Im ersten Gang geht’s immer rauf. Jens F. Meyer
Sie das, Monsieur?“ – Es ist zugegebenermaßen eine bescheuerte Frage, denn natürlich ist er es, aber man lässt ja nichts unversucht, um die eigene Neugierde zu stillen. Das Foto an der Wand zeigt ganz deutlich Marc Mercier, den Maître d’hôtel und Besitzer des „Le Grand Monarque“, mit einem sehr bekannten Franzosen: Seite an Seite mit Michel Platini zu stehen, ist nicht alltäglich, „aber auch viele Jahre her“, sagt der freundliche Monsieur mit dem breiten Lächeln. Er habe eine Zeit lang für den Europäischen Fußballverband (UEFA) als Koch gearbeitet, bis er sich seinen Traum von Unabhängigkeit erfüllen konnte. Jetzt ist er sein eigener Chef im Hotel zu Füßen der Église Notre-Dame-du-Pré in der schnuckeligen Ortschaft Donzy, die am Nachmittag am Wegesrand liegt auf der Reise durch die Bourgogne-Franche-Comté, wie es Ortschaften wie diese gemeinhin zu tun pflegen: nicht aufdringlich, aber mit überwältigendem Charme zwischen Verfall und edler Patina. Etwa 1600 Einwohner zählt die Gemeinde am Fluss Nohain. Michel Platini gehört nicht dazu.
Ton in Ton: Savane und Notre-Dame-du-Pré in Donzy
Marc Mercier steht neben einem riesigen, alten gusseisernen Herd, über dem schwere Pfannen und Töpfe aus Kupfer herabhängen. „An diesem Herd habe ich mein Handwerk gelernt.“ Heute gehört er zu denen, die es verstehen, gehobene Küche kunst- und lustvoll auch auf Teller derer zu zaubern, die sich für das Essen nicht gleich hoch verschulden wollen. Im „Logis de France“-Hotelführer, quasi einer Bibel für Frankreich-Reisende, die keinen Wohnwagen hinter sich herschleppen – für einen R4 ohnehin kaum möglich (aber machbar!) – und von Wurfzelten, Isomatten und Ameisen in der Unterhose wenig halten, wird Merciers Herberge mit drei Kaminen („cheminée“) und zwei Töpfen („cocotte“) bewertet, was schon ziemlich gut ist. Angesichts dessen, was an diesem Abend auf die Teller kommen wird und – so viel sei im Voraus verraten – morgen nach dem Aufstehen als Frühstück auf und an eben jener gusseisernen Traditionskochstelle bereitsteht, die nur noch als Zierde dient, dürfte der dritte „cocotte“ in greifbarer Nähe sein.
„Le Grand Monarque“ ist eines dieser vielen Logis-Hotels, denen man von außen nicht ansieht, was drinsteckt. Noch die Vergangenheit der alten Postkutschenstation spürbar in der Fassade verankert, offenbart das Haus innen eine Mischung aus Modernität und gelassenem Charme der Vergangenheit. Wer nach opulentem Mahl und ein paar Gläsern Wein, von denen eines zu viel war, zum Zimmer in die obere Etage gelangen will, ist froh, sich am Seil im Treppenturm hinaufzuhangeln, das anstatt eines Handlaufs gespannt ist und für eine geradezu ritterliche Atmosphäre sorgt. Merciers Ehefrau Anne-Marie ist stolz auf das alles hier. „Und dass dort draußen auf unserem Hof eine Quatrelle parkt, hat es auch lange nicht mehr gegeben. Sehr lange“, sagt sie, zieht die Augenbrauen zustimmend nach oben und versucht, sich den letzten Gast mit einem Renault 4 hervorzurufen. Vergeblich. Muss sehr lange her sein. Umso schöner, dass da jetzt einer steht, der sich farblich den Fassaden angleicht. Das Fahrzeug passe perfekt ins Bild der geschichtsträchtigen Gasthausmauern und der Kirche im Hintergrund. Ein altes Haus, ein altes Gotteshaus, ein altes Auto.
Aber ein junger Wein. Auf der Terrasse, wo die Mieze des Hotels mausmäßig gerade Trübsal bläst, serviert Anne-Marie einen Cotteaux du Giennois der Domaine de Villargeau aus der Umgegend. Der Keller des Hotels offenbart noch eine Menge mehr wohlschmeckender Rebsäfte aus anderen Regionen, aber mit denen aus dem Umkreis sollte man bekanntlich beginnen. Und dieser hier ist wirklich gut. So schmeckt also Donzy! Ein paar Meter vom Hotel entfernt befindet sich ein Teich, der vom Flüsschen Nohain gespeist wird. Inmitten des Gewässers ist eine kleine Insel; von dort betrachtet ein Schwan das Nahrungsangebot, das höchstwahrscheinlich des Öfteren in Form von raschelnden Tüten mit Inhalt daherkommt. So schmeckt ihm, dem Schwan, Donzy. Und schon rauscht er auch heran und präsentiert sein flauschiges Federkleid im Stile einer Haute-Couture-Modenschau, der Angeber. Für die Könige Frankreichs waren diese stolzen Vögel übrigens Delikatessen; die direkten Vorfahren dieses Exemplars hatten viel Glück gehabt, weil Schwan heute nicht mehr in Töpfe und auf Teller kommt. Auch nicht im „Le Grand Monarque“.
Der heimliche König von Donzy ...
Ein Mühlrad dreht sich, es poltert, es plätschert und rauscht, und wer genau zuhört, wird das ewige Lied aus Verfall und Hoffnung erkennen, das in so vielen Ortschaften gespielt wird, hier vom Wasser, dort vom Wind. Donzy ist nicht arm, nicht reich, ist im Grunde so etwas wie das Paradebeispiel einer D-Straßen-Ortschaft. Bildhübsche Häuser auf der einen Seite, verlassene Betriebe und Gebäude, deren Mauerrisse mit jedem Tag größer werden, auf der anderen. Die jungen Menschen driften Richtung Paris, Auxerre, Orléans, die alten bleiben hier. Das ist das Schicksal, das sich Donzy hundertfach mit anderen Ortschaften in Frankreich teilt. Aber die D1, die haben nur wenige, die Mutter aller D-Straßen, sie führt direkt durch diese Gemeinde. Nicht dass man stolz darauf sein müsste hier in Donzy, da gibt es andere Vorzüge, aber Frankreichs Straßennetz ist mit über einer Million Kilometern, von denen rund ein Drittel auf Département-Straßen entfällt, schon ziemlich groß, und die D1 klingt doch sehr verheißungsvoll nach Anfang und Aufbruch.
Am nächsten Morgen: Der Tank ist voll, die Taschen gepackt, die Mieze schleicht ums Auto, noch immer ohne Maus. Was haben wir eingetragen ins Fahrtenbuch? Mal schauen, da steht: „Bad und WC super, mit Riesendusche samt Massagestrahl, rosafarbene Bodenfliesen; Chambre sehr komfortabel, sehr gutes Bett, breit, mit fester Matratze; Frühstück sogar mit frisch geschnittener Ananas und himmlischer Feigenmarmelade aus eigener Produktion, stimmungsvoll drapiert am gusseisernen Herd im Vorraum des Restaurants.“ Wir sagen den Merciers Dank, fahren vom Hof am nach wie vor selbstverliebten Schwan vorbei auf die D1 und brechen auf zu neuen Ufern, was sprichwörtlich zu nehmen ist, denn die Loire ist nicht mehr weit entfernt.
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