Rotlicht. Uwe Schimunek
Jäckchen. «Sie wissen ja sicher schon, welchem Beruf sie nachgeht … ich meine, nachging. Als meine Eltern das erfuhren, waren sie bestürzt. Besonders meine Mutter hat das nicht verkraftet. Ich habe damals noch zu Hause gewohnt, und Mama hat penibel darauf geachtet, dass Vater und ich keinen Kontakt zu Monika aufnehmen.»
«Wann haben Sie Ihre Schwester wiedergetroffen?», fragte Galgenberg.
«Anfang November. Kurz nach dem Tode unserer Eltern.» Mönningsee zögerte einen Moment. «Ich war verwundert, wie zufrieden sie mit ihrem Leben war.»
«Sie meinen, sie hat ihren Beruf jerne ausjeübt?», fragte Galgenberg, und der Schalk mischte sich in seinen Ton. Es fehlte nur noch, dass er anfing, irgendeinen Klassiker zu zitieren, wie er das in letzter Zeit gerne tat.
Kappe warf dem Kollegen einen strengen Blick zu.
«So weit würde ich nicht gehen. Allerdings schämte sie sich auch nicht für ihn. Zumindest mir gegenüber. Viel tiefer ließ sie mich freilich nicht in ihr Inneres blicken.»
«Wie oft haben Sie Ihre Schwester in der letzten Zeit gesehen?», fragte Galgenberg nun wieder sachlich.
«Vielleicht ein bis zwei Mal im Monat. Es war nicht so einfach, sie zu treffen. Wie Sie sich vorstellen können, erwartete sie häufig schon anderweitig Besuch. Manchmal auch sehr kurzfristig. Ich musste sie stets noch einmal per Telefon kontaktieren und mir den Termin bestätigen lassen, bevor ich bei ihr erscheinen durfte. So als wäre ich ein Handelsvertreter.»
Kappe wollte schon zur nächsten Frage ansetzen, da rieb sich Mönningsee die Stirn und fuhr fort: «Sie dürfen das nicht missverstehen. Ich konnte das Verhalten meiner Schwester durchaus nachvollziehen. Sie war seit Jahren auf sich selbst gestellt, und dann bin ich plötzlich wieder in ihr Leben getreten.» Der Mann schluchzte. «Ich wollte ihr die Zeit geben, die sie braucht. Sie war doch meine einzige nähere Verwandte.»
Josef Bolp stieg aus seinem Porsche 911 und schaute sich auf der Kurfürstenstraße um. Obwohl die Sonne schon tief am Himmel stand, warteten erst wenige Damen vom horizontalen Gewerbe auf die ersten Freier. Keine davon kannte er gut genug, um sie mit seinen Fragen zu behelligen.
Der Reporter blickte noch einmal auf seinen Notizblock, um die Stichpunkte zu überfliegen. Eine seiner Quellen bei der Kripo berichtete von einem Mord an einer Prostituierten mit dem Künstlernamen Yvonne. Einen Verdächtigen gebe es bislang nicht. Ermitteln würde Kriminaloberkommissar Otto Kappe. Bolp kannte den Beamten vom Namen her. Von dem würde er kaum exklusive Informationen erhalten. Allerdings hätte er von dem auch kaum ernsthaften Ärger zu erwarten, wenn er selbst ein bisschen herumschnüffelte. Also schlenderte er den Gehweg entlang.
Ein dürres Mädchen, das in seiner viel zu knappen Bekleidung am ganzen Leib zitterte, trat aus dem Schatten der Hauswand und fragte, ob er Interesse an einer flotten Nachmittagsnummer habe. Die Kleine war sicher noch keine achtzehn Jahre alt. Wahrscheinlich war sie neu hier und wusste deswegen nicht, wen sie da anquatschte.
«Lass mal, Süße!», sagte Bolp. «Ich bin dienstlich hier.»
Die Kleine riss die Augen auf und stolperte einen Schritt zurück.
«Keine Sorge, ich bin kein Bulle», fügte Bolp hinzu. Er grinste und ließ das Mädchen stehen, denn er hatte eine Bekannte erblickt: Gesine «Ginny» Jensen. Sie trug ein Pelzjäckchen und Netzstrümpfe unter dem Minirock. Auch wenn Ginny vom Alter her die Mutter der Kleinen sein könnte, macht sie sicher die besseren Umsätze, dachte Bolp. Doch deswegen war er nicht hier. Er eilte winkend zu Ginny.
Sie blieb stehen, warf ihm ein anzügliches Grinsen zu und rief: «Herr Bolp, ist die holde Angetraute schon am Sonnabendnachmittag zu langweilig?»
Ein paar Passanten drehten sich um. Doch Bolp ließ sich nicht aus der Ruhe bringen – nicht von ein paar Rentnern auf dem Weg zur U-Bahn und von einer vorlauten Dirne erst recht nicht. «Und selbst? Sind zu Hause die Kohlen ausgegangen, oder was treibt Sie auf die Straße?», fragte er zurück.
Ginny stöckelte ihm ein paar Schritte entgegen und blieb neben einer Straßenlaterne stehen. Sie lehnte sich an den Laternenmast und zog eine Zigarette aus ihrer Manteltasche. «Ich würde mich doch sehr wundern, wenn Sie das ernsthaft interessiert. Aber wenn wir schon beim Thema Hitze sind – würden Sie mir Feuer geben?» Die Dirne zwinkerte ihm zu. «Für meine Zigarette.»
Bolp fischte ebenfalls eine Zigarette sowie eine Streichholzschachtel aus seiner Manteltasche. Er entzündete ein Hölzchen und hielt es der Dame hin. Dann steckte er die eigene Zigarette an und sagte: «Im Ernst, meine Liebe, nach körperlicher Betätigung steht mir gerade nicht der Sinn. Aber wenn Sie Zeit für ein kurzes Gespräch hätten …»
«Nun, um diese Uhrzeit sind die Tarife noch moderat.» Ginny hielt die Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand und brachte dabei das Kunststück fertig, mit Daumen und Ringfinger das Prüfen eines Geldscheins zu simulieren.
Bolp zog seine Geldbörse aus der Manteltasche und nahm einen Zwanzigmarkschein heraus. «Das sollte für zehn Minuten am Nachmittag reichen.»
«Nun, das hängt ein wenig von der verlangten Leistung ab, Schätzchen.» Ginny nahm den Schein und ließ ihn im Dekolleté unter ihrem offenen Jäckchen verschwinden. «Also dann, lassen Sie uns einen kleinen Spaziergang machen.» Sie drehte sich um und bog in die Blumenthalstraße. Hier waren kaum Passanten unterwegs. «Nun fragen Sie, die Zeit läuft!», forderte die Dirne Bolp auf.
«Also ohne Umschweife, ich habe vom Tod Ihrer Kollegin Yvonne gehört und würde mir gern ein umfassendes Bild machen. Was flüstert denn die Straße?»
«Was weiß die Redaktion denn bislang?»
«Ach Gott, Ginny! Was heißt bei uns schon wissen? Mir wurde von einem Mord berichtet. Viel weiter ist die Geschichte in meinem Notizbuch noch nicht gediehen.»
Ginny lachte, nein, sie wieherte, als ob sie in einer Eckkneipe einen anzüglichen Witz gehört hätte. «Ja, das ist mir auch zu Ohren gekommen. Allerdings hat Yvonne immer so getan, als wäre sie etwas Besseres, und hat sich kaum mit uns abgegeben.» Ginny zog an ihrer Zigarette und blies den Rauch in die Dämmerung. «Meistens hatte sie wohl Hausbesuche. Aber manchmal musste sie sich auch ein paar Scheine draußen auf der Straße dazuverdienen. Hatte wohl einen ziemlichen Bedarf an Barem, die Gute.»
«War der Grund dafür nur ein kostspieliger Lebenswandel oder noch etwas anderes?»
«Sie war wohl nicht so dumm, wie sie arrogant war. Man tuschelt von einem Haus draußen in Marienfelde.»
«Das klingt vornehm.»
Erneut lachte Ginny wie eine angetrunkene Stute. «So war sie. Und dann war sie weg.»
«Wann haben Sie Yvonne zum letzten Mal gesehen?»
Ginny blieb stehen und zog an ihrer Zigarette. In den Rauch hinein sagte sie: «Dienstag war sie hier. Da vorn.» Sie zeigte auf die Kurfürstenstraße.
Bolp bemerkte, dass es in ihrem Kopf zu arbeiten begann. Es sah aus, als ginge hinter ihrer Stirn eine Lampe an – ach was, ein ganzer Kronleuchter! «Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?», fragte er vorsichtig.
«Möglicherweise.» Ginny grinste. «Es fällt mir bestimmt ein, wenn ich noch einen hübschen Schein bekomme.»
Bolp zog die Brieftasche erneut hervor und nahm einen weiteren Zwanziger heraus.
«Der ist doch nicht hübsch», sagte Ginny empört.
Bolp zog einen Fünfziger hervor und fragte: «Meinen Sie, Ihre Information ist so viel wert?»
Ginny schnappte sich den Schein. «Yvonne ist vergangenen Dienstag in ein Cabrio gestiegen und danach nicht wiederaufgetaucht.»
«In was für ein Cabrio?»
«Ein rotes. Die Marke habe ich nicht erkannt.»
«Ein rotes Cabrio? Davon gibt es in Berlin bestimmt Hunderte, wenn nicht gar Tausende. Und dafür einen Fuffi?», echauffierte sich Bolp.
«Nun warten Sie es doch