Kampf mit den Tloxi. Matthias Falke
»Versucht auf alle Fälle, die Cluster auszulösen und die Basen zu bombardieren. Das verschafft uns hier unten Luft. Und dann …«
Die Übertragung war weg! Mitten im Satz war der Kanal zusammengebrochen. Wir hatten den Kontakt zum Mutterschiff verloren.
»Wer hatte eigentlich diese elende Idee mit den Gefangenen?«, fluchte General Rogers vor sich hin.
»Ein Gebot der Menschlichkeit«, versetzte Jennifer schlicht.
»Schon mal was vom trojanischen Pferd gehört?«
»Das bringt uns jetzt alles nicht weiter«, sagte ich. »Zuerst müssen wir wissen, was da oben los ist.«
»Sie übernehmen die Marquis de Laplace«, knurrte Rogers. »Und dann veranstalten sie ein Preisschießen!«
»So weit wird es nicht kommen«, erklärte Jennifer fest.
Auch ich wunderte mich, dass der General unter die Schwarzseher gegangen war.
In diesem Augenblick wurde Luftalarm gegeben. Mehrere Maschinen waren von Süden und Westen her im Anflug. Es war gut denkbar, dass die Laya unseren Funkverkehr abhörten und Fakten zu schaffen versuchten, solange wir unsere Überlegenheit im Orbit nicht entfalten konnten.
General Tariq tobte wie ein Irrer in seinem improvisierten Verschlag aus aufeinandergestapelten Sofas und umgestürzten Tischen herum, um seine Luftabwehr zu koordinieren. Auf dem Platz und hoch oben, auf den Simsen des Bankenturmes, begannen die Geschütze zu arbeiten. Wir standen da und konnten nichts machen. Wenn die Jagdbomber es schafften, einen ihrer Torpedos in die Trägerkonstruktion zu platzieren, waren wir Geschichte.
Der Boden bebte unter dem Wummern der schweren Abschüsse. Durch die offen stehenden Elevatorschächte hallte ein unangenehmes Orgeln und Dröhnen. Die Enthymesis mischte sich unaufgefordert ebenfalls ein und gab dem Turm aus ihrer Zwillingskanone Feuerschutz. Eine Aerosolbombe entfaltet ihren mächtigen Feuerball auf der Terrasse der 190. Etage. Der Turm knirschte in den Grundfesten. Zum Glück waren die Fensterfronten und die nichttragenden Innenwände längst herausgesprengt oder weggebrannt, sodass das Bauwerk der Druckwelle kaum noch Widerstand entgegensetzte. Ein Torpedo verfehlte sein Ziel, ein anderer wurde kurz vor dem Einschlag von der Luftabwehr zur Strecke gebracht. Die Feindmaschinen drehten ab. Eine wurde noch abgeschossen. Eine zweite wurde von zwei Scythern gejagt. Wie schon einmal während der Nacht tauchten die Wesen aus dem Nichts auf, hetzten einen gegnerischen Bomber im Tiefflug ein paar Straßenzüge weit durch die Stadt und erlegten ihn mit gezielten Salven. Dann verschwanden sie wieder. Wie viele mochten es sein? Im Orbit musste ein ganzes Geschwader, ein ganzes Volk von ihnen sein. Wie kamen sie hier herunter? Wir wussten es nicht, denn wir konnten nicht mit ihnen kommunizieren. Jennifer hätte es vermocht, aber auch sie brachte zur Stunde nicht mehr die nötige mentale Kraft und Konzentration auf. Sie waren wie Raubtiere, die sich auf alles stürzten, was sich in ihrem Revier bewegte. Aber es schien unmöglich, sie zu strategisch sinnvollen Aktionen einzusetzen.
Ich tauschte einen Blick mit Jennifer. Sie schien ungefähr das Gleiche zu denken wie ich auch.
Dann wurde unsere Aufmerksamkeit wieder von den Ereignissen auf der Marquis de Laplace beansprucht. Als die Übertragung wieder kam, sahen wir sofort, dass sie nichts Gutes verhieß. Alle Symbole glühten rot. Feuer! Explosionen! Die Anforderungen für Sanitätspersonal und Kräfte zur Brandbekämpfung waren aktiv, als ob wir von hier unten aus etwas hätten unternehmen können. Die Feuerlöschdrohnen wurden angefordert, aber Reynolds hatte in der Zwischenzeit eine Sperre über sämtliche Shuttles, Bots und das sonstige Kroppzeug verhängt, das sich auf dem Kleinen Drohnendeck befand. Die KI, die das überwachte, war nicht autorisiert, eigenständig zu entscheiden, ob auch ein Brandschutzroboter unter das Profil fiel.
»Was ist da bei euch los?«, brüllten wir drei beinahe gleichzeitig.
Die Übertragung aktivierte Fenster und klappte sie wieder ein. Es war die Karikatur eines Action-Holos. Irgendwo war John Reynolds zu sehen, der mit offenem Mund auf ein Display starrte. Dann war er wieder weg.
»Es hat eine Explosion gegeben«, sagte Jennifer, die ihr eigenes Breitbanddisplay entrollte. »Und zwar …«
»Die Laya haben die Verbindung zwischen Segment VI und VII gesprengt«, hörten wir Reynolds’ Stimme, ohne ihn zu sehen.
»Was soll das heißen: gesprengt?« Ich war fassungslos.
»Gesprengt«, sagte er schlicht. Jetzt konnten wir ihn auch wieder erkennen. »Das Schiff bricht auseinander.«
»Was zur Hölle?!« Rogers zerrte so hektisch an Jennifers Unterarmmanschette, die das Statusholo projizierte, dass die Darstellung erlosch. Quälende Sekunden vergingen, bis der Stream sich wieder aufgebaut hatte.
»Die Marquis de Laplace ist manövrierunfähig«, gab mein Stellvertreter durch. »Wir haben den Kontakt zu den Segmenten VII bis XII verloren.«
Damit hatte die Brücke auch keine Kontrolle über den Reaktorblock und die Haupttriebwerke mehr.
»Oh mein Gott!« Ich konnte es nicht begreifen.
»Jetzt haben sie uns an den Eiern.« General Rogers war der grimmige Humor, mit dem er während der Nacht noch jeden Rückschlag kommentiert hatte, vergangen.
Meine Gedanken rasten den zwölf Kilometer langen Leib unseres Mutterschiffes entlang, das nun in der Mitte durchgebrochen war, ein zerknicktes Zepter. Die schweren Waffen – Antimateriecluster und Annihilatoren – befanden sich weiter vorne. Nicht auszudenken, wenn die Laya diese Kaliber unter ihre Kontrolle brachten. Die Endeavour, derzeit der einzige einsatzbereite Enthymesis-Explorer, war im Großen Drohnendeck geparkt. Aber allein im Kleinen Drohnendeck befanden sich einige hundert sekundäre Einheiten, von Lambda-Ionensonden über Shuttles und Fähren bis hin zu einem Geschwader schneller Jäger. Mit mehr als anderthalb Kilometern Länge war dieses Segment das größte der Marquis de Laplace. Ein Flugzeugträger von interstellarem Aktionsradius.
»John«, rief ich in die Übertragung. »Ihr müsst unbedingt verhindern, dass sie sich nach vorne kämpfen.«
Rogers nickte heftig. Es kam nicht oft vor, dass er jemandem zustimmte. Und wenn es geschah, brachte es automatisch ein mulmiges Gefühl mit sich.
»Wir haben ein Wachbataillon in die Durchgänge zu Segment V beordert.«
»Sehr gut. Sie dürfen auf keinen Fall in Richtung Großes Drohnendeck oder gar zur Brücke durchbrechen«, sagte ich. »Verstehst du? Auf keinen Fall!«
»Wir haben das im Griff, Frank«, sagte er mit einem Hauch von Ungehaltenheit.
»Das haben wir hier schon öfter gedacht«, erwiderte ich kühl. »Und die Situation entgleitet uns immer mehr.«
»Die Durchgänge sind gut zu verteidigen«, sagte Reynolds. »Sie haben auch nur leichte Waffen, die sie den Wachmannschaften …«
»Leichte Waffen?«, rief Rogers höhnisch. Er stand neben Jennifer und nahm den Blick nicht von den Livebildern. »Sie montieren gerade die Geschütze von den Jägern!«
Dann hatten wir in der Tat ein Problem!
Auf dem interaktiven Breitbanddisplay sahen wir zu, wie die Laya in Windeseile mehrere der schweren Maserkanonen von unseren Abfangjägern lösten und auf Lafetten wuchteten. Wenn sie diese in die Tunnels zu den vorderen Segmenten fuhren, konnten sie sich damit den Weg freischießen.
»John«, sagte ich. »Wir müssen handeln.«
»Sie kommen damit nicht durch«, erwiderte er zögernd.
»Das Risiko können wir nicht eingehen«, rief ich. »Unorthodoxe Maßnahmen!«
»Was schlägst du vor?«
Ich wechselte einen Blick mit Rogers, der sich mit dem Daumen unter der Kehle durchfuhr.
»Abkoppeln«, sagte ich.
Reynolds starrte in die Übertragung. Er presste die Lippen aufeinander. Dann nickte er.
»Segmentkupplung zwischen Segmenten V und VI lösen«, rief er