Fallsucht. Lotte Bromberg

Fallsucht - Lotte Bromberg


Скачать книгу
mit seinen überdimensionierten Pantinen zu überqueren. Verschämt sah er Penta kurz von unten an und ergriff einen Oberschenkel seines Vaters als Mast im Sturm.

      »Ist nun alles in Ordnung, oder gibt es noch andere Schwierigkeiten, die ich aus dem Weg räumen muß, damit wir ins Geschäft kommen?«

      »Ist das Dein Boot?«, fragte Penta in den braunen Schopf hinein.

      Der nickte ohne hochzusehen und rammte Löcher in den Sand.

      »Willst Du, daß ich Dein Boot gesund mache? So, daß es wieder in das Wasser kann und Du an seine Segel?«

      Jetzt hob er den Kopf, sah Penta erst am linken Ohr vorbei, ließ seine Augen über ihr Haar streifen, bevor er sie, ganz kurz, direkt ansah und schließlich nickte.

      »Dann mache ich das, kleiner Mann.« Penta streckte die Hand aus und der Kleine schlug, geschubst von seinem Vater, ein.

      IV

      Kriminalrat Hans-Dieter Fockemeyers Bürotür stand wie immer weit offen. Niemand, der ihn kannte, würde es wagen, einfach über die Schwelle zu treten. Focke war nur scheinbar Verfechter flacher Hierarchien, die geöffnete Tür fungierte als subtiles Machtmittel und gab Aufschluß über die Charakterstruktur seines Besuches.

      Jakob klopfte an den Türrahmen. Sein Chef sah hoch und winkte ihn jovial herein, ohne sein offenbar amüsantes Telefongespräch zu beenden. Als Jakob vor dem Schreibtisch angelangt war, erschallte ein dröhnendes Lachen. Sicher nicht das erste, Schweißperlen glitzerten auf der haarlos hohen Stirn. Jakob wartete geduldig und aktualisierte seine Kenntnisse der mächtigen Buche vor dem geöffneten Fenster. Ihr Grün war von tränentreibender Zartheit, jetzt im Mai. Noch war wenig von der Härte zu sehen, die ihre Blätter im Verlauf des Sommers annehmen würden. Alle fingen flaumig an.

      Focke warf das Telefon auf den Tisch. »Hagedorn, mein Lieber, schon wieder beim Tagträumen? Schön, Sie zu sehen, setzen Sie sich.«

      Jakob fiel auf den Besuchersessel und sah seinen Chef an.

      »Krankgeschrieben sind Sie immer noch, nicht wahr? Gut sehen Sie aber aus. Ist ja wohl auch nix, das einem im Gesicht steht. Dachte mir, vielleicht haben Sie Lust, wieder bißchen reinzuschnuppern in ihr altes Leben.« Er griff sich einen schwankenden Aktenstapel und ließ eine nach der anderen Akte krachend von links nach rechts wandern.

      »Da ist sie ja. Gewaltsamer Todesfall. Der noch offene Fall des Kollegen Dings, Sie wissen schon, der mit dem Rücken. Lag flach kurz vor der Aufklärung, wie das so ist. Opfer war eine Professorengattin aus Schlachtensee mit Milieuvergangenheit. Hübscher Beleg für die These, daß man die Frau aus dem Puff, aber nicht den Puff aus der Frau bekommt. Vielleicht erinnern Sie sich sogar, war eine äußerst unappetitliche Schlachteplatte in einer muffigen Anglerhütte an der Havel. Irgendwelche Körperteile sind sogar bis heute abgängig. Gott, wie doppeldeutig, Schlachtensee und Fleischermetaphern, ich sollte das Dichten anfangen. Der Witwer ist nicht nur gescheit, sondern auch noch öffentlich erfolgreich, hoffe, das bekommen sie hin mit Ihren sensiblen Fingerspitzen. Schauen Sie, ob Sie sich das schon wieder zutrauen. Wirklich was Leichtes für Angeschlagene. Schuman heißt er, Heinz, jetzt habe ich’s. Guter Mann eigentlich, aber der Rücken, da kann man nichts machen.« Er schoß Jakob die Akte über den Tisch zu, der sie an der Kante stoppte.

      »Wie soll das denn vor sich gehen, wollen Sie, daß ich mich gesund schreiben lasse?«

      »Aber nein. Ich dachte mir, Sie schnuppern einfach mal ein bißchen, etwas Reha, Sie verstehen? Bleiben Sie ruhig weiter krankgeschrieben, bis Ihre Sache geklärt ist.«

      »Meinen Sie die Gerichtsverhandlung?«

      »Die natürlich auch. Und Ihr krankes Hirn«, er wackelte rechts und links der Ohren mit den Händen, »weiß man da schon Genaueres?«

      Jakob schüttelte den Kopf.

      »Kann auf jeden Fall nicht schaden, Sie auf andere Gedanken zu bringen. Viel vor die Tür müssen Sie nicht, ist alles ermittelt. Sehen Sie sich den Tatort an, Petri heil, lesen Sie die Akte, das wird schon reichen. Dann nur noch die Haftbefehle rausjagen und aus die Maus.«

      Jakob runzelte die Stirn.

      »Gefällt Ihnen nicht? Keine Geister, keine Medien, die Sie zum Helden machen? Bewegung durch die Stadt ist zur Zeit doch nicht so ratsam, oder? Bleiben Sie mal schön sitzen, da fallen Sie nicht so tief.« Fockes Lachen dröhnte in Jakobs Schädel. »Nix für ungut. Auf den Fluren macht man härtere Witze. Gibt nicht viel zu lachen in der Keithstraße, gönnen Sie den Kollegen ihr kleines Vergnügen.«

      »Ich gewöhne mich zur Zeit an so allerlei, das ich mir nie hätte träumen lassen.«

      »Wer weiß, wozu es gut ist.« Focke verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lehnte sich weit in seinem ledernen Chefsessel zurück. »Kann noch einiges auf Sie zukommen, ungefragt und in Bildern.«

      Jakob zog sich die Akte auf den Schoß. »Vielleicht wäre es besser, Sie stellten mir den Kollegen Blum zur Seite. Nur zu Sicherheit, falls ich aus dem Rahmen falle.«

      »Ach was, das schaffen Sie doch allein. Was ist schon eine tote Nutte mit angeheiratetem Professorentitel für Sie? Ihr Freund Oskar hat genug mit seinen eigenen Fällen zu tun. Auftragsmorde, bulgarische Mafia. Die sind von anderem Kaliber, weniger Reha.«

      »Aber was mache ich, wenn doch nachrecherchiert werden muß? Immerhin bin ich krankgeschrieben.«

      »Ich werde es mir überlegen, irgendein unterbeschäftigter Kollege wird sich schon finden, um ein paar Botengänge zu erledigen.«

      Focke beugte sich vor und schlug mit beiden Handflächen auf den Tisch. »Also was ist? Ich habe nicht ewig Zeit. Machen Sie es oder lassen Sie es bleiben?«

      »Mein Kopf braucht neuerdings etwas länger für Entscheidungen.«

      »Vergessen Sie nicht, es ist auch eine Chance für Sie, es allen zu beweisen.«

      »Habe ich das nötig?«

      »Das wissen Sie selbst am besten. Ich gebe Ihnen bis übermorgen, in Anbetracht Ihrer verfallenen Situation, danach ist ein anderer Kollege dran, vom Raub, würde ich sagen, die haben zur Zeit leichte Überkapazitäten.«

      Dr. Johanna von Bredow war eine wirklich große Frau. Geneigt waren der schmale Rücken und ihr Kopf, was kleinere Artgenossen als sympathische Defensive deuteten, tatsächlich aber nur anzeigte, wie unvollständig sie sich ohne ihr Cello im Arm fühlte.

      Das Hochaufgeschossene lag in der Familie, auch Hannas fünf ältere Schwestern eroberten die Welt aus lichter Höhe. Nach einer Pause von neun Jahren hatte die Mutter sie geboren und darauf bestanden, jede ihrer weiblichen Orgelpfeifen sei ein Wunschkind.

      Einen Vater hatten all die Langen nie gesehen. Hannas Mutter war mit einem meist in familiären Ländereien in Übersee abwesenden Familienvorstand aufgewachsen und hatte wenig vermißt. So suchte sie einen gutdotierten Beruf mit Freiraum, wurde Professorin an der FU und füllte als Beamtin mit beachtlichen Bezügen gelassen ihr Leben mit einer Mädchenstimme nach der anderen.

      Das Kosmopolitische des Vaters hatte sich vererbt. Hannas Mutter unternahm, als Biologin mit Hang zur Flora ferner Länder, weite und ausgiebige Forschungsreisen, um Setzlinge für die Wissenschaft und Samen für den adeligen Nachwuchs aufzunehmen und kehrte fünf Mal geschwängert von fremden Kontinenten zurück.

      So wuchs, in einer riesigen Altbauwohnung am Rüdesheimer Platz unter drei Meter zehn entfernten Decken, Hanna heran, umrankt von tropischen Pflanzen, die in ihrem explodierenden Wachstum zum Ausdruck brachten, daß auch sie inmitten dieser interkontinentalen Weiberschar nichts vermißten.

      Die Anlage der von Bredowschen Familie hatte sich durch Jahrhunderte, Pestilenzen und Kriege geboxt und war in den Mädchen, trotz der aufmüpfigen Erzeugerwahl ihrer Mutter, erstaunlich dominant geblieben. Auf den in Hessisch Sibirien abgehaltenen Familientreffen wurden mandelförmige Augen und undeutscher Teint skeptisch beäugt, bis die Mädchen auf Bredows Schulterhöhe herangewachsen waren. Dann nahm man sie auf, nicht ohne Stolz, sich, genetisch


Скачать книгу