Fallsucht. Lotte Bromberg

Fallsucht - Lotte Bromberg


Скачать книгу
Die Panke plätschert vorbei, paar schöne Bäume auf dem Hof, was will man mehr, um ins Leben zu starten.«

      Die Tür öffnete sich einen Spalt und ein verquollener Mann um die Vierzig taumelte heraus. »Das ist die Heulsuse«, donnerte es aus dem Hintergrund. »Der ist nicht mal ’nen Pott Kaffee wert.«

      Jakob zog den Mann aus dem Vorraum, winkte den Kollegen am Portal und übergab ihnen den Schluchzenden. Er ließ sich das Tablett mit dem Kaffee und eine große Tüte belegter Brötchen geben, stellte beides auf den grauen Linoleumboden vor die Tür des Lehrerzimmers, nahm sich ein Brötchen und setzte sich neben die Tür. »Zimmerservice«, rief er. Die Tür öffnete sich einen Spalt.

      »Woher weeß ick, daß da nüscht zum Schlafenlegen drin ist?«

      »Laß Deine Gäste essen und trinken. Wenn sie nach einer Stunde noch wach sind, ist der Rest für Dich. Aber dann ist der Kaffee kalt.«

      »Leck’ mich.«

      »Du kannst uns natürlich auch einfach vertrauen«, sagte Jakob und biß von dem Brötchen ab. »Der Käse schmeckt nach Aldi

      Eine behaarte Hand, geschmückt mit einer beachtlichen Goldkette, zog an dem Tablett, krachend schloß sich die Tür. Jakob wartete schweigend und kauend. Gummi, dachte er. Eine Schrippe war das zuletzt im Mittelalter.

      »Großmaul«, hallte es eine Viertelstunde später aus dem Lehrerzimmer, »bist Du noch da?«

      »Wie könnte ich weggehen, ohne mich von Dir zu verabschieden.«

      »Sag denen, ich will Kaviar. Und Lachs. Schampus. Persecco.«

      »Wir sind hier im Wedding, wo sollen die das denn herholen?«

      »Ist mir doch egal, KadeWe oder so. Genau, ich will einen richtig fetten Freßkorb. Von ganz oben, wo die Geschniegelten immer sitzen und uns angucken, als müßten wir ihnen die Schuhe putzen.«

      »Weißt Du, wie lange das dauert? Da müssen wir erst den Chef vom KadeWe überzeugen, daß er Dir kostenlos einen zusammenstellt, weil, auf Staatskosten geht das gar nicht, Du kennst ja unseren Finanzsenator, spart an allen Enden. Und außerdem jagst Du dann die nette kleine Kollegin hin, die vor der Tür wartet und die bekommt den ganzen Zoff ab, dabei kann sie gar nichts dafür. Nee, das gefällt mir nicht, das lassen wir.«

      »Und wenn ich meinen Geiseln was antue?«

      »Sitzt Du in der Scheiße. Und Kaviar kriegst Du trotzdem nicht. Schmeckt übrigens sowieso nicht. Stell Dir vor, Du langst in ein Salzfaß, in dem etwas Glibberiges schwimmt, das nach nix schmeckt.«

      »Und warum essen die das dann alle?«

      »Damit Leute wie Du denken, daß sie die sind, denen die Schuhe gehören und nicht die, die sie putzen.«

      »Ich hab’ aber Hunger.«

      »Das waren zehn Schrippen, haben Deine Geiseln Dir nichts übriggelassen?«

      »Ich bin eben gut erzogen.«

      Jakob lachte.

      »Hör’ auf zu lachen, Du Arsch.«

      »Sei nicht so empfindlich. Was hältst Du von Pizza?«

      »Gibt der Polizeipräsident Dir das wieder?«

      »Der mag keine Pizza.«

      Man einigte sich auf eine Einladung aus Anlaß der neuen Bekanntschaft. Jakob kehrte mit einem Stapel Pizzakartons auf dem Arm zurück in den Vorraum. »So langsam wird mir das aber zu blöd, mit Dir immer durch die Tür zu reden. Ich lasse meine Knarre hier draußen, wenn Du willst, kannst Du mir ja dabei zusehen, und dann kommen die Pizza und ich rein.«

      Stille.

      Jakob legte seine Waffe auf die Fensterbank und öffnete langsam die Tür. Die Mitte des Lehrerzimmers war gefüllt mit zusammengeschobenen Tischen. Darum gut dreißig Stühle, darauf jede Menge Schulhefte, Bücher, Stiftmappen. Lehrers Arbeitsplatz, nicht mal ein eigener Schreibtisch für jeden. Am gegenüberliegenden Ende des Raumes verschanzte der Geiselnehmer sich hinter einem Regal, in seinem Arm eine Geisel, an deren Hals er theatralisch ein großes, böse blinkendes Messer drapiert hatte. Die Frau war langstrippig blond, in Lehreruniform. Jeans, T-Shirt, Pullover drüber, Nickelbrille. Sie sah aus, als bräche ihr demnächst das Genick von allein.

      Links vom Geiselnehmer unter dem Fenster saß die Reihe der übrigen Geiseln, acht müde, schweißnaß gerötete Lehrergesichter, die sich in ihr schon lange so ähnlich erwartetes Schicksal fügten. Sie waren aneinander und an die jetzt im Februar unangenehm heißen Heizungsrohre mit Seilen gefesselt. Jakob ging zielstrebig auf die raumgreifende Tischplatte zu und verteilte seine Pizza. »Leider wußte ich nicht, was Deinen Geschmack trifft, deshalb habe ich die Speisekarte rauf und runter mitgebracht. Salat ist nicht dabei, ich dachte mir, Du bist sicher kein Grünzeugesser.«

      »Woher willst Du das wissen?«, fragte der Geiselnehmer, ohne das Messer vom Hals der Lehrerin zu lösen.

      »Soll ich noch mal losgehen und welchen holen?«

      »Quatsch, stell’ Dich da hinten an die Wand zu den anderen und binde Dich fest.«

      Jakob öffnete seelenruhig den ersten Pizzakarton und wedelte sich den Duft zu. »Das mache ich sicher nicht. Hast Du schon mal von einer Einladung zum Essen gehört, wo nur einer essen darf? Also, laß die Frau los, komm’ her und such Dir eine aus.«

      Der Mann führte die Frau zu den anderen Geiseln und versuchte sie zugleich anzubinden und Jakob nicht aus den Augen zu lassen.

      »Deine Pizza wird kalt, Mann. Glaubst Du, ich zahle so viel Geld für kaltes Gummi? Die Brötchen waren schon schlimm genug. Also, laß die Frau gehen und komm endlich her.«

      Der Mann legte den Kopf schief und sah ihn an. Die Schulglocke läutete das Ende der sechsten Stunde ein.

      »Siehst Du, jetzt hat sie Schulschluß. Was sollen denn ihre Leute zuhause denken, wenn sie nicht kommt.«

      Der Mann ließ die Lehrerin los. Entgeistert sah sie zwischen ihm und dem Messer hin und her. »Worauf wartest Du, Alte, verschwinde, bevor ich es mir anders überlege.« Er wedelte mit der Hand, als sei sie eine lästige Fliege. Die Frau sah zu Jakob, der zur Tür deutete und sich ein erstes Stück Pizza nahm. Hastig stolperte die Frau los, riss die Tür auf und verschwand. Jakob sah zur weit geöffneten Tür und fragend zu dem Geiselnehmer. Der hob sein Messer, schüttelte den Kopf und ging selbst zur Tür. Sah vorsichtig um die Ecke und verschwand im Vorraum. Jakob kaute weiter. Als der Mann zurückkehrte, hatte er Jakobs Waffe in der Hand. Jakob kaute nicht mehr.

      »Ist die geladen?«, fragte der Geiselnehmer und ließ sie am ausgestreckten Zeigefinger baumeln.

      »Das solltest Du nicht ausprobieren. Wenn die draußen einen Schuß hören, wird gestürmt und das überlebst Du nicht. Nimm lieber etwas Pizza. Hier, mit schön viel Salami.« Jakob schoß die Schachtel quer über den Tisch in Richtung des Geiselnehmers. Die Pappe kam an einer wildledernen Stiftmappe ins Straucheln, stieß gegen einen krummen Heftstapel, der sich zögernd entschloß, vom Tisch zu stürzen. Der Geiselnehmer öffnete ungerührt den Karton, riß ein Stück Pizza ab, faltete es zusammen und schob es sich in den Mund. Mit fettigen Fingern griff er wieder nach der Waffe, dieses Mal schon deutlich routinierter. »Der bei mir um die Ecke ist besser.«

      Jakob zog die Schultern hoch. »Die Schrippen waren schlimmer.«

      »Kaviar muß ich trotzdem mal kosten.«

      »Wenn wir alle heil draußen sind, lade ich Dich ins KadeWe ein."

      »So siehst Du aus.« Der Geiselnehmer lachte. »Ich und ein Kripomann, noch dazu einer vom Mord.«

      »Woher weißt Du das, sollte ich Dich kennen?« Jakob nahm sich eine Papierserviette vom Stapel der übrigen Pizzakartons, wischte sich sorgsam die fettigen Finger ab und sah den Geiselnehmer an.

      »Du bist eine Legende, Mann. Ein Bulle, der ’nen Kollegen in den Knast bringt, weil der seine Mausi umgenietet hat, obwohl der Fall längst


Скачать книгу