Unternehmensführung. Harald Meier
Die Kapitalgeber haben u. a. eine Finanzierungsfunktion für das Unternehmen, womit sie auch eine Risikofunktion übernehmen und indirekt auch eine betriebliche Leistungsfunktion. Das Interesse der Kapitalgeber ist nach Art und Anzahl der Interessen am Unternehmen aber sehr unterschiedlich. Auch sind von den ca. 1,8 Mio. Unternehmen in Deutschland nur ca. ein Sechstel Kapitalgesellschaften, und davon ist nur ein Bruchteil börsennotiert. Deshalb stellt sich auch die Frage, was der Shareholder Value sein muss. Ist es der notierte Börsenkurs (seine Differenz oder Entwicklung), die erwirtschaftete Rendite (Gewinn oder Dividende) oder der Cashflow? Zusammenfassend kann man feststellen, dass auch die Entwicklung der unterschiedlichen Shareholder-Interessen sehr dynamisch und vielfältig ist, dass die relativ kurzfristige Betrachtung eines Shareholder Value der strategischen Unternehmensführung widerspricht und die Interessen (und damit die Macht) der Stakeholder immer mehr zunehmen.
Beispiel: Eine Kritik an diesem Prinzip formulierte schon H. Ford, einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Unternehmer im 20. Jh. (s. a. Kap. 7.1: Der Fordismus): Wie heißt der Leitgedanke der Industrie … der wahre Leitgedanke heißt nicht Geldverdienen. Der industrielle Leitgedanke erfordert Schaffung einer nützlichen Idee und deren Vervielfältigung ins Abertausendfache, bis sie allen zugute kommt … Produzieren und wieder produzieren; ein System ersinnen, aufgrund dessen das Produzieren zu einer hohen Kunst wird; die Produktion auf eine Basis stellen, die ein ungehemmtes Wachstum und den Bau immer zahlreicherer Werkstätten, die Hervorbringung immer zahlreicherer nützlicher Dinge ermöglicht – das ist der wahre industrielle Leitgedanke. Aus der Spekulation anstatt aus der Arbeit Gewinn schlagen, bedeutet jedoch die direkte Verneinung des industriellen Gedankens … Hier möchte ich gleich bemerken, dass ich es nicht für richtig halte, übermäßige Gewinne aus unseren Wagen zu erzielen. Ein mäßiger Gewinn ist berechtigt, ein allzu hoher nicht. Dabei ist es auch von jeher mein Prinzip gewesen, die Preise der Wagen so rasch herabzusetzen, als die Produktion es irgend erstattete, und den Vorteil davon den Verbrauchern und den Arbeitern zukommen zu lassen … Eine solche Politik harmonisiert allerdings nicht mit der allgemeinen Ansicht, dass ein Geschäft so geleitet werden müsste, dass die Aktionäre eine möglichst große Summe Bargeld aus ihm herausziehen können. Ich kann daher Aktionäre im üblichen Sinne des Wortes nicht brauchen – sie helfen nicht, die Gelegenheit zur Dienstleistung zu vermehren. Mein Ehrgeiz geht vielmehr darauf aus, immer mehr Arbeiter zu beschäftigen, und, so weit es in meiner Macht steht, die Wohltaten des industriellen Systems, dass wir zu begründen versuchen, immer weiteren Kreisen zugute kommen zu lassen. Wir wollen helfen, Existenzen und Häuser aufzubauen. Dazu ist es nötig, dass der größere Teil des Gewinnes wieder in ein produktives Unternehmen zurückfließt. Daher ist bei uns kein Platz für nicht mitarbeitende Aktionäre.10)
Und der langjährige Daimler-Benz Vorstand und spätere Vorstandsvorsitzende E. Reuter formulierte: In Wirklichkeit kann der Wert eines Unternehmens eben nicht mit der Latte der Aktienkurse gemessen werden … diskutieren deswegen längst über Bewertungskriterien, die sich nicht an den kurzfristigen Zufälligkeiten von Börsenspekulationen, sondern an der längerfristigen Entwicklung eines Unternehmens ausrichten und damit auch die Berücksichtigung von strategischen Entscheidungen ermöglichen, die nach der Natur der Sache Vorleistungen für eine erfolgreiche Verbesserung der Wettbewerbssituation ermöglichen.11)
Noch deutlicher drückt es der bekannte deutschsprachige Managementforscher F. Malik aus: Die Mehrheit des deutschen Top-Managements und seiner Consulting-Entourage orientiert sich seit Jahren unkritisch an amerikanischen Managementpraktiken. Statt selbst darüber nachzudenken, was richtiges Management ist, wird jede Mode imitiert … Die Doktrin des Shareholder Values ist als Theorie der Unternehmensführung eine der schädlichsten Irrlehren, die je entwickelt wurden … dass die Anwendung dieser Theorie zum Gegenteil dessen führte, was sie versprochen hat: Zu einer Orgie von Bilanzschönung und Bilanzfälschung, Desinformation des Publikums, Wertevernichtung und Bereicherungsexzessen – systemimmanent und nicht etwa als vereinzelte Pannen. Und weiter: Zweck des Unternehmens ist die Transformation von Ressourcen in Nutzen für den Kunden … als einzig richtiger Unternehmenszweck, womit er den gängigen Theorien der Unternehmensgewinnmaximierung oder -wertsteigerung direkt widerspricht.12) Für ihn gilt Kundennutzen statt Shareholder Value und Konkurrenzfähigkeit statt Wertsteigerung. Damit ist der Gewinn nicht das Unternehmensziel sondern nur ein (zwangsläufiges) Ergebnis) eines richtigen Zwecks.13)
Entsprechend dieser inzwischen weit verbreiteten Kritik wird der Shareholder Value-orientierte Ansatz in den letzten Jahren immer öfter als langfristige Orientierung dargestellt, die auch Stakeholder-Interessen einbeziehen sollte.
1.1.3.6 Unternehmenspolitik und Unternehmensführung
Die grundlegenden Orientierungen des Unternehmens, die sich aus den internen und den externen Rahmenbedingungen und ihren Veränderungen ergeben, formulieren sich in einer Unternehmenspolitik. Diese Unternehmenspolitik tendiert mehr oder weniger hin zu einer stabilitätsorientierten oder zu einer mehr entwicklungsorientierten Unternehmenspolitik. Mit Hilfe von Unternehmensstrategien werden dabei die bestehenden und/oder neue Erfolgspotenziale in Form von Systemen und Prozessen im Unternehmen umgesetzt und gestaltet. Dies ist Aufgabe der Unternehmensführung bzw. des Managements (s. Abb. 7).
Beispiel: Organisatorische Auswirkungen durch die Unternehmenspolitik
In Kap. 5.1.3 findet sich mit Abbildung 73 ein Beispiel, wie sich die unterschiedliche Gewichtung nach einer Shareholder Value- oder einer Stakeholder-orientierten Unternehmenspolitik auf die Gestaltung organisatorischer Strukturen und Prozesse im Unternehmen auswirkt.
ABB. 7: Zusammenhang Unternehmenspolitik – Unternehmensführung14)
Dilemma in der Unternehmensführung
Die Manager (Führungskräfte) stehen häufig in einem Dilemma: Ihre Arbeit kann man sinnbildlich mit einer Gratwanderung im Gebirge bezeichnen. Einerseits sollen sie dauerhaft die Sachleistung des Unternehmens und damit die Mitarbeiterleistung steigern, andererseits sollen sie laufend Kosten und damit auch die anteilige Personalkapazität reduzieren:15)
Ein ähnlich vielfältiges monetäres und soziales Dilemma ergibt sich für die Unternehmensführung aus der näheren Betrachtung der Kunden- und Konkurrenzbeziehung. Vereinfacht ausgedrückt: Das Verhältnis aller erbrachten Leistungen des Unternehmens zu den aufgewendeten Ressourcen zeigt den Unternehmenserfolg. Dieser Quotient kann einerseits durch die Senkung des Ressourcenaufwands oder durch die Steigerung der erbrachten Leistung positiv beeinflusst werden. Aber bei einem sinkenden Leistungsvolumen muss zwangsläufig auch der Ressourceneinsatz reduziert werden. Dieses Produktivitätsdilemma kann nur durch kontinuierliche Verbesserungen bewältigt werden.
1.1.4 Der Prozess der Unternehmensführung
Abbildung 8 stellt den Prozess der Unternehmensführung dar: Im Außenkreis der Abbildung sind die typischen Aufgaben des Unternehmens bzw. des Managements mit Beispielen dargestellt und dazu im Innenkreis jeweils die Managementinstrumente, die bei der Konzeption und Steuerung der Aufgaben angewendet wird.
Ausgehend vom Bereich der Unternehmenspolitik (1), in dem die grundlegenden unternehmenspolitischen Orientierungen festgelegt werden (Gewinnorientierung im privatwirtschaftlichen Unternehmen, Kostenminimierung im Nonprofit-Unternehmen …) und z. B. in Unternehmensleitlinien festgeschrieben werden, werden die Unternehmen mit Herausforderungen konfrontiert (interne Innovationen, externe Einflüsse …), auf die sie reagieren wollen/müssen (2). Hierzu dienen als Instrumente der Unternehmensführung z. B. die Kreativitätstechniken und Problemlösungsmethoden. Hieraus ergeben sich Ansätze für Unternehmensstrategien (3), mit denen das Unternehmen seine Politik verändern bzw. umsetzen will. Mithilfe der strategischen Planungstechniken können z. B. strategische Geschäftsfelder definiert werden oder ein Qualitätsmanagement als Strategie formuliert werden als Reaktion auf