Rotlicht. Uwe Schimunek

Rotlicht - Uwe Schimunek


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entgegentreten zu können.

      An der Wohnungstür empfing sie ein Beamter in Uniform und unterrichtete sie in kurzen Worten über die Lage. Bei der toten Frau handelte es sich mit aller Wahrscheinlichkeit um die Mieterin der Wohnung: Monika Mönningsee. Die Frau habe unter dem Künstlernamen Yvonne als Prostituierte gearbeitet. Augenscheinlich sei sie während oder nach ihrer Berufsausübung von einem ihrer Freier mit einem Kissen erstickt worden. In einem Taschenkalender, der neben dem Bett gelegen hatte, fehlten Seiten.

      «Den Täter haben Sie noch nicht gefunden?», fragte Galgenberg mit grimmigem Gesicht.

      «Nein, nein», erwiderte der Uniformierte eifrig. Er zögerte kurz und fügte dann hinzu: «Wir wollten Ihnen nicht die Arbeit wegnehmen.»

      Kappe war nicht nach Scherzen zumute. Also warf er dem Uniformierten einen strengen Blick zu. Der nahm eine militärische Haltung ein und gab den Weg in die Wohnung frei.

      Der Flur war winzig. Nach kaum zwei Schritten stand Kappe schon am Tatort im Schlafzimmer. Hier sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Obwohl die Fenster sperrangelweit geöffnet waren, roch es nach Verwesung. Zwei Männer von der Spurensicherung krochen mit ihren Werkzeugen über den Boden und untersuchten verstreute Kleidungsstücke, Bücher, Papiere und weiteren Krimskrams. Der Gerichtsmediziner Dr. Konrad König stand neben dem Bett und zog ein Laken vom Kopf der Leiche, als Kappe und Galgenberg herantraten. Das Gesicht der Toten war von blonden Locken gerahmt und vermutlich kürzlich noch sehr hübsch anzusehen gewesen. Ein paar Flecke ließen die Frau älter erscheinen, als sie höchstwahrscheinlich war.

      «Wann?», fragte Kappe knapp.

      «Vor ein paar Tagen, vielleicht drei oder vier. Mehr weiß ich heute Abend. Spätestens morgen haben Sie den Bericht auf dem Schreibtisch.»

      «Geh jetzt!», kreischte es plötzlich.

      Kappe dachte erst, einer der Beamten habe geniest. Dann sah er den Papagei auf einem leergefegten Regal sitzen.

      «Husch, zurück innen Käfig, Kreischke!», befahl eine Frau, die Kappe erst jetzt wahrnahm. Sie musste um die siebzig Jahre sein, und sie sah nicht so aus, als sei sie eine Beamtin.

      «Was machen Sie denn hier?», fragte Galgenberg.

      «Ick warte uff Sie», antwortete die Alte.

      «Das ist Frau Kleema, die Nachbarin. Sie hat uns gerufen, weil es im Flur sehr unangenehm gerochen hat», berichtete der Uniformierte.

      «Die Nachbarin …», wiederholte Kappe und wandte sich der Alten zu. «Können wir Ihnen irgendwo in Ruhe ein paar Fragen stellen, Frau Kleema?»

      «Na ja, bei mir drübn», antwortete die Frau. «Aba der Papagei …»

      «Um den kümmern wir uns später.»

      Die Alte trottete an Kappe und Galgenberg vorbei in den Hausflur und öffnete die Tür zur Nachbarwohnung. «Dann komm Se ma!»

      Ihre Wohnung machte den Eindruck, als wäre sie bereits vor Jahrzehnten eingerichtet worden, vielleicht sogar schon zur Kaiserzeit. Im Flur stand eine dunkle Kommode, Eiche massiv, mit gedrechseltem Zierrat. Der Garderobenständer daneben verfügte sogar noch über einen Schirmhalter. Im Wohnzimmer hingen Fotos von drei Jungen und einem Mann mit Zwicker neben einer gewaltigen Anrichte. Das Bild des Mannes schmückte ein schwarzer Trauerflor, anscheinend war die Kleema verwitwet. Weinrote Vorhänge dämpften das Licht in der Stube. Die Alte zog sie nicht etwa auf, sondern schaltete die Deckenleuchte ein – einen Lüster aus Kristall mit sechs Glühbirnen. Das Bild über der bordeauxrot überzogenen Chaiselongue war augenscheinlich kein Original, sondern ein Druck. Kappe zuckte zusammen, als er den Titel am unteren Bildrand las: Herakles erwürgt die Schlangen. Er schaute zu der Alten. Frau Kleema hatte ungemein kräftige Hände. Wenn sie nun ihre Nachbarin …

      Galgenberg begann derweil mit der Befragung. «Frau Kleema, sind Ihnen irgendwelche Männer aufgefallen, die Ihre Nachbarin aufgesucht haben, um …»

      «Nee, ick hänge doch nich die janze Zeit am Guckloch.»

      «Sie wissen auch nicht, wann der letzte Besuch kam?»

      «Nee. Vorige Woche hab ick ’nen älteren Herrn mit Nickelbrille und Hut jesehn. Aba ob dann noch wer kam … Ick weeß et nich.»

      «Es ist auch niemand übereilt aus der Wohnung gestürzt oder dergleichen?»

      «Nich, dass ick wüsste.»

      Galgenberg notierte etwas auf seinem Notizblock.

      Kappe übernahm und fragte: «Sie wussten von dem … dem Beruf Ihrer Nachbarin?»

      «Na, ick hab mir so wat jedacht. Aber ick hab mir da nie einjemischt. Juten Tach und Juten Wech. Und det se ihr Jeld mitta Pflaume vadient hat, det war mir doch ejal.»

      «Was wissen Sie denn sonst noch über Frau Mönningsee?»

      «Nich ville. Sie war nett. Und wenn se ma ein paar Tage weg war, hab ick den Vogel jefüttert. War jedenfalls imma uffjeräumt bei der Dame.»

      Kappe blickte zu Galgenberg. Der schrieb weiter fleißig mit. Also zog Kappe eine Visitenkarte aus seiner Jacketttasche und sagte zu Frau Kleema: «Wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte, dann rufen Sie uns doch bitte an.»

      «Mach ick.» Die Alte nahm die Karte und überflog sie. Dann fragte sie: «Ick würd mir ja um den Vogel kümmern – wenner wieder im Käfig is.»

      Kappe nickte. «Vielen Dank, Frau Kleema. Wir geben den Beamten Bescheid.»

      Josef Bolp nippte an seinem Kaffee. Der schmeckte nicht. Das Gebräu unterschied sich eigentlich nicht von dem Getränk am Morgen, doch da hatte dieser Richter die beiden Gammler noch nicht freigesprochen. Das beste Aroma hätte nun auch nichts mehr retten können.

      Die Stimmung bei der Redaktionskonferenz konnte kaum schlechter sein. Der Chefredakteur des Berliner Blitz – alle Mitarbeiter sprachen ihn stets mit seinem Titel und nicht mit seinem Namen an – tippte auf die Fotos, die die Kommunarden Lauterbach und Trenker vor dem Gerichtsgebäude zeigten. Die beiden grinsten wie Fußballer, die gerade die Meisterschaft gewonnen hatten, und der Chefredakteur tat so, als wären seine Redakteure schuld daran.

      «Diese beiden Lumpen kommen mir nicht auf die Titelseite! Nicht in dieser Pose!» Er wandte sich an den Fotografen Martin Glämmer und brüllte: «Warum haben wir nichts anderes von diesen Kerlen? Sollen wir vielleicht das Kampfblatt dieses Gesindels werden?» Dann beugte er sich über den Versammlungstisch. Sein Kopf glühte und war kaum noch einen Meter von dem des Fotografen entfernt, als er schrie: «Was denken Sie sich bei solchen Fotos? Denken Sie überhaupt nach? Oder ist in ihrem Kopf bloß ein Haufen leerer Filmrollen?»

      Glämmer sah aus, als wollte er sich in der Stuhllehne verkriechen.

      Der Chefredakteur verblieb noch einen Moment in seiner Drohpose, dann wandte er sich an Bolp. «Was schreiben wir denn zu diesem Urteil?» Das letzte Wort hatte er förmlich ausgespuckt.

      Bolp schob seinen Artikel über den Tisch. Nur zum Beleg. Er wusste, dass der Chefredakteur während der Konferenz keine Artikel las. Deswegen trug er seine Schlagzeile mit grimmiger Stimme vor: «Feiger Richter kuscht vor Kriminellen!»

      Der Chefredakteur nickte. «Ja, das klingt nicht schlecht. Was steht im Artikel?»

      «Ich frage am Anfang, wohin das alles führen soll. Dann berichte ich noch einmal, dass Hunderte unschuldige Familien bei dem Kaufhausanschlag in Brüssel traumatisiert wurden und dass die Studenten hernach auch deutsche Kaufhäuser brennen sehen wollten.» Bolp machte eine kurze Pause, damit dem Chefredakteur Zeit zum Nicken blieb, dann fuhr er fort: «Schließlich frage ich, ob wir uns noch auf die Straße trauen können – da diese Verbrecher nun frei durch Berlin laufen.»

      Der Chefredakteur schob den Artikel zurück zu Bolp, ohne einen einzigen Blick darauf geworfen zu haben. «Das ist es, was wir brauchen!» Er sprach, als halte er eine Rede im Abgeordnetenhaus. «Klare Worte, klare Haltung! Denn nur Haltung gibt unseren Lesern Halt. Nur eine klare Linie kann sie auf dem rechten Weg durch


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