Kampf mit den Tloxi. Matthias Falke

Kampf mit den Tloxi - Matthias Falke


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mich nicht mit den Gefechtsvorschriften, Frank.« Der General gähnte, ohne von seinem Display aufzusehen. »Ich habe sie selbst erlassen.«

      »Aber du hältst dich nicht daran«, rief ich. »Wir sind im Landeanflug und du lässt uns einen Gefechtskopf vor die Nase setzen?«

      »Es war ein kleines taktisches Kaliber«, dozierte er, »eine Kilotonne oder so.« Immerhin ließ er jetzt für einen Moment den Kommunikator und gönnte mir einen Blick. »Selbst ein Volltreffer würde diesem Schiff nichts anhaben.«

      »Dort unten kämpfen unsere Bodentruppen! In der Stadt sind Zivilisten!«

      Ich ging nach vorne und ließ mir das Radarbild auf die Frontscheibe projizieren. Der Atomschlag war auf eine kleine Insel, wenige Kilometer vor der Küste, niedergegangen, aber er hatte einen tiefen Krater in die Wassermassen geschlagen, die sie umgaben. Die Wellen breiteten sich konzentrisch aus und wurden dabei langsam niedriger. Immerhin war der äußere Kranz mehr als zwanzig Meter hoch. Und als er die auf der Nordseite gelegenen Hafenanlagen Pura Citys erreichte, bäumte er sich zu einer Wasserwand der doppelten Höhe auf. Das gesamte Viertel wurde überflutet, Industrieanlagen und Containerterminals wurden ins Meer gerissen. Unersetzliche Werte wurden vernichtet. Ob Menschen zu Schaden kamen, war aus dieser Perspektive nicht auszumachen.

      »Auf der Insel befand sich die Feuerleitzentrale«, sagte Rogers. »Radar. Luftabwehr. Auch weitreichende Raketenstellungen, mit denen sie sogar den Orbit bestreichen konnten.«

      »Und da schmeißt man vorsorglich eine Atombombe drauf?«

      »Ein Landungsunternehmen hätte mindestens zweihundert unserer Soldaten das Leben gekostet.« Wie immer, wenn er besonders eindringlich wirken wollte, senkte er den Kopf und sah mich über den Rand einer imaginären Brille hinweg an. »Es gibt Berechnungen für so etwas. Und Erfahrungswerte. Der Krieg ist eine Wissenschaft wie jede andere auch. Manche behaupten sogar: eine Kunst!«

      »Das ist Stümperei.« Ich holte tief Luft. »Einfach mal mit dem größtmöglichen Kaliber draufhalten.«

      Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass Jennifer mich mit diesem schmerzlichen Lächeln musterte, das mich immer ganz besonders in Rage brachte.

      »Haltet mich für naiv, wenn ihr wollt«, grollte ich, »aber aus der Nummer bin ich raus.«

      Ich sah zu, wie sich die Wolke hoch über unseren Köpfen abflachte, als sie die eisigen dünnen Luftschichten der Stratosphäre berührte. Es wetterleuchtete darin wie in einem Gewitteramboss. Die Wasserwelle hatte Pura City umlaufen und verlor sich nach allen Seiten im Ozean.

      »Wenigstens hättest du mich informieren müssen.«

      Mehr fiel mir nicht mehr ein.

      »Du weißt genau so gut wie ich, dass das nicht annähernd unsere größtmöglichen Kaliber sind«, sagte Rogers noch. Dann war auch für ihn die Sache erledigt.

      »Landeanflug fortsetzen!«, sagte ich zu den beiden Piloten. Sie hatten der Auseinandersetzung mit der Bestürzung beigewohnt, mit der Kinder einem Streit ihrer Eltern lauschen. Jetzt waren sie froh, sich wieder ihren Instrumenten widmen zu können.

      »Der Raumhafen ist noch nicht gesichert«, sagte Rogers, als wir langsam auf die Stadt zuschwebten.

      »Wie lange dauert es?«, fragte ich.

      »Zu lange.«

      »Dann gehen wir hier runter!« Ich markierte die Position auf dem Stadtplan, den ich mir auf mein Handkom gelegt hatte, und gab die Koordinaten an die Piloten weiter.

      »Die Innenstadt ist in unserer Hand.« Rogers nickte meine Entscheidung ab. »Der Platz und die City sind gesichert. In den Außenbezirken wird noch gekämpft. Aber das ficht uns ja nicht an.«

      »Sie haben es gehört«, sagte ich zu den Piloten. »Setzen Sie dort auf.«

      Die Enthymesis schwenkte ein und richtete sich auf den neuen Kurs aus.

      Der Chronist

      Die Geschichte ist die Geschichte der Imperien und der ihnen notwendig korrelierenden Politik. Das Vorgehen eines Imperiums unterscheidet sich von dem einer bloßen Großmacht dadurch, dass es nach und nach sämtliche Willkür einbüßt. Indem sie Imperium wird, überschreitet eine Macht eine Schwelle, sie erreicht eine kritische Masse, die ihr von nun an die Gesetze ihres Handelns diktiert. Die Entscheidungen eines Imperiums sind von physikalischem Charakter. Deshalb ist es jenseits der Schwelle belanglos, wer auf dem Thron des Kaisers sitzt. Ein Apfel fällt vom Baum, ob nun ein Trottel oder ein Genie darunter sitzt, und das Imperium kann nichts anderes tun, als sich der Gravitation namens Macht zu überlassen. Macht ist Machterhalt und Machterwerb, wie Massen andere Massen anziehen. Der Umgang Roms mit aufständischen Provinzen gibt für alle Zeiten das Muster, etwa im Jüdischen Krieg. Man schätzt, dass die Niederwerfung der Erhebung in Judäa eine Million Zivilisten das Leben kostete. Am Ende stand in Jerusalem kein Stein mehr auf dem anderen, der Tempel war geschleift. Im Lauf seiner Geschichte hat Rom Dutzende solcher Strafaktionen durchgeführt und jede war immer auch ein Exempel, adressiert an die zahllosen anderen Völkerschaften des Riesenreiches und ihren unauslöschlichen Drang, die gute fremde durch eine schlechte eigene Regierung zu ersetzen. Wenn einer von ihnen nachgegeben worden wäre, wäre das Imperium in wenigen Jahren zu einem Diadochen-Wirrwarr zerfallen wie das Alexanderreich nach dem Tode seines Gründers, der schon zu Lebzeiten nur erobern, aber nicht befrieden konnte. Die römische Haltung war die der Rücksichtslosigkeit, die ein Problem erst dann als gelöst ansah, wenn es gelöst war – unabhängig von den Mitteln, die dazu nötig waren. Karthago wurde ausgelöscht. Aber schon nach Zama spürten Häscher in Kleinasien den flüchtigen Hannibal auf und brachten ihn um, dessen bloße Existenz noch immer eine Beunruhigung war. Man braucht sich nur einmal vorzustellen versuchen, wie sie mit späteren Konflikten umgegangen wären. Senat und Volk von Rom, mit einem Vorfall wie dem »Elften September« konfrontiert, würden in der Heimat der Attentäter gewiss nicht Brunnen gegraben und Schulen gebaut, sondern das Land auf den Kopf gestellt haben, bis die Drahtzieher am Kreuz gehangen hätten.

      Das Dilemma der modernen Imperien seit Pearl Harbor ist es, imperiale Politik unter demokratischen Prämissen und mit humanitären Verbrämungen durchführen zu müssen. Hellsichtige Geister haben das schon früh gesehen. In den Worten des älteren Ash, formuliert unter dem Eindruck der Schlacht von Persephone: »Wir müssen die Freiheit beiseitestellen und uns in bittere Herrschaft fügen!« Über die fünftausend Toten, die der War against Terror einst die USA gekostet hat, würde ein römischer Senator gelacht haben, umso verächtlicher, als ihnen bis zuletzt keine vorzeigbaren Ergebnisse entsprachen. Mit den Ressourcen der USA würde ein Vespasian den Nahen und Mittleren Osten in Schutt und Asche gelegt und der Hydra al-Qaida die Stümpfe gerodet haben. Das ist bei der Allgegenwart der Medienwelt und der Empfindsamkeit des Publikums im 21. Jahrhundert nicht möglich gewesen. Man möchte den Wohlstand genießen und seine Feinde hinter Gittern wissen, aber Blut darf es keines kosten, nicht einmal das der erklärten Gegner der eigenen Weltordnung.

      Nach Actium trat das Römische Imperium in die Augusteische Phase seiner Geschichte. Die Gegner im Äußeren waren niedergerungen. In ihnen hatte man es mit Großmächten zu tun gehabt, denen man militärisch auf gleicher Augenhöhe, kulturell mit dem Minderwertigkeitsgefühl des Emporkömmlings entgegengetreten war: Karthago, Griechenland, Ägypten. Zur Zeitenwende war das Imperium machtpolitisch saturiert und geografisch arrondiert. Die Phase der Aufstände und kleinen Grenzkonflikte schloss sich an. Das Errungene wollte auch behauptet sein. Im ersten und zweiten Jahrhundert kämpften die Legionen in Schottland und am Schatt al-Arab. Das Imperium erstreckte sich von den Bernsteinküsten zur Libyschen Wüste, von den Säulen des Herkules bis zum Kaukasus. Im Äußeren gab es keine Feinde mehr. Die vorherrschende Bedrohung war der schwelende, mal hier, mal dort virulente Separatismus der Völker, die zur Pax Romana zusammengezwungen worden waren und die, wie es der Natur des Menschen entspricht, die kleinen Nachteile höher bewerteten als die großen Vorteile, die ihnen das brachte. Die Römer waren, wie später die Briten, milde Herren, die in religiösen und kulturellen Dingen fünfe gerade sein ließen, solange Caesar gegeben wurde, was des Caesars war. Dafür boten sie Sicherheit und Stabilität sowie all


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