Der Schatz des Gregor Gropa. Frank Wündsch

Der Schatz des Gregor Gropa - Frank Wündsch


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andere Wahl, als sich am nächsten Tag auf den Weg zu Herrn Weigelt zu machen. Er wusste, in welcher Straße dieser sein Anwesen hatte, die Gegend war als Wohnsitz vermögender Familien bekannt. Mit dem Fahrrad brauchte Marius keine zehn Minuten, und das musste er nehmen, da ihm kein Auto zur Verfügung stand.

      Sein Fahrrad stand im Keller. Marius pumpte die Reifen auf und trug das Rad die Treppe hoch. Im Hof begann er zu frieren. Er erinnerte sich, dass es in Deutschland auch im frühen Frühjahr empfindlich kühl sein konnte, nahm aus dem Schrank seines Vaters den dicksten Mantel, der zu finden war und schwang sich aufs Rad.

      Sein Weg führte ihn auf die Seckenheimer Straße über die Otto-Beck-Straße die Augustaanlage querend zum Haus der Weigelts. Bereits etwa einhundert Meter vor dem Grundstück stellte Marius sein Fahrrad ab, band es an einen Zaun und legte den Rest des Weges zu Fuß zurück. Herr Weigelt war einer der angesehensten und reichsten Männer der Stadt. Marius wollte vermeiden, ihm mit einem schmutzigen Fahrrad zu begegnen.

      Das Anwesen hütete sich mit einer mannshohen Hecke vor neugierigen Blicken. Marius hatte Mühe, darüber hinweg zuschauen. Er machte sich so lang, wie ihm möglich war und lugte über die Hecke, bis ein Mann mit seinem Hund daher kam, der zu knurren begann. Der Mann fragte scharf nach, was Marius hier zu suchen hatte. „Ich möchte hier arbeiten“, gab Marius schüchtern zur Antwort.

      „Und zuvor wollten Sie nachsehen, wie Ihr künftiger Arbeitsplatz aussieht, was? Hier wohnt Herr Weigelt, ein honoriger älterer Herr, der in dieser Stadt eine hohe Wertschätzung genießt. Sie können von Glück reden, falls er Sie einstellen sollte.“ Der Mann schaute Marius geringschätzig von Kopf bis zu den Zehenspitzen an und bemerkte den altmodischen Mantel samt der billigen Schuhe. „Wenn er überhaupt daran denkt, Sie einzustellen“, fügte er herablassend hinzu, zog seinen fortwährend knurrenden Hund von Marius weg und ging, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, die Straße hinab.

      Der Zugang zum Haus war durch ein hohes schmiedeeisernes Tor verwehrt. Etwas unterhalb der Spitzen waren Drachen und andere Fabelwesen angebracht worden, die wohl dazu dienen sollten, den Besuchern dieses Anwesens, den nötigen Respekt einzuflößen.

      Die Klingel war so klein, dass Marius sie suchen musste. Ein Weilchen verging, bis eine Stimme ertönte, die fragte, wer da sei. Marius gab höflich Antwort und wurde gebeten zu warten.

      Marius sah zum Haus, welches auf einem sanften Hügel thronte. Dieses hatte blütenweiße Wände und himmelblaue Fensterläden, dem oberen Stockwerk war eine Terrasse vorgebaut, das Dach aus karminroten Ziegelsteinen errichtet. Der Garten war groß, dass selbst eine Eiche mit ausladender Krone und zwei Nadelbäume Platz fanden. Der weitläufige Rasen wies eine sattgrüne Färbung auf, etwas abseits des Hauses erkannte Marius mehrere Gemüsebeete. Zum Haus führte ein Weg, der von Kieselsteinen bedeckt und mit steinernen Statuen gesäumt war.

      Kaum hatte Marius den Blick gesenkt, wurde die Eingangstür nach einem Summton aufgestoßen, und ein junger Mann rannte auf das Tor zu. Unter seinen Füßen knirschte der Kies, mit schnellen Schritten hatte er Marius erreicht und ihm das Tor so weit geöffnet, wie es möglich war.

      „Bist du der Sohn von Konrad?“, fragte er aufgeregt.

      Marius nickte.

      „Du machst jetzt das, was dein Vater gemacht hat?“

      Marius zögerte mit der Antwort und murmelte ein „Mal sehen, hoffentlich“ daher.

      „Komm rein. Mein Großvater wartet auf dich“, sagte der auffallend große wie kräftige Mann. Er schien sich auf Marius gefreut zu haben, sein breites rosiges Gesicht strahlte vergnügt. Dann rannte er genauso schnell zum Haus zurück. Marius sah ihm nach, während das Tor wieder in das Schloss fiel und er dabei erschrak. Den Weg zum Haus legte er mit wackligen Beinen zurück.

      Marius hörte, wie der junge Mann im Foyer nach seinem Großvater rief. „Opa, Opa, er ist da, er ist da. Komm ganz schnell her.“

      Dem Großvater war nicht vergönnt, sein Tempo selbst zu bestimmen. Marius hatte durch den geöffneten Eingang sehen können, wie der im Rollstuhl sitzende Mann durch einen langen Flur geschoben wurde, nachdem sich die Tür eines Fahrstuhls hinter ihm geschlossen hatte. Der junge Mann gestikulierte wild und forderte Marius auf, seinen Großvater zu begrüßen. Der lächelte gütig und streckte Marius die Hand entgegen. „Mein Enkelsohn Boris freut sich, dass Sie gekommen sind, Herr Kilian, und ich freue mich auch. Seien Sie willkommen in meinem Haus.“

      „Guten Tag, Herr Weigelt“, sagte Marius und war bemüht, seiner Stimme Festigkeit zu verleihen. Marius wusste, dass Herr Weigelt fast neunzig Jahre zählte. Sein Gesicht sah erstaunlich frisch aus, die Falten zeigten sich wenig ausgeprägt. Die Nase war lang und schmal und nicht so dick und knollig wie bei anderen Männern seines Alters. Die Augen waren tief und grau und von dichten Brauen überwölbt. Marius glaubte, einen dunklen Fleck auf der Iris des rechten Auges erkannt zu haben. Auf der Stirn war eine Narbe zu sehen.

      Herr Weigelt trug einen himmelblauen Anzug mit dunkler Krawatte. Marius fühlte sich in seiner Bekleidung unwohl, die im Vergleich zu der von Herrn Weigelt als schäbig zu bezeichnen war und verwünschte sich für seine Leichtfertigkeit, keinen angemesseneren Aufzug gewählt zu haben. Der alte Herr schmunzelte.

      „Es fällt sogleich auf, dass Sie zuvor in Australien waren. Ihren Mantel würden Sie in Deutschland besser im Januar getragen haben. Ist das nicht der Mantel Ihres Vaters? Er trug ihn, wenn er bei Kälte im Garten den Boden umgrub. Nehmen Sie ihn einfach ab und hängen ihn an der Garderobe auf.“

      Marius kam der Aufforderung sofort nach.

      „Darf ich Ihnen mein aufrichtiges Bedauern ausdrücken, dass Ihr lieber Herr Vater verstorben ist? Wie dramatisch und bedrückend muss das für Sie gewesen sein, ihn verloren zu haben und, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, so ist der Tod Ihres Vaters auch für mich und meine Familie eine besonders schmerzliche Tatsache.“ Herr Weigelt tippte sich an die Stirn. „Herrje, was rede ich für einen Unsinn? Tatsache, welch ein unpassendes Wort. Bitte verzeihen Sie mir, junger Mann.“

      „Ich möchte Ihnen für Ihre Anteilnahme danken, Herr Weigelt.“

      „Das ist eine Selbstverständlichkeit. Würden Sie mir bitte in die Bibliothek folgen?“

      Boris sprang zu einer Tür und öffnete sie. Marius fiel erst jetzt der Mann auf, der Herrn Weigelts Rollstuhl schob. Er war eher klein und schlank und sein Alter schwerlich zu schätzen. Er hatte ein kantiges Gesicht, in dem kleine grüne Augen funkelten. Durch die Ungeduld von Boris ließ sich dieser Mann nicht aus der Ruhe bringen, und er bewegte den Rollstuhl behutsam durch die Tür. Marius folgte ihnen. Kaum war er hindurch, knallte Boris hinter ihm die Tür zu, drängelte sich an den Männern und dem Rollstuhl vorbei und lief zu einem Tisch, an dem eine Frau saß. Die sprang von ihrem Sitz auf und rief: „Nicht so stürmisch, mein Sohn. Du wirfst sonst den ganzen Tisch um.“

      „Mama, weißt du wer da ist?“

      „Lass dich umarmen, Boris. Ich weiß, wie sehr du dich über den Besuch von Herrn Kilian freust.“

      Die Mutter von Boris war weder klein noch gebrechlich, verschwand jedoch in den Armen ihres hünenhaften Sohnes. „Drück mich nicht so fest, ich bin nicht aus Eisen.“

      „Entschuldigung, Mama. Ich lass dich jetzt los.“

      „Sie müssen Herr Kilian sein“, wandte sie sich Marius zu. „Ich bin Frau Weigelt. Der große Junge hier ist mein Sohn, und meinen Vater haben Sie bereits kennengelernt.“

      Frau Weigelt lächelte, Marius auch. Frau Weigelt war eine schöne Frau. Sie mochte fast einen halben Kopf größer als Marius gewesen sein, trug dichte, aber kurz gehaltene schwarze Haare, hatte eine schmale gerade Nase, ein leicht vorstehendes Kinn und wie ihr Vater tiefe, aber dunkle Augen. Ein angenehmer Duft ging von ihr aus. Frau Weigelt machte Eindruck. Marius hörte kaum hin, als er gefragt wurde, ob Kaffee gewünscht sei.

      Der kleine schlanke Diener, der, wie Marius vernahm, auf den Namen Karl hörte, servierte Kaffee und Pralinen. Herr Weigelt schwärmte von seiner Bibliothek und sprach von zehntausenden von Bänden, die er im Verlauf von Jahrzehnten unermüdlich zusammengetragen


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