Im ersten Gang geht’s immer rauf. Jens F. Meyer

Im ersten Gang geht’s immer rauf - Jens F. Meyer


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Gut, Gasfuß, stellt schon mal den Cassis kalt, dort in Arc-en-Barrois, wir würden dann gleich vorfahren.

      Parkplatz direkt unterm Zimmerfenster in Arc-en-Barrois

      Arc, so wollen wir es hier ab sofort der Einfachheit halber nennen, ist zunächst erst einmal ein kleines Städtchen neben anderen noch kleineren Städtchen. Ganze 766 Einwohner – sollte das nicht eher ein Dorf sein? Aber nein, da haben wir die Rechnung ohne Schloss im Zentrum, Rathaus mit kompletter Geranienbelegung vor jedem Fenster, Hotel, Kirche und Apotheke im weißen Sandsteingewand gemacht! Zum Glück sieht wenigstens die Tankstelle so aus, als hätte nur schnell jemand die Zapfsäule an den Straßenrand gestellt, nachdem er sie auf einem Schrottplatz entdeckt und dann einfach hier vergessen hat. Wir füllen randvoll auf, das gute 98er-Super, und während der Tankwart gnädig das Geld entgegennimmt, stellt uns ein Zausel, dessen Peugeot ebenfalls eine Leckerei erhalten soll, die unmoralische Frage, ob ein Verkauf des fahrenden Altertümchens angedacht sei – es würde sich gut in seinem Fuhrpark machen. „Keine Chance“, bescheiden wir ihm, wie sollen wir denn standesgemäß beim Schlosse vorfahren? Gegen solche Argumente machtlos, lässt er uns aufbrechen – und wir fahren und fahren und fahren genau dreihundert Meter weiter, um schlussendlich auf dem entzückendsten Marktplatz einzuparken, den man sich nur vorstellen kann. Linker Hand ein Schloss aus weißem Stein, direkt fünfundzwanzig Schritte gegenüber die Auberge du Parc, ein großes Haus mit blauen Fensterläden. Daneben Bäckerei und mit dem Rathaus ein weiteres prachtvolles Gebäude. Alles ist so konzentriert um diesen Platz arrangiert, dass man sich nur einmal um die eigene Achse zu drehen braucht, um alles Interessante zu sehen. Im Hotel erhalten wir ein hinreißendes Eckzimmer, von deren zwei Fenstern wir einerseits aufs Rathaus blicken und andererseits auf Château, Kirche und Bäckerei. Es gibt leider keinen eigenen Hotelparkplatz, den wir wirklich gerne nutzen, anstatt unsere liebe Savane TL einfach so des Nachts öffentlich zugänglich abzustellen. Aber es geht nicht anders, wir müssen wohl oder übel eine Ausnahme machen. Immerhin: Der R4 steht direkt unter dem Fenster, und sollte sich jemand daran zu schaffen machen, könnten wir mit einem Sprung hinaus in die Nacht, barfuß und im Pyjama, direkt auf dem Übeltäter landen und ihn Jackie-Chan-gleich k. o. schlagen. Soweit die Theorie. Rein praktisch sind es trotzdem noch dreieinhalb Meter, also hoffen wir darauf, dass es nur Bewunderer aus der Ferne gibt, die interessierte Blicke auf das Auto werfen.

      Abendstimmung am Hotel du Parc

      Die Fenster des Zimmers sind groß und im unteren Drittel mit Eisengitter verziert. Eigentlich eine Light-Version des französischen Balkons. Er verleitet dazu, sich ans Fenster zu stellen und zu vergessen, dass das untere Drittel eben kein Mauerwerk, sondern nur französische Schmiedekunst ist, demzufolge der interessierte Einheimische die Bewohner dieses Eckzimmers in Unterwäsche bewundern kann, wie sie lässig hinausblicken. Die Belegschaft des Rathauses muss schon oft gelacht haben, und dem Pfarrer gegenüber ist wohl auch nichts Weltliches mehr fremd, zumindest was die Schlüpper angeht. Wir sind jedenfalls bestimmt nicht die Ersten, die sich hier nach dem Duschen so der Öffentlichkeit präsentieren …

      Diese französischen Städtchen, so unterschiedlich sie auch in ihrer Struktur und Architektur sind, haben eines gemeinsam: Es gibt immer eine gut frequentierte Bäckerei, eine Kirche, die tagsüber geöffnet und deren Fassade nachts stimmungsvoll angestrahlt wird, sowie ein Restaurant oder eine Brasserie, wo sich auch unter der Woche die Menschen zum Essen und Trinken treffen. Fußgängerzonen, wie wir sie aus vergleichbar kleinen deutschen Städtchen kennen und die eine tödliche Entscheidung für jedes Sozialleben darstellen, sind zum Glück fast unbekannt. Hier braust jeder mit dem Auto vor, holt sich seine Baguette, lässt dabei den Motor laufen, auch wenn’s mal länger als zwei Minuten dauert, weil des Bäckers bessere Hälfte noch ein wenig plaudern will, und verschwindet wieder in einer Dieselwolke. Umweltgerecht? Nö, aber es ist eben noch Leben in der Stadt vorhanden, und selbst die Älteren, die kaum laufen können, klettern mühsam aus zerbeulten Peugeots und zerkratzten Renaults, um auf die Schnelle etwas zu erledigen, währenddessen es in Deutschland kaum noch eine Bäckerei gibt, vor der man überhaupt vorfahren könnte. Im Supermarkt ist es doch viel billiger. Hier allerdings kann man aus dem Eckzimmer des Hotels Le Parc am Fenster stehend diesem Treiben stundenlang zuschauen. Viel ist nicht los, aber die letzten Baguette-Käufer fahren im Minutentakt vor. Tatsächlich baut sogar noch ein Pizzabäcker seine Bude auf; auch hier wird es noch für zwei Stunden Kundschaft geben. Wir lassen uns den Apéritif in einem leicht abgeranzten Hinterhof schmecken. Am Nebentisch ein Schwung Köche, die eine Riesenportion Nudeln mit Tomatensauce verdrücken. Schande, aber wenigstens mit Baguette!

      Am anderen Morgen, nach fulminantem Mahl im Restaurant mit Blick auf ein gewisses alpaka-farbenes Blechdach, erwachen wir durch Motorenlärm und plätschernde Laute. Der Blick fällt geradeaus durch das gegenüberliegende Fenster Richtung Rathaus. Dort steht ein Mann, fast Auge in Auge mit uns. Drei Fragen tun sich auf: Sind wir geschrumpft? Oder die Bewohner so groß? Und was zum Teufel plätschert da? Er wird doch nicht ... – Die Franzosen sind ja schnell bereit, der Obrigkeit ihren Unmut zu zeigen, aber nein, dieser Mann steht mit Zigarettenstummel im Mundwinkel lässig auf dem Dach seines Traktors und gießt die Geranien auf den Fensterbänken der Mairie. So geht das also! Wir hatten uns schon gefragt, wie man hier regelmäßige Wassergaben an die Pflanzen der öffentlichen Gebäude gibt, auch in Höhenlagen der oberen Etagen. Jetzt wissen wir’s: Es funktioniert, wenn man alle Regulierungen der Arbeitssicherheit ignoriert. Geht doch! Jeder deutsche Hausmeister – pardon: Facility Manager – würde sofort herbeistürzen und der Sache im Dienste der Unfallvermeidung ein Ende bereiten. Dafür würden dann aber auch die Blumen eingehen, aber Blumen an Rathäusern sind in Allemagne ja ohnehin selten. Hingegen wird hier in Arc und anderswo in aller Ruhe gegossen, bei lärmendem Treckermotor und mit Kippe.

      Die Blumen werden gegossen …

      Tasche packen, Kissen aus dem Fenster werfen (die eigenen), zum Frühstück wandeln und dabei von einer Horde ausgestopfter Hirschköpfe begutachtet zu werden – das ist des Reisenden Schicksal, wenn er in einer Gegend unterkommt, in der regelmäßige Jagdvergnügungen dazugehören.

      Welche Reisefreuden könnten schöner sein als die, wenn man ausgeruht und dermaßen satt vor die Türe tritt, sodass man glaubt, von nun an eine Brioche zu sein, um dann ins Auto zu steigen und einem Tag entgegenzublicken, der noch jungfräulich vor einem liegt. Egal wohin man sich wendet, man wird neue Dinge sehen und erleben, alles liegt ausgebreitet und scheint nur darauf zu warten, dass wir um die Ecke kommen. Der heutige Tag soll noch sehr schöne Überraschungen für uns bieten, und wir sind dazu bereit. Wenn wir morgens von einem schönen Platz fortfahren, schwingt manchmal auch Wehmut mit, denn natürlich wissen wir, dass wir nur einen winzigen Bruchteil von dem gesehen haben, was es dort zu entdecken gibt. Beim abendlichen Spaziergang gestern, quasi ein Not-Gang aufgrund sehr gut gefüllter Bäuche, hatten wir in einer Art Hinterhof den Weg entlang eines großes Bachs gefunden, der zunächst eine Mühle antrieb, um sich dann schäumend und wirbelnd in sein gemauertes Bett zu fügen. Rechts und links seines Ufers konnten wir entlanggehen, und eine Art Rialto-Brücke sorgte für einen Übergang. Dann gab es dort noch einen offenen Garten, der aufgrund einer Städtepartnerschaft mit dem italienischen Samone angelegt worden war. Das Ganze versehen mit Resten einer Barockruine als kleine „folie“ und einem Rosarium, tipptopp gepflegt. Der Rasen gemäht, die Blumen blühten, es sah toll aus. Und als Krönung hieß die Komposition „Insel von Samone“. Leider war es dann zu dunkel geworden, um diesen Weg weiter entlangzuschlendern, aber jeder Reisende kennt das Gefühl, dass man eventuell noch etwas verpasst hat, was sich auch nicht wieder einholen lässt. Wenn man nach Jahren wieder vorbeikäme, wäre man doch eine andere Person und an anderen Dingen interessiert.

      Genug des Philosophierens, wir schwingen uns auf die Straße, leicht duftet es nach Käse aus dem Picknickkorb und nach Weingummi aus der Ablage, das wegen erhöhter Temperaturen zu einer ungenießbaren Masse zusammengeflossen ist. So werden alle kleinen Sünden umgehend bestraft, sehr beunruhigend. Wir wollen nach Chaumont, der nächstgrößeren Stadt in der


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