Drogen und soziale Praxis - Teil 2: Das Drogenthema und wie es in Berufsfeldern der sozialen Arbeit auftaucht. Gundula Barsch
in der extremen Ambivalenz, mit der der Alkoholkonsum in unserer Gesellschaft verhandelt wird: In der Regel wird er verklemmt zwischen der hohen positiven Bewertung des „Trinkens“ an sich und der starken Abwertung von „Trinkern/Säufern“ diskutiert. Sozialarbeiter müssen sich zu diesem Spannungsbogen verhalten und mit realitätsgerechten Positionen Modelle anbieten, die Genuss, Spaß und Vergnügen erlauben, für negative physische, psychische und soziale Konsequenzen sensibilisieren und auf ein sachgerechtes Risikomanagement verweisen.
Zweitens muss ein Sozialarbeiter darauf vorbereitet sein, dass derjenige, der den Alkoholkonsum anderer thematisiert, immer auch riskiert, dass das eigene Trinken ebenfalls angesprochen wird. In solchen Situationen lenken Verweise auf einen asketischabstinenten Trinkstil auf Ausnahmen, die in unserer Kultur selten vorkommen, von der Masse der Menschen aber weder erstrebt noch geschätzt werden. Sie sind in den notwendigen Auseinandersetzungsprozessen deshalb oft auch nicht hilfreich. Auch hier sind realitätsgerechte Modelle nützlicher.
Drittens muss ein Sozialarbeiter damit rechnen, dass sein Bemühen um Prävention und Behandlung von Alkoholfolgekrankheiten mit der Begründung zurückgewiesen wird, dass der Alkoholkonsum eine „rein private Angelegenheit“ sei, weshalb der Klient strikt jeden Hinweis als Einmischung zurückweist. Dies geschieht immer dann mit großer Wahrscheinlichkeit, wenn auf Seiten des Sozialarbeiters fachliches Wissen fehlt und deshalb eine Veränderung des Trinkens mit moralischen Attitüden eingefordert wird, die das Recht auf Genuss in Frage stellen und stattdessen Askese fordern. Derartige Zurückweisungen lassen sich oft mit dem Verweis aufweichen, dass viele Menschen gar nicht wissen, dass übermäßiger Alkoholkonsum Alkoholfolgeerkrankungen auslösen kann. Auch eine Aufklärung zu dem verbreiteten Irrtum, nachdem Alkoholfolgekrankheiten nur auftreten würden, wenn jemand zugleich alkoholabhängig sei, könnte die Bereitschaft fördern, sich mit Unterstützung des Sozialarbeiters mit dem eigenen Trinkverhalten auseinanderzusetzen.
Erkennbar wird, dass Einsicht und Mitwirkung an einer Änderung des Trinkens sehr davon abhängen, dass die Hinweise und Motive des Sozialarbeiters zum Thema Alkoholkonsum sachlogisch und weitestgehend ohne moralische Vorwürfe vorgetragen werden.
1.2.2Professionelles Knowhow für sozialarbeiterisches Handeln zu Alkoholfolgekrankheiten
Für ein erfolgreiches Engagement bei der Prävention und Behandlung von Alkoholfolgekrankheiten ist ein professionelles Knowhow erforderlich, das sich aus inhaltlichen und methodischen Bausteinen zusammensetzt. Dazu gehören:
Erstens das Wissen über Trinkmengen, deren Einhaltung empfohlen wird, um das Risiko von Alkoholfolgekrankheiten klein zu halten.
Zweitens Kenntnisse dazu, wie sich Trinkmengen grob abschätzen, aber auch detaillierter ermitteln lassen.
Drittens methodisches Handwerkzeug, um einen Überblick über die Trinkgewohnheiten des Klienten ermitteln zu können.
Viertens Beratungsansätze, mit denen Klienten befähigt werden, ihre Trinkmengen zu reduzieren.
Diese Bausteine professionellen Knowhows sollten nicht darüber hinweg täuschen, dass die Voraussetzungen professionellen Agierens überschaubar sind und von jedem Sozialarbeiter in kurzer Zeit angeeignet werden können. Ein Verweis auf mangelnde Zeit oder Überlastung kann als Grund für eine Unterlassung kaum akzeptiert werden.
Was sind empfohlene Trinkmengen?
Bereits im ersten Band dieser Reihe wurde erörtert, welche Einseitigkeiten sich ergeben, wenn einzig am Kriterium der konsumierten Substanzmenge ein Urteil gefällt würde, ob ein Missbrauch vorliegt oder nicht (vgl. Drogen und soziale Praxis, Bd. 1, 2010, S. 93-108). Mit dem Fokus auf Alkoholfolgekrankheiten werden jedoch in der Tat rein medizinische Aspekte des Alkoholkonsums in den Blick gerückt. Insofern ist auch die Frage berechtigt, ab welcher Menge ein regelmäßiger Alkoholkonsum Erkrankungen auszulösen vermag. Die Antwort darauf könnte sehr simple und eindeutig sein, ist sie aber nicht!
Empfehlungen müssen realitätsgerecht sein
In den letzten dreißig Jahren haben sich die Limit-Empfehlungen für den regelmäßigen Alkoholkonsum von Männern, Frauen und Jugendlichen mehrfach geändert. Sie sind dabei immer weiter nach unten korrigiert worden. Weltweit kursieren heute diverse Angaben zu medizinisch begründeten Mengengrenzen, deren Einhaltung empfohlen wird, um das Risiko körperlicher Folgeerkrankungen zu vermeiden:
Die Empfehlungen der WHO für unschädlichen Alkoholkonsum betragen für gesunde Männer täglich 40 g und für gesunde Frauen und Jugendliche 20 g reinen Alkohol.
Die Britische Ärzteschaft (Britisch Medical Association) definiert eine kritische Tagesmenge reinen Alkohols von 30 g für gesunde Männer und 20 g für gesunde Frauen.
Die amerikanische Gesundheitsbehörde National Institut on Alcohol Abuse and Alcoholism (NIAA) verweist sogar auf eine kritische Menge von 24 g bei gesunden Männern und 12 g bei gesunden Frauen (zit. nach Klingemann et al. 2004).
Deutlich wird, dass sich die Empfehlungen zu Grenzwerten für einen Alkoholkonsum, durch den das Entstehen alkoholbedingter somatischer Erkrankungen verhindert werden kann, gravierend unterscheiden.
Empfehlungen zu Trinkmengen sind immer auch Ideologie
Dies ist keineswegs nur auf einen veränderten Wissensstand zurückzuführen. Zu bedenken ist zugleich, dass solche Richtlinien auf angenommenen Wahrscheinlichkeiten basieren, mit der die benannten Ereignisse eintreten könnten. Die sehr unterschiedlichen Empfehlungen berufen sich also auf verschiedene Erkrankungswahrscheinlichkeiten. Konsequent zu Ende gedacht könnten derartige Empfehlungen also beispielsweise auch darin gipfeln, überhaupt keinen Alkohol zu trinken. Dann wäre zu 100 % ausgeschlossen, dass sich die vorliegenden Erkrankungen auf den Konsum von Alkohol zurückführen lassen. Popularisierte Mengenempfehlungen sind also immer auch von Normativen, sozialen Konventionen und Ideologien mitbestimmt.
Merkenswert: Unter den Experten gibt es keineswegs Einigkeit bei den Empfehlungen zu Mengen für einen regelmäßigen und dennoch unschädlichen Alkoholkonsum. Die popularisierten Limits unterscheiden sich zum Teil gravierend. Sozialarbeiter müssen deshalb entscheiden, welche Empfehlungen sie ihrer Arbeit zugrunde legen wollen.
Auch hier kann als Empfehlung gelten, sich an realitätsgerechten Limits zu orientieren1. Dies beinhaltet immer auch die Chance darauf verweisen zu können, dass durchaus auch Grenzwerte popularisiert werden, die weit limitierender sind, als die gewählten.
Methoden, um Trinkmengen zu bestimmen
Das Bedürfnis, einen Überblick über die jeweils getrunkene Menge Alkohol zu behalten, ist schon alt und hat sich quasi in unseren Trinkgefäßen „festgeschrieben“. „So verfügte im 10. Jahrhundert der angelsächsische König Edgar, an den Trinkgefäßen sollten Eichmarkierungen angebracht und jeder bestraft werden, der in einem Schluck über diese Markierung hinaus trinke.“ (Legnaro 1981, S. 90)
Trinkeinheiten – die Methode fürs Grobe
Noch heute lässt sich die Grundidee einer Normierung des Trinkens in der Ausgestaltung der traditionellen Trinkgefäße für die verschiedenen alkoholprozentigen Getränke wiederfinden: Jeder weiß, dass Alkoholika traditionell in jeweils unterschiedlichen Trinkgefäßen (Bierkrug, Weinglas, Sektglas, Likörbecher, Cognacschwenker) gereicht werden. Diese enthalten zwar eine unterschiedliche Menge; bezogen auf die jeweils in dem Getränk enthaltene Menge reinen Alkohols beinhalten aber alle Gläser, wenn sie normal gefüllt werden, etwa 10-12 Gramm.
Die traditionellen Trinkgefäße vereinheitlichen also, unabhängig von der Art des Getränkes,