Leere Hand. Kenei Mabuni
Energien zu akkumulieren, die gesamte Körpermuskulatur in einem Augenblick zu kontrahieren und dann explosionsartig loszulassen. Gewöhnlich spricht man dabei von ki oder omoi.
Foto 14: Analyse des kake te im Shuri-te: Die Hand blockt und greift.
In den modernen Kata lassen sich die Unterschiede zwischen dem Shuri-te und dem Naha-te kaum noch erkennen. Die ursprünglichen Stile unterscheiden sich aber deutlich voneinander. Das betrifft nicht nur die Prinzipien der Stöße und Tritte, sondern auch die konkreten Techniken. Als Beispiel soll hier die Blocktechnik der aufgelegten Hand, kake-te, dienen (siehe Fotos 12-15). Diese Technik existiert sowohl im Shuri-te als auch im Naha-te, aber die Anwendung unterscheidet sich. Im Shuri-te als Distanzkampf wird der vorstoßende Arm des Gegners auf Distanz abgefangen, und das Auflegen erfolgt mit einer greifenden und ziehenden Bewegung (Fotos 12 und 14). Im nahkampforientierten Naha-te dagegen ist die Distanz zum Gegner reduziert, und sein Angriff wird mit der hochgestellten Hand abgelenkt (Fotos 13 und 15).
Foto 15: Analyse des kake te im Naha-te: Die Hand blockt und leitet den Angriff ab.
Der Ursprung des Tomari-te
Das früheste Tomari-te wurde nach der mündlichen Überlieferung »von einem Pilger, den man Anan42 nannte, von der chinesischen Provinz Shandong auf die Ryūkyū-Inseln gebracht«. Mehr weiß man darüber nicht. Als Ahnherr des neuzeitlichen Tomari-te gilt Matsumora Kōsaku (1829-1898). Er soll unter den Lehrern Teruya Kise (1804-1868) und Uku Karyū (1800-1850) gelernt haben, die ihrerseits Schüler des oben genannten Anan waren. Im Itosu-Karate gibt es viele Kata aus dem Tomari-te, die nach Matsumora benannt sind. Mehrheitlich sind diese dem Shuri-te nahe, gelegentlich aber auch dem Naha-te.
Shitō-Karate als Erbe des Okinawa-te
Das moderne Karate auf den japanischen Hauptinseln umfaßt vier große Strömungen: Shōtōkan ryū, Gōjū ryū, Wadō ryū und Shitō ryū. Der Shōtōkan-Stil beinhaltet einen Teil des Shuri-te. Der Gōjū-Stil beruht ausschließlich auf dem Naha-te. Der Wadō-Stil enthält darüber hinaus auch einen Teil des Shuri-te, allerdings als Jūjutsu arrangiert. Die einzige Richtung, die alle Stile des Okinawa-te enthält, ist das Shitō-Karate.
Auf Okinawa gibt es heute hingegen drei Hauptströmungen: Shōrin ryū, hervorgegangen aus dem Shuri-te, Gōjū ryū, entstanden auf Grundlage des Naha-te, und Uechi ryū, ein Stil, der das südchinesische Kempō repräsentiert. In letzterem sind die Grundmuster des chinesischen Kempō noch stärker präsent als im Naha-te. Meister Uechi Kanbun (1877-1948) entwickelte den nach ihm benannten Stil nach seiner Heimkehr von einem Studienaufenthalt in der Provinz Fukien. Meister Uechi ging Anfang der 20er Jahre auf die Hauptinseln und eröffnete in der Präfektur Wakayama einen Verein, in dem sein Stil trainiert wurde. Als mein Vater ebenfalls auf die Hauptinseln und in dieselbe Präfektur zog, kam es zu einem regen Austausch mit Uechi Kanbun, dem er freundschaftlich verbunden war. So wurden auch einige der Kata des Uechi-Stils in das Repertoire des Shitō ryū aufgenommen. Auf der Grundlage von Techniken, die Uechi Kanbun meinem Vater in Wakayama zeigte, entwickelte dieser die Kata Shimpā. Da diese Kata unvollständig geblieben war, habe ich sie nach dem Tod meines Vaters vervollständigt.
Uechi Kanbuns Sohn und Nachfolger, Meister Uechi Kanei (1911-1991), wohnte in Ōsaka, in der Nähe des Bezirks Nishinari. Ich erinnere mich, daß ich kurz nach meiner Ankunft in Ōsaka einen Okinawa-Heimatverein in Nishinari besuchte, in dessen Räumlichkeiten regelmäßig unter seiner Leitung trainiert wurde.
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