Das Kreuz. Astrid Seehaus

Das Kreuz - Astrid Seehaus


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      Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig.

      Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf.

      Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach.

      Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit.

      Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.

      Die Liebe hört niemals auf.

      Aus: Hohelied der Liebe, 1 Kor. 13

      Je suis Charlie

      „Es ist meine Geschichte und doch ist es jedermanns Geschichte.

      Es geht um Liebe und Schmerz, um Verlust und Verrat.

      Es ist eine alltägliche Geschichte und könnte dich betreffen.

      Oder dich.

      Oder jenen da.

      Aber, nein, sie betrifft mich.

      Es wäre schön, wäre alles Lüge.“

      Das Lügenmädchen Katta

      aus Wind Over Dunloch von Liz Dairy

      Es würde ein beschwerlicher Weg werden. Bei diesem Wetter besonders lang und anstrengend. Aber Er wäre bei ihm. Er fühlte Ihn in seiner Nähe. Es war Seine Stimme, die er hörte. Sein Flüstern. Seine Worte. Was wollte Er ihm mitteilen? Oder irrte er sich?

      Hatte ihn jemand angesprochen und es war nicht Er, der mit ihm sprach?

      Er schwitzte. Sein Nacken fühlte sich an wie Stein. Der Stoff rieb unangenehm auf seiner Haut.

      Mit jedem Schritt empfand er Demut. Und Stolz.

      Er dachte nach. War er dem Hochmut erlegen? Hatte er zuviel gewollt? War das, was er getan hatte, falsch gewesen?

      Er bekam die Gedanken nicht richtig zu fassen. Die Bilder kamen und verschwanden wieder. Das Atmen fiel ihm schwer, und seine Beine zitterten. Er stieß gegen einen Stein und konnte gerade eben verhindern, dass er stürzte.

      Er fragte sich, wer die Schuld trug.

      Die Last des Kreuzes drückte ihn nieder. Schritt folgte auf Schritt. Er sollte sich nicht beklagen.

      Das hier war sein Weg des Leidens.

      In der linken Hand hält eine aufrecht stehende Christusfigur den goldenen Kelch. Die rechte Hand ist zum Segnen des Inhaltes erhoben. Das Christusgewand ist rot, der Umhang kobaltblau. Davor auf zwei Tischchen befinden sich für das symbolische „Brot und Wein“ drei kleine Brotlaibe und Weintrauben. Das Brot ist frisch, die Weintrauben sind Attrappen. Die Christusfigur wird von sechs schwarz gekleideten Männern auf ihren Schultern getragen.

      Rosenmontag

      Nichts hätte Frank Rothe, Polizeikommissar in Heilbad Heiligenstadt, in diesem Moment mehr erschüttern können als die Tatsache, dass er sich doch tatsächlich von seinem Untergebenen Martin Neureiter hatte überreden lassen. Noch bevor Rothe den Klingelknopf drückte, wusste er, dass dieser Besuch eine ausgesprochen bizarre Idee war, wenn nicht sogar vollkommen idiotisch. Er hätte nicht auf den Obermeister hören sollen, der Jüngste in seinem Team, zugegebenermaßen ein helles Köpfchen, jedoch manchmalein bisschen oberschlau.

      Wenn Rothe es recht betrachtete, war es immerhin besser, sich mit einem Neureiter und seinen Einfällen herumzuschlagen, als angeschwiegen zu werden. Schweigen konnten die Eichsfelder, er hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt. Und so war Neureiter sein einziger Freund im neuen Umfeld. Ein Freund, den er nicht vor den Kopf stoßen wollte. Das war auch der Grund gewesen, diese Einladung zu einem ausgelassenen Faschingsabend, wie nur die Eichsfelder ihn feiern können (Originalton Neureiter), anzunehmen.

      Erfurt war bekannt für den größten Karnevalsumzug Thüringens, doch was wusste Rothe schon vom Eichsfelder Karneval. Nichts. Wenn er doch nicht in diesem lächerlichen Sheriffkostüm stecken würde. Hatte seine Tochter Jessi ihm diesen Floh ins Ohr gesetzt? Er befürchtete, er war es selbst gewesen, der auf diese Schnapsidee gekommen war. Natürlich war er kein Karnevalsignorant. Wenn er früher in Erfurt keinen Dienst gehabt hatte, hatte er gefeiert. Es war die andere Seite in ihm, die Bedenken äußerte. Der Psychologe, der neben dem Singlevater und dem Polizisten auch noch in ihm steckte; und der fragte, ob er sich einen Sheriffstern an die Brust geheftet hatte, weil er mehr Mann sein wollte, als er tatsächlich war. Die Stimme war unnachsichtig und wollte wissen, ob er dieses Symbol von Männlichkeit und Stärke brauchte. Und wenn ja, warum und als Kompensation für was. Wie sah sein Liebesleben aus?

      Rothe verkniff das Gesicht. Diese Selbstanalyse nervte. Er seufzte. Nun hatte er bereits mehrfach geklingelt und niemand öffnete. Wenn Bäcker darauf hoffte, Rothe würde sich lächerlich machen, indem er durch ein Fenster stieg, würde der Kollege sich täuschen. Rothe zog es dann eher vor zu gehen. Auch wenn Simone ihm später Vorhaltungen machen würde.

      Ob sie auf ihn wartete? Irgendetwas stimmte seit einiger Zeit nicht zwischen ihnen. Er hätte seine Qualitäten als Liebhaber sehr gern unter Beweis gestellt, war aber an ihrem Unwillen gescheitert. Sie wollte nicht, wenn er wollte, und dass sie mal wollte, kam gar nicht vor, kurz gesagt: Simone war so verschlossen wie ein Priester, der sich auf das Beichtgeheimnis berief.

      Rothe zog den Finger zurück, der gerade erneut die Türglocke auslösen wollte.

      Würde es dem Team schaden, wenn er tatsächlich nicht auflief? Würde es dem Team überhaupt nützen, wenn er dabei wäre? Würde es ihm den Zugang zu Sture Bäcker erleichtern? Würde sein Kommen überhaupt einen besseren Teamplayer aus ihm machen? Grundsätzlich war das gemeinsame Feierabendbier immer gut und richtig. Nicht nur ein gemeinsam gelöster Fall schweißte zusammen und machte aus einem Haufen unterschiedlicher Persönlichkeiten ein Team, auch gemeinsamer Humor oder gemeinsam erlebte Freizeit, gemeinsame Erfahrungen, wie eben auch das ab und zu gemeinsam gestemmte Bier, konnten einem die Kollegen näher bringen. Sie waren noch kein richtiges Team. Jedenfalls kein vergleichbares zu den Erfurter Kollegen, die er Knall auf Fall hinter sich gelassen hatte. Bereute er seinen Weggang aus Erfurt? Bisher hatte Rothe Neureiters Anläufe, ihn auf den Fußballplatz mitzunehmen, wegen seiner Tochter ausgeschlagen. Sie brauchte ihren Vater, mehr als der Heiligenstädter SC einen weiteren Zuschauer. Aber Sture Bäcker war ein Problem. Er wirkte wie ein Monolith in einer zerklüfteten Landschaft. Rothe war vor einem Jahr wie ein Meteorit in der Kreisstadt aufgeschlagen und versuchte seitdem, seine Persönlichkeit zu entfalten und seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, was manchmal enorm erschwert wurde. Schon allein auch wegen Hauptmeister Simone Nolte, Pressesprecherin der Heiligenstädter Polizei. Er war in sie verliebt. Dachte er zumindest. Bisher war er davon ausgegangen, sie würde das Gleiche für ihn empfinden. Aber es schien komplizierter. Sie war die Venus und er der kleine Sputnik. Auf Dauer war das ziemlich anstrengend. Gedankenverloren polierte er den Sheriffstern. Wäre er doch besser als James Bond gegangen!

      Die Musik im Haus wurde plötzlich lauter. Er konnte nicht beurteilen, wie viele Menschen schon vor ihm gekommen waren, die Straße war jedenfalls auffallend leer.

      War er überhaupt richtig?

      Er trat einen Schritt zurück und überprüfte die Hausnummer. Sie stimmte. Es musste noch einen Hintereingang geben. Er wollte sich schon abwenden, um danach zu suchen, als die Haustür aufsprang und er in die Dunkelheit des Flures gezerrt wurde.

      „Da bist du ja endlich“, schnaufte eine Stimme an seinem rechten


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