Das Kreuz. Astrid Seehaus

Das Kreuz - Astrid Seehaus


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K. Connolly: Diese Frau könnte niemals über die Liebe schreiben, da sie ihr Herz erst suchen müsse. Aber wo soll man suchen, wenn man kein Herz hat?

      Kati Miller, die Giftspritze unter den Kolumnisten und verhinderte Autorin. Ihr Debüt war auf der Liste der hundert besten Romanveröffentlichungen auf dem letzten Platz gelandet. Auf der gleichen Liste stand Lizzys Roman Schneesturm über Alaska an erster Stelle. Natürlich hätte Lizzy sich in einem Live-Interview nicht darüber äußern sollen. – Kati Miller verspüre zwar den Wunsch zu schreiben, könne es aber nicht. – Es war ein Fehler. Vielleicht sogar der größte in Lizzys Karriere. Kati Miller war aufgrund ihrer wöchentlichen Kolumne bekannt wie ein bunter Hund und der Liebling der Nation, und sie, die Ausländerin, hatte sich kritisch geäußert. Hella Lemkowsky, ihre Interviewerin, hatte gefeixt, danach einen Karrieresprung gemacht und war seitdem der neue Star im Frühstücksfernsehen. Lizzy hätte es nicht ungeschickter anstellen können. Und es hatte doch alles so verheißungsvoll angefangen …

      Nach ihrer traumhaften Hochzeit hatte sie sich eine traumhafte Ehe vorgestellt. Das Haus, das sie als Liebesnest gekauft hatte, war nicht weniger traumhaft. Die besten Innenarchitekten hatten ihre Fantasie von Licht, Luft und Leichtigkeit umgesetzt. Es war nicht naiv gewesen zu meinen, sie könnte es besser machen als all die anderen. Aber sie war eben leider doch vor lauter Liebe ziemlich blind gewesen.

      „Was ist? Hörst du mir überhaupt zu?“, fragte Percy kurz angebunden.

      Automatisch nickte Lizzy. „Ist in Ordnung, ich werde dir ein neues Exposé schicken“

      „Bis morgen Abend.“

      „Ja, sicher.“

      „Und denk daran, was ich dir gesagt habe. Keine Romantik, sondern Sexszenen. Denk an Shades of Grey! Und mit jedem Kapitel muss eine Wendung her. Das wollen deine Leser.“

      Lizzy unterdrückte ihre Ungeduld und beließ es bei einem wiederholten Nicken.

      „Du musst den Stoff in sechs Wochen liefern. Die Frage, wie du das schaffst, lasse ich jetzt mal unter den Tisch fallen. Du musst es schaffen. Es ist deine letzte Chance. Danach kann ich nichts mehr für dich tun.“

      Percy war wie eine Katze um den heißen Brei geschlichen, und nun war es heraus: Sie würde sie fallen lassen, wenn es soweit war.

      Ein frostiger Abschied und Lizzy ging offline, klappte ihr Notebook zu und steckte es in ihre weite Umhängetasche. Es wäre besser, das Gerät mitzunehmen. Zwar war alles passwortgeschützt, aber sie hatte sich durch die jahrelange Erfahrung als Prominente angewöhnt, gerade in Amerika, wo der Klatsch über Promis ganze Armeen an Journalisten beschäftigte, stets auf Nummer sicher zu gehen. Unbemerkt verließ Lizzy das Haus ihrer Gastgeber, bestieg den gemieteten silbergrauen A4 und nahm den Weg nach Norden. Während sie Heiligenstadt verließ und die Autobahn querte, ließ sie ihre Gedanken wie Treibgut kommen und gehen.

      Sie war sich nicht sicher, ob der Schritt von Boston zurück ins Eichsfeld wirklich der richtige war. Und dann auch noch nach Seeburg. Sie hatte den frühmorgendlichen Blick über den See immer geliebt – das Auge des Eichsfeldes –, wenn der Morgendunst tief über dem Wasser hing. Weder der Charles River noch der Neponset River in Boston konnten diesen schmerzlich vermissten Anblick heimatlicher Schönheit ersetzen. Bei manchen Morgenstimmungen hätte es der Fall sein können, wenn sie den Verkehrslärm hätte ausblenden können (oder den Geruch). Dass man seine Heimat im Herzen trug und mitnahm, war eine romantische Verbrämung für Heimweh. Sie war niemals wirklich in Boston angekommen. Das wusste sie jetzt. Nur war die Frage, ob sie aus freien Stücken zurückkehrte oder dazu getrieben wurde.

      Sie hatte es nicht eilig. Solange es keinen Schneeregen geben würde, fühlte sie sich im Wagen sicher. Vielleicht sogar mehr als in einem Hotelzimmer. Sie war so sehr in Gedanken, dass sie die Abzweigung nach Teistungen verpasste. Da sie keine Lust verspürte zu wenden, würde sie die kurvenreiche Strecke nach Nesselröden nehmen und versuchen, die Fahrt zu genießen. Sie fuhr die Serpentinen hinunter nach Siemerode, sah links die Windräder, passierte rechts eine kleine Mariengrotte, Reste einer Obstbaumreihe säumten den Weg. Der kalte Nieselregen tauchte die Landschaft in Grau und dimmte ihre Stimmung. Sie passierte Weißenborn und dachte an die Goldene Mark mit dem See. Wenn es vor 2500 Jahren nicht zu diesem Einsturz eines unterirdischen Hohlraumes gekommen wäre, gäbe es den See mit dem angrenzenden Feuchtland nicht. Das Land war zwar weitestgehend drainiert, hatte aber von jeher die Menschen gefordert. Es war niemals leicht gewesen, hier zu leben. Seit den Siebzigern standen weite Flächen unter Naturschutz. Das waren die Fakten, die sie in der Schule gelernt hatte. Aber um sich von der Landschaft berühren zu lassen, musste man sich vom Schulbuchwissen lösen und den Wind auf den Wangen spüren, die von Feuchtigkeit gesättigte Luft einatmen, musste man den Geräuschen lauschen: dem Schlagen des Wassers an das Ufer, dem Rufen der Vögel, dem entfernten Dröhnen der Maschinen, die die Saat ausbrachten. Es hatte Tage gegeben, an denen war ihr Herz mit der Welt im Einklang gewesen. Dieser Seelenfrieden erschien ihr im Nachhinein reiner und klarer als alles, was sie im Laufe ihres Lebens in einer Kirche empfunden hatte. Doch auch wenn sie ihre Heimat vermisste, so konnte sie nicht nach Seeburg zurückkehren.

      Das Leben in Amerika hatte sie verstummen lassen – vielleicht waren es aber auch Peter und die Medien gewesen, – was an sich keine Kunst war, da sie noch nie eine große Rednerin gewesen war. Aber das waren die hiesigen Bauern auch nicht, und dennoch hatte sie stets das Gefühl begleitet, ein unsichtbares Band hielte sie zusammen. Die Trennung von Peter bedeutete nicht automatisch den Wegzug aus Boston. Im Nachhinein war das vielleicht ein Fehler gewesen. New York, das Mekka der Intellektuellen, wäre eine Option gewesen. An Los Angeles hatte sie nie ernsthaft gedacht. Trotz der Touristen war Los Angeles nur Potemkinsche Kulisse.

      Dass Valentin ohne Vater aufwuchs, war ihre größte Sorge. Er war zwar schon vierzehn, aber brauchte nicht gerade ein Vierzehnjähriger einen Vater? Peters Brief war unmissverständlich. Er wollte in Erziehungsfragen ein Wörtchen mitreden. Auf einmal?! Woher kam dieser plötzliche Sinneswandel? Sie hasste ihn. Doch ganz gleichgültig, wie ihre Situation momentan aussah, noch lag alles in ihren Händen, und das nächste Buch konnte wieder ein Bestseller werden. Aber Percys Themenvorschlag für das neue Buch lag ihr im Magen. Sie könnte Percy und ihre Ideen natürlich auch ignorieren, und der Kommissar bliebe nicht der ewig mürrische, ruppige Ermittler mit schlechtem Benehmen, ohne Takt und Einfühlungswillen. Aber was käme dann? Würde Percy die Zusammenarbeit auflösen? Lizzy brauchte sie. Valentins ungute Entwicklung hatte sie in ihrem Wunsch bestärkt, Amerika den Rücken zu kehren, doch das warf große Risiken auf. Sollte sie den Bostoner Verlag wirklich verlassen? Alternativen hatten sich bisher nicht aufgetan. Sie hatte aber auch keine gesucht.

      Ohne in den Rückspiegel zu schauen, bremste sie, hielt am Fahrbahnrand und zog ihr Handy heraus. Die Finger glitten über die Ziffern. Eine Zahlenfolge, die sie wöchentlich wählte und dabei Unsummen für die Gespräche ausgab. Das Freizeichen erklang. Sie ließ es klingen. Als niemand abhob, versuchte sie es erneut. Sie wählte und wartete.

      Was fühlte sie? Diese Frage war eine von den vielen Fragen, die sie neuerdings nicht mehr mit Sicherheit beantworten konnte. Die Amerikaner verstanden sich gut darin zu manipulieren. Und sie war jahrelang Teil dieser Manipulationsmaschinerie gewesen, hatte in Interviews gesagt, was man ihr vorgab und was die Leute hören wollten, hatte getragen, was man ihr vorgab und die Leute sehen wollten etc. pp. Und das gleiche hatte sich dann auch bei der Schreiberei eingestellt. War sie zu Anfang ihrer Karriere noch eine frei denkende und handelnde Autorin gewesen, so wurde auch da die Maschinerie um sie herum immer perfekter. Verlagsmenschen oder Percy höchstpersönlich arbeiteten plötzlich an ihren Themen, gaben ihr Themen vor, wollten sie in der Erfolgsspur halten. Einmal ein Krimi, immer ein Krimi. Einmal eine Liebesromanze, immer eine Liebesromanze. So ähnlich wie bei der Besetzung der Schauspieler: einmal der Böse, immer der Böse. (Peter hatte die Rolle des Herzensbrechers bevorzugt. Beruflich wie auch privat.) Und das war so lange gut gegangen, bis die Medien Sand hineingestreut hatten. Sie dachte an Hella Lemkowsky und das verpatzte Interview. Ihre Gedanken schlugen eine plötzliche Kapriole. Natürlich ging es um den Hof.

      Lizzy legte das Handy weg. Es hatte keinen Sinn, ihre Mutter aufzusuchen. Sie schien nicht da zu sein.

      


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