Die Leiche im Landwehrkanal. Uwe Schimunek

Die Leiche im Landwehrkanal - Uwe Schimunek


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indem Sie mir die Adresse des Herrn Puch verraten.«

      Martha von Traunstein nickte ernst. »Er wohnt im Scheunenviertel. Ich werde nachschauen, wie seine Vermieterin hieß, und Ihnen die genaue Adresse zukommen lassen.«

      Warum hatte er den Jungen nur mitgenommen? Paul Quappe ärgerte sich. Die Papiere hätte er für seinen Herrn auch allein von der Vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule holen können. Aber nein, er musste Ferdinand von Gontards Bettelei erhören, und nun hatte er seine Quengelei zu ertragen.

      »Ich würde nur zu gern mehr über den Mordfall wissen.« Ferdinand rief die Worte durch den Straßenlärm Unter den Linden. Eine Frau mit einem riesigen Bastkorb drehte sich zu ihnen herum und starrte sie mit offenem Mund an. Sie hatte die Figur einer Küchenmamsell, die täglich schwere Töpfe und Tiegel wuchten musste und dabei nicht zu knapp von den herrschaftlichen Speisen kostete.

      Quappe klemmte die Rolle mit den Papieren fester unter den Arm. Mit der freien Hand schnappte er Ferdinand bei der Jacke und zog ihn zur Seite. Er lenkte den jungen Herrn vorbei an der Mamsell mit dem Korb, an der Familie mit den zeternden Kindern, am Bettler an der Straßenecke und hinein in die Neustädtische Kirchstraße. Hier ließ der Trubel nach, und auch das Gepolter der Fuhrwerke schallte nur aus dem Hintergrund in die Nebenstraße.

      Quappe eilte noch ein paar Schritte weiter weg von den Linden und sagte: »Junga Herr, Sie bring’n mir inne Bredullje. Redn Se bitte von na leidijen Meuchelei nich vor die janzen Leute!«

      »Ich werde mich beherrschen, Herr Quappe.« Ferdinand blickte zum Trubel zurück. »Aber Sie müssen doch zugeben, dass der Mordfall aufregend ist!«

      Quappe schritt Richtung des Gontard’schen Hauses in der Dorotheenstraße und sagte nichts. Auf diese Diskussion ließ er sich nicht ein. Natürlich wollte auch er brennend gern wissen, wer einen Mann an einem friedlichen Sommertag vor den Thoren der Residenzstadt in die Brust schoss. Nur, wenn er das zugab, würde der Junge keine Ruhe mehr geben.

      »Was wird der Täter für ein Mann sein? Hat er eine entstellte Fratze? Oder kann er seine Bosheit verbergen? Ist es gar ein Herr mit ehrenhaftem Antlitz?«

      »Am Ende isset noch ’ne Madame jewesen«, sagte Quappe und ärgerte sich im selben Augenblick über seine Worte.

      »Tatsächlich. Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Halten Sie das für möglich?«

      Quappe schwieg.

      »Bestimmt hat mein Vater eine entsprechende Andeutung gemacht. Habe ich recht, Herr Quappe?«

      »Nich ins Jeringste, junga Herr. Da Herr Oberst-Lieutenant hat nix derjleichen jesagt. Ick hab nur laut jedacht.« Quappe tippte sich an die Stirn. »Ick glob nich, dass ’ne Madamme so ’n Mord bejehen täte. Ditte passt nich mittenander, so ’ne Waffe un ’ne Frau. Ick meene, stelln Se sich ma vor: Ihre Frau Mama mitm Schießjewehr.« Quappe hielt es durchaus für möglich, dass andere Frauen eine Waffe auslösen könnten. Er dachte an den Blick der kräftigen Mamsell Unter den Linden. Er wollte sich lieber nicht ausmalen, was so ein Weib mit einer Flinte anstellen konnte. Aber der junge Herr hielt fürs Erste den Mund. Und das war das Wichtigste.

      Sie erreichten die Dorotheenstraße und bogen nach rechts. Nur noch wenige Meter bis zur Friedrichstraße, der Lärm wuchs erneut an. Zeitungsjungen riefen Nachrichten, ein Reiter scheuchte Fußvolk von der Straße, Bälger quäkten. Ferdinand schwieg artig.

      Sie passten den rechten Moment ab und eilten über den Fahrweg. Nun waren es nur noch ein paar Meter.

      Ferdinand zog Quappe am Ärmel und fragte: »Herr Quappe, würden Sie nicht gern wissen, was in den Papieren steht?«

      Nein, das wollte er nicht. Ganz sicher wollte er das nicht. Oder sollten sie doch einen Blick in die Blätter werfen? Aber würden sie überhaupt etwas verstehen?

      Quappe sagte: »Da Diensthabende hat mich die Papiere inner Rolle jegeben und nich lose inne Hand jedrückt. Ditte wird schon Jründe ham.«

      »Vermutlich ließen sie sich so besser transportieren.« Dem jungen Herrn fiel stets eine Spitzfindigkeit ein.

      Quappe öffnete den Dienstboteneingang des Gontardsch’schen Hauses. »Ick werd de Rolle uffbewahrn, bis da Herr Oberst-Lieutenant mit seine wichtijen Erledijungen fertig is.«

      »Die Papiere werden doch nicht schlechter, wenn wir sie betrachten.«

      Quappe trat ins Haus.

      »Wenn das streng geheime Unterlagen wären, hätte mein Vater sie bestimmt versiegeln lassen. Ganz sicher.«

      Quappe inspizierte die Rolle. Der junge Herr hatte recht. Die Rolle war verpropft, aber nicht versiegelt.

      »Mein Vater würde nicht einmal bemerken, dass wir die Papiere eingesehen haben.«

      Es kam Quappe so vor, als würde der Leibhaftige persönlich ihm eine Versuchung ins Ohr flüstern. Er schlich durchs Gontard’sche Haus. Natürlich war er auch neugierig. Und sicher würde keiner bemerken, wenn er mal über die Papiere schaute. Vielleicht konnte er dem Herrn sogar besser zu Diensten sein, wenn er die Unterlagen studierte.

      »So ’n janz winzijen Blick könn wa ja uff de Papier wagn.« Quappe betrat die Dienstküche. »Aba erst machen wa den Tisch sauba.«

      Als Quappe aufblickte, hielt Ferdinand bereits einen Lappen in der Hand. Der junge Herr wischte den Tisch ab – persönlich. Quappe zog den Propfen aus der Rolle und breitete die Blätter aus.

      Die Papiere enthielten Tabellen mit jeder Menge Zahlen. Wollte Oberst-Lieutenant von Gontard den Mörder mit einer mathematischen Formel errechnen?

      »Wie stark ist die Strömung an dieser Stelle?« Gontard zeigte in das Bassin, in dem sie am Vortag die Leiche gefunden hatten.

      »Hier in dem Bassin steht das Wasser. Auch der Landwehrkanal ist nicht gerade ein reißender Strom.« Peter Joseph Lenné wiegte den Kopf, als fühle er die Fließgeschwindigkeit nach. »Aber er ist natürlich in Bewegung. Ich lasse Ihnen die genauen Messdaten gern zukommen.«

      »Das wäre gut. Für die Berechnungen bezüglich des Erdrutsches werde ich die Unterlagen gebrauchen können. In dem Mordfall werden sie mir wohl nicht helfen.«

      Der Königliche Gartendirektor und Stadtplaner zuckte mit den Achseln. Er schritt auf das Bassin zu und zeigte auf die Wasseroberfläche, die wie frisch geplättet vor ihnen lag. »Da werden Sie keine weiteren Daten benötigen«, sagte Lenné. »Der Mann wird wohl ungefähr an der Stelle ins Wasser gefallen sein, wo er gestern aufgetaucht ist. Das scheint mir auf der Hand zu liegen.«

      Gontard überlegte, trat neben Lenné und fragte: »Wenn der Mann dort auf dem Grund lag, als das Ufer abrutschte … warum ist er dann nicht verschüttet worden?«

      »Hm.« Lenné zog seine Stirn in Falten. Er trat auf dem Boden herum, als wolle er ihn befestigen. Oder versuchte er, einen weiteren Erdrutsch auszulösen? Tatsächlich purzelte ein Erdklumpen hinab. Er blieb am Rande des Wassers liegen. Ein paar Wellen zogen gen Bassinmitte.

      »Ich vermute, das Erdreich hat den Leichnam in die Mitte des Bassins geschoben und nur teilweise bedeckt. Dann kam er wieder hoch und hing mit einer Extremität fest.«

      Gontard schaute den Wellen nach. Das Mordopfer konnte am Rande des Bassins gestanden haben und dort von dem Schuss oder dem Hieb getroffen worden sein. Oder der Mörder hatte ihn erschossen und danach in den Kanal geworfen. Aber warum war das Kanalufer abgerutscht? Doch nicht etwa, weil ein einzelner Mann in das Gewässer gestürzt war?

      »Konnten Ihre Offiziere schon an den Bodenproben forschen?«, unterbrach Lenné Gontards Gedanken.

      »Ich hoffe, die Herren widmen sich zur Stunde im Labor ihrer Aufgabe.« Gontard musste ein Grinsen unterdrücken. Tatsächlich glaubte er nicht, dass die beiden Freiwilligen noch in der Schule weilten. Aber sicher hatten Heye und sein Kumpan genügend Messungen vorgenommen, um morgen mit ein paar Daten aufwarten zu können.

      »Ja, ich weiß, wie langwierig solche Untersuchungen sein können.« Lenné kratzte sich an der Stirn. »Aber


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