belastung allen gewerblich-genutzten Grundbesitzes zu ihren Gunsten. Die Berechnungsgrundlage war der 1913/14 erhobene "Wehrbeitrag“, - einer Vermögensabgabe der einzelnen damaligen Betriebe in Höhe von 3,2 Milliarden Mark. Auf der Grundlage dieser fiktiven Deckung gibt die Deutsche Rentenbank eigene Wertscheine heraus. Die „Rentenbankscheine“ lauten auf „Rentenmark“. Eine Rentenmark entspricht einer Goldmark. Diese Scheine sind noch kein öffentliches Zahlungsmittel, sie müssen aber von öffentlichen Kassen angenommen werden.
Das Reich – also die noch bestehende Reichsbank - erhielt heute von der „Deutschen Rentenbank“ 1,2 Milliarden Rentenmark als zinslosen Kredit und 1,2 Milliarden Rentenmark zur Weiterleitung an die Geschäftsbanken. O, 8 Milliarden Rentenmark behält die Deutsche Rentenbank als Reserve. Heute werden die Notenpressen stillgelegt.
Damit wird die Papiermark stabilisiert, weil die Deutsche Rentenbank streng auf die Begrenzung der 3,2 Milliarden Rentenmark als Höchstgrenze achtet. Die Berechnungsgrundlage für 1 Rentenmark = 1 Billion Mark.“
(Quelle: Blaich, Deutsche Geschichte der neuesten Zeit)
Vater legte die Zeitung weg und atmete tief durch. „Na, Gott sei Dank, dass ich nicht mehr mit einer Tasche voll Geld einkaufen muss und dafür kaum etwas Essbares bekomme“, sagte Mutter zufrieden. „Das war aber auch höchste Zeit, dass sich der Staat etwas einfallen ließ. So konnte es ja nicht weitergehen! Hoffentlich hält die Deutsche Rentenbank, was sie versprochen hat, nämlich nicht mehr Geld zu drucken als auch Gegenwerte dafür vorhanden sind.“
Nach einer kleinen Pause sagte Mutter etwas schüchtern: „Nun brauchen wir nur noch die neuen Geldscheine. Wer weiss, wann die in Umlauf kommen. Aber jetzt haben wir wenigstens schon einen Preisvergleich, wenn wir auf die Rentenmark umrechnen können. Wenn dann nicht jeder sein Geld sofort wieder in die Geschäfte trägt, weil er keine Angst mehr zu haben braucht, dass es in ein paar Stunden nichts mehr wert ist, bekommen wir vielleicht wieder mehr Waren zu kaufen, ich muss nicht mehr so lange im Geschäft anstehen und alles wird besser.“ (Anmerkung: Die Rentenmark wurde erst am 30. 8. des folgenden Jahres als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt und hatte immer noch den Verrechnungswert von 1 Billion Mark. Die „alte“ Mark wurde bis Juli 1925 aus dem Verkehr gezogen.) „Na, siehst du, Anna, „Gott hilft nicht zu jeder Frist, hilft er doch, wenn's nötig ist.“
Obwohl sich das Leben nicht grundsätzlich geändert hatte, bewirkte die Währungsreform doch bei den Menschen für die Zukunft so etwas wie Sicherheit und Perspektive. Sie vertrauten – auch wenn etwas verhalten – auf diese neue Währung, da sie auf Grund und Boden beruhte.
Und so wurde bei Familie Krohn wieder Weihnachten vorbereitet, das von der Vorfreude und dem sich gegenseitig Freude bereiten geprägt war.
Und Ostern wurde eine neue Etappe eingeleitet: Lisbeth wurde am Palmsonntag konfirmiert und begann die Lehre als Schneiderin. Die Eltern hatten auch nur zu gerne einen Lehrmeister für diese Ausbildung gesucht, denn dadurch konnte Mutter besser entlastet werden. Lisbeth hatte schon immer gerne bei den Näharbeiten geholfen, doch nun wollte sie es richtig lernen.
Die Erstgeborene war schon immer die „Große“, obwohl sie klein von Wuchs war. Aber Konfirmation bedeutete auch gleichzeitig, in die Reihen der Erwachsenen aufgenommen zu werden. Und das bewirkte allerhand Änderungen: Das Konfirmationskleid war kein Kinderkleid, sondern wie für eine junge Dame von Mutter geschneidert worden. Die Zöpfe wurden zu einer „Gretchen-Frisur“ um den Kopf gelegt, damit später ein fraulicher Haarknoten daraus werden konnte. Feierlich hatte Vater ihr zum Tag der Einsegnung ein silbernes Kreuz mit Kette um den Hals gelegt und ihr den väterlichen Segen gegeben. Nun war sie kein Kind mehr. Obwohl sie selbstverständlich noch Zuhause wohnte und Vater auch für die Ausbildung das Lehrgeld bezahlt hatte, war dieser Tag eine Wende. Nun sollte sie ‚erwachsen‘ sein. Das bedeutete auch, dass sie in den Kirchenchor aufgenommen wurde, ein eigenes Gesangbuch und eine Bibel bekam und ein richtiges Gemeindemitglied wurde. Wenn sie sich dann später eine Gitarre oder Mandoline kaufen konnte, wurde sie auch in diesen Verein aufgenommen.
Die feierliche Einsegnung in der Kirche war für alle ein erhebendes Gefühl. Die Konfirmanden saßen in der ersten Reihe. Sie hielten