Was geschah mit Lotte L. Joachim Bräunig
Während der Zeit seiner körperlichen Behinderungen betreute Peter Ludwig seine Eltern, da zu diesem Zeitpunkt sein Bruder Lars nicht in Wesenberg sesshaft war. Lars war zu dieser Zeit mit seiner Frau in Berlin wohnhaft und war Vorstandsmitglied in einem großen Bauunternehmen. Zu früheren Zeiten, als der Vater noch bei bester Gesundheit war, ist die ganze Familie jedes Jahr mindestens einmal in die Toskana in Urlaub gefahren. Während des letzten Urlaubes der Eltern kam es bei einer gebuchten Busreise zu einem schweren Unfall, bei dem die Eltern tödlich verunglückten. In ihrem Testament hatten die Eltern verfügt, dass auf Peter 60 Prozent des Erbes fallen und 40 Prozent zugunsten von Lars. Der Grund für diese elterliche Verfügung war beiden Brüdern unklar, aber Peter bestand auf seinen Anteil von 60 Prozent, er war der Ansicht, dass ihm dieser Anteil zustand, da er in letzter Zeit sich sehr um die Eltern gekümmert hatte und ihnen viel Arbeit, die der Vater auf Grund seiner Krankheit nicht mehr ausführen konnte, abgenommen hatte.
Lars hatte für diese testamentarische Verfügung seiner Eltern kein Verständnis und forderte, nach vielen harten Auseinandersetzungen, von seinem Bruder, die Auszahlung seines Erbanteiles. Das Erbe beinhaltete den Besitz des familieneigenen Grundstückes, einschließlich der Villa, und einen hohen Geldbetrag. Peter Ludwig konnte die Forderung seines Bruders mit seiner ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel nicht gewährleisten und sah sich genötigt, das elterliche Grundstück, einschließlich der Villa, zu veräußern. Lars war mit dieser Regelung einverstanden und erwarb daraufhin, mit dem Geld der Erbschaft, in Wesenberg ein eigenes Grundstück, welches er im Verlauf der letzten Jahre baulich erweitert hatte.
Peter Ludwig kaufte sich vom Geld aus der Erbmasse ein fertigbeziehbares Haus mit großem Vorgarten und Terrasse, welches sich ebenfalls in Wesenberg befand, so dass es unausbleiblich war, dass sich beide Brüder gelegentlich trafen, ohne Worte miteinander zu wechseln. Für die Einwohner von Wesenberg war das ein unangenehmer Zustand, da beide Brüder Arbeitsplätze für Bewohner der Stadt gewährleisteten, beide prinzipiell beliebt waren und sich für verschiedene gemeinnützige Aufgaben bereit erklärten. Der Streit zwischen den Brüdern war jeden Bewohner der Stadt bekannt und es hat gelegentliche Versuche gegeben, beide wieder an einen Tisch zu bringen, die jedoch alle gescheitert waren.
Zum heutigen Fest war Lars Ludwig mit seiner Frau eingeladen und sie waren auch erschienen und alle waren gespannt, wie diese Begegnung der beiden Brüder ausgehen würde. Die beiden Frauen der Brüder verstanden sich sehr gut und trafen sich in fast regelmäßigen Abständen, wovon die Brüder aber keine Kenntnis hatten. Sie waren seit längerem bemüht, das Verhältnis ihrer Ehemänner zu verbessern, wobei sie jedoch sehr umsichtig vorgehen mussten.
Die Gäste der Hochzeitsfeier waren bereits bester Stimmung und die Kaffeetafel wurde eingerichtet. Einige der Gäste vertraten sich im Terrassenbereich des Restaurants die Füße und warteten, bis sie zur Kaffeetafel gerufen wurden. Die Eltern des Brautpaares hatten, in Absprache mit den Eigentümern des Restaurants, mit der Gestaltung der Tafel und des späteren Abendessen das „Catering Unternehmen Seidel“ beauftragt. Das „Catering Unternehmen Seidel“ war am Ort und in der näheren Umgebung in seinem Bereich das führende Unternehmen und überall sehr beliebt und gern gebucht. Das Unternehmen verfügte über eine eigene Küche und somit in der Lage auf alle speziellen Wünsche ihrer Kunden einzugehen. Zum Unternehmen gehörten elf Mitarbeiter, einschließlich Küchenpersonal, die bei Erfordernis in Schichten arbeiteten. Frau Marianne Seidel, die Chefin des Unternehmens, war eine allseits geschätzte Persönlichkeit und für ihre Freundlichkeit und gute fachliche Beratung geachtet wurde. Zum Unternehmen gehörten auch vier Fahrzeuge, die den Mitarbeitern zur Verfügung standen und die damit in die Lage versetzt wurden, die Bestellungen an jeden Ort zu bringen. Marianne Seidel war, bedingt durch die Ausübung ihres Berufes, stets adrett und sehr modisch gekleidet und wusste mit ihrer Ausstrahlung gut umzugehen. Sie war nicht verheiratet und hielt sich bezüglich ihrer Männerbekanntschaften immer sehr bedeckt, was hin und wieder zu wilden Spekulationen führte, wovon sich Marianne Seidel nie beeindrucken ließ. Die Bestellung des Caterings hatte Lotte Leiser veranlasst, was viele Einwohner von Wesenberg verwundert hatte, denn die Feindschaft zwischen den beiden Frauen war stadtbekannt. Beide Frauen standen bezüglich ihrer Kleidung und ihrer äußeren Gestaltung prinzipiell im Wettstreit und versuchten sich zu überbieten, wobei die Bewohner feststellten, dass beide Frauen gut aussahen und jede ihre eigene Ausstrahlung hatte. Die Familie Leiser, Lotte Leiser und ihr Mann Heinrich Leiser, hatten sich an den Kosten der Hochzeitsfeier beteiligt und deshalb hatte Lotte Leiser die Verantwortung hinsichtlich des Büfetts übernommen.
Lotte Leiser war Mitinhaberin eines Cafe’s in Neustrelitz, was direkt in der Fußgängerzone gelegen war und welches stets gut besucht wurde. Im Cafe war Platz für fünfzig Personen und bei schönem Wetter, wie am heutigen Tag, wurden auf dem Fußweg zusätzlich Sitzmöglichkeiten für etwa dreißig Personen geschaffen. Lotte Leiser war mit 51 Prozent an dem Cafe beteiligt, die restlichen 49 Prozent besaß Ute Schmelzer, mit der Lotte bereits viele Jahre bekannt und befreundet war. Beide hatten in den 90er Jahren beschlossen, das alte Cafe zu übernehmen und haben vor der Eröffnung eine grundsätzliche Sanierung vorgenommen und das Cafe nach ihren Vorstellungen umgebaut. Sie waren mit den Umsätzen zufrieden und das Geschäft erarbeitete jedes Jahr einen höheren Gewinn. Sie beschäftigten vier festangestellte Frauen als Bedienung und ergänzten bei Erfordernis das Personal mit Pauschalkräften.
Der Ehegatte von Lotte Leiser, Herr Heinrich Leiser, war in einer größeren Firma bei Neustrelitz als Chefinformatiker tätig und musste im Rahmen dieser Tätigkeit zahlreiche Überstunden leisten, was in Zusammenhang mit der unregelmäßigen Arbeitszeit von Lotte Leiser dazu führte, das sich das Ehepaar im ungünstigen Fall einige Zeit nicht zu Gesicht bekam. Heinrich Leiser war sehr ehrgeizig und von seinen Mitarbeitern nicht besonders geschätzt, da er oftmals nicht mit ihnen über seine Entscheidungen sprach und ihn die Belange der Belegschaft bei seinen Entscheidungen nicht beeinflussten. Er war von großer kräftiger Gestalt und sein Auftreten wirkte auf seine Mitarbeiter stets sehr überheblich. Er wurde von seinen Mitarbeitern wegen seiner Frau oft belächelt, weil es ihnen unergründbar war, wie sich eine solch schöne Frau wie sie in ihm verlieben konnte. Zudem waren immer wieder, in unregelmäßigen Abständen, Gerüchte über Liebschaften von ihr im Umlauf. Ihr wurden in der Vergangenheit wiederholt Verhältnisse mit verschiedenen Männern nachgesagt, was jedoch Lotte Leiser und ihr Mann immer wieder bestritten. Lotte Leiser galt als sehr lebenslustig und war ihr gegenüber ausgesprochenen Komplimenten aufgeschlossen.
Lotte Leiser und Marianne Seidel hatten sich im Vorfeld der Hochzeitsfeier zusammengesetzt und die einzelnen Gänge des Menüs abgesprochen. Nach Beseitigung unterschiedlicher Ansichten hatten sie sich schließlich auf einen bestimmten Ablauf geeinigt.
Die Feier war in vollem Gange und es wurde viel gelacht und sich an die verschiedensten Erlebnisse erinnert. Im Raum herrschte viel Lärm und ein großes Durcheinander der Stimmen, so dass nicht jeder zu verstehen war. An der linken Seite der Tafel war ein kräftiger Mann dabei, seine Witze zum Besten zu geben, wobei er seine Zuhörer zuerst fragte, ob sie den neuesten Witz bereits kennen, was diese verneinten.
„Laufen zwei Betrunkene auf einem Abstellgleis, sagt der eine: ‚Wenn doch bloß die Treppen nicht so hoch wären.‘ Darauf der andere: ‚Die Treppen gehen ja noch, aber wenn doch bloß das Geländer höher wäre.‘“
Der Erzähler brach in schallendes Gelächter aus, während andere schauten, als ob sie die Pointe nicht verstanden hätten. „Ich kenne noch einen“, fuhr der Witzeerzähler fort. Er schaute in die Runde und fuhr fort: „‚Alles Gute zum Geburtstag, mein Schatz!‘ – ‚Hast du ein schönes Geschenk für mich?‘ – ‚Nun ja, erinnerst du dich noch an den pinkfarbenen Mercedes, den wir neulich beim Händler gesehen haben und den du unbedingt haben wolltest?‘ – ‚Das ist nicht dein Ernst?‘ – ‚Ich habe eine Zahnbürste gekauft, genau in der gleichen Farbe!‘“
Der kräftige Mann ließ sich nicht aufhalten und erzählte weiter: „Frau Müller putzt die Wohnung und singt dabei laut vor sich hin, auf einmal steht ihr Mann hinter ihr und knurrt: ‚Du hättest mir gleich sagen können, dass du singst! Ich öle seit einer Stunde die Gartentür!‘“
Die Zuhörer lachten und forderten den Mann zu weiteren Erzählungen von Witzen auf. Der Großteil der Gäste war mit dem Verzehr der aufgestellten