Stiefmütterchen Ost und Königskerze West. Jott H. Wangerin
Sand bugsierte. Das war bestimmt sehr schwer für ihn, aber er machte es gerne. Nun ging er von Burg zu Burg und verkaufte für 35 Pfennig (also zum Einkaufspreis!) sein „Hartgefrorenes“ zwischen zwei Waffeln. Und es war immer noch bissfest, obwohl er einen langen Weg zurücklegen musste, und er nahm niemals ein Trinkgeld! Jeder mochte ihn natürlich und die Kinder waren froh, wenn er im gleichen „Durchgang“ wie wir Urlaub machte, denn dann war ihr Eis gesichert. Es gab natürlich auch Tage, wo es kein Eis gab, weil es wie manches andere auch gerade mal ausgegangen war. Das war dann aber kein Beinbruch.
Wenn es Eis gab, konnte man sich darauf verlassen, dass er es mitbrachte.
Und dann war ja immer noch der „Kapitän“ da. Wir nannten ihn wegen seiner Mütze so, und er hatte den „Strandläufer“ zum Freund, jedenfalls lustwandelten diese beiden alten Herren den lieben langen Tag schwarzbraun gebrannt den Strand hoch und runter. Und dann die vielen knusprigen jungen Damen.
Sie kamen hübsch angezogen an den Strand – Jogginganzüge hatten es noch nicht bis zu uns geschafft – und sahen noch hübscher ausgezogen aus. Die reinste Augenweide! Es war eine schöne Zeit, man war unter Freunden und fühlte sich wohl.
Und wie ist es heute?
Strandburgen findet man nur noch ganz vereinzelt am abgelegenen Weststrand.
Am normalen Badestrand in und um Prerow haben sich mehr und mehr die „Strandmuscheln“ durchgesetzt. Wir „Einheimischen“, die seit Ende der siebziger Jahre am praktischen Windschutz leicht zu erkennen sind, haben einen riesigen Spaß daran, zuzugucken, wie ungeschickt unsere Brüder und Schwestern aus den alten Bundesländern sich beim Aufbau dieser Ungetüme anstellen. Da meist der Wind kräftig aus Osten bläst, fliegen die Muscheln beim ersten Mal schon bald als Strandgut umher, bis ihnen dann der Knoten platzt und der „Drachen“ mit dem mitgeschleppten Sachen beschwert und verankert wird. Beim zweiten Mal klappt es schon besser, aber man spürt auch den neidischen Blick auf den im Osten bewährten Windschutz. Manche kaufen ihn deshalb auch gleich nach ihrer Anreise aus NRW.
Na ja, und mit dem Ausziehen tun sich die „alten Länder“ sowieso sehr schwer. Mindestens mit Schlüpfer und BH sitzen sie vor der Sonne und uns versteckt in ihren Muscheln und beobachten alles ganz genau. Man möchte meinen, sie ekeln sich vor uns braungebrannten Nackedeis, aber da sie keine Chance haben, ihre Baggerlochpraktiken bei uns durchzusetzen, ertragen sie unseren Anblick, manche kommen auch nicht wieder hierher, sondern schmoren dann schon lieber in ihrem vertrauten Strandkorb. Aber sind sie denn heute überhaupt noch schön und knackig? Sehnt man sich danach, dass „sie“ endlich ihre Hüllen fallen lässt? Eher wohl nicht! Sie sind meist recht üppig, nur ihre riesigen, runden vor der bösen Sonne geschützten bleichen Köpfe gucken hin und wieder aus ihrer Strandmuschel heraus – man braucht keine besondere Fantasie, um sich vorzustellen, wie blass der übrige Körper sein muss! –, und schon schlafen sie weiter! Irgendwann drückt „es“ dann aber doch so doll, dass sie zähneklappernd tatsächlich bis zum Bauch ins Wasser gehen.
Was haben wir uns doch früher im Wasser nass gespritzt, gejauchzt und gealbert!
Heute steht eine verbissen schweigende Gesellschaft maximal bis zur Gürtellinie in der Ostsee. Das soll Erholung sein? Muss ja wohl, denn es werden jährlich mehr!
Aber nicht mit mir, ich mache weiterhin meinen Handstand, aber dabei guckt ab der Gürtellinie alles aus dem Wasser! Wie gesagt, Burgen baut schon lange keiner mehr, für die Kinder die Väter zum Glück immer noch. Und zum Schluss wird genau wie damals mit Quallen garniert. Aber nun kommt es. Mit weit über den Strand schallendem Glockengeläut nähert sich am Spülsaum ein vierrädriges gummibereiftes Mondfahrzeug mit Sonnenschirm. Meist von zwei Schülern durch den weichen, weißen Sand geschoben, dabei den Blick immer auf die unschuldigen Kinder gerichtet. Haben sie erst einmal mindestens eins davon im Visier, wird sofort angehalten und solange an die Glocke geschlagen, bis die genervten Eltern nachgeben und das teure Eis kaufen. Das Stück für 2,50 Euro!
Der Kapitalismus schreckt auch vor nichts zurück!
Schon in der Schule zu unserer Zeit hatten wir gelernt, dass der russische Wissenschaftler Pawlow sich erstmalig die Glocke nutzbar machte, um nachzuweisen, dass nach entsprechender Übung beim Hund der Speichelfluss einsetzt, wenn es nach dem Glockengeläut etwas zu fressen gibt. Sind unsere armen Kinder auf den Hund gekommen? Darum haben sich wohl so viele junge Paare statt Kinder besser gleich einen Hund oder mehrere angeschafft.
So ersparen sie sich die Dressur eigener Kinder zu Speichel absondernden Monstern!
Denn kaum ist das „Magnum“ aufgeleckt, schon kommt aus der Gegenrichtung der nächste nicht zu überhörende „Eisengel.“ Und wieder fließt der Speichel, wieder fängt das Betteln nach „kaufen!“ an und wieder wird es ein unvergesslich teurer Tag für die entnervten Eltern!
Shortstory
Die Raupe schnell zur Straße kroch,
Im Fahrzeugstrom war g’rad ein Loch.
Da Raupen klein und langsam sind,
Die Autos aber fahr’n geschwind,
Hört’ man o Schreck nur kurz ein „Plupp“,
Da war die schöne Raup’ kaputt!
Wasserspiele
Die Wellen stöhnen laut im Wind,
Vom Fels gebroch’ner Schaum,
Bis sie im Sand versickert sind,
Aus ist ihr schöner Traum.
Spinatwachtel
Sie lebte nur von Blattspinat,
Gezupft aus eig’nem Garten zart,
Und sah schon grün aus im Gesicht,
‘Ne Feder hatte mehr Gewicht!
Gedanken vor dem Bäckerladen
1978
Spätestens Freitagabend richteten sich meine Gedanken nur noch auf das bevorstehende Wochenende. Und was ist ein Frühstück ohne frische Bäckerbrötchen?
Also stehe ich frühzeitig auf, lange wach im Bett herumliegen ist nicht meine Sache.
Bis zum Bäcker sind es nur wenige Minuten. Die Straße ist noch ziemlich leer. Einige kommen mir bereits mit frischen Brötchen entgegen. Die haben sich schon vor der Öffnungszeit angestellt, aber das mache ich nicht. Vielleicht brauche ich ja heute nicht so lange anzustehen. Aber lieber eine halbe Stunde anstehen, als eine Stunde später ohne frische Brötchen nach Hause kommen. Bei der gegenüber liegenden Bäckereigenossenschaft bräuchte ich nicht so lange anzustehen, aber ich mag deren Brötchen nicht. Sie sind längst nicht so frisch und knusprig wie die vom Privatbäcker! Woran mag das nur liegen? Leider denken so wie ich die meisten Brötchenholer, und ich reihe mich geduldig in die lange Schlange ein. Während des Anstehens beginnt um uns das Leben zu pulsieren. Die Bahnschranken schließen und öffnen sich einige Male. Auch ich rücke Fuß um Fuß vor. Jetzt stehe ich schon im Schaufensterbereich. Man kann das frische Brot sogar mit den Augen riechen!
Leider ist inzwischen so viel Zeit vergangen, dass die Kinder nicht mit am Frühstückstisch sitzen werden. Aber zu zweit ist es viel gemütlicher, keine Hektik, heißer Kaffee, ein oder zwei weichgekochte Eier und dazu die selbst gemachte Holundermarmelade auf den Brötchen. Kann es auf dieser Welt etwas Schöneres geben? Doch, es kann! Warum muss ausgerechnet ich anstehen, während laufend andere sich „hintenrum“ in der Backstube bedienen lassen. Was mögen diese Stammkunden für Beziehungen haben, denn ohne müssten sie sich auch hinten anstellen? Aber ich