Am Tintenfluss. Maria Winter

Am Tintenfluss - Maria Winter


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sich einen guten Schuss von dem braunen Duft ein und lehrte den Becher ohne abzusetzen. Mit einem feinen Lächeln auf den Lippen stand sie auf und verließ das Abteil. Schon bald kam sie wieder und setzte sich. Ich rümpfte meine Nase und fragte mich, ob es bei dem Duft nicht um Parfum handele, oder ob es doch vielleicht Whiskey oder Cognac sei.

      Ich schaute auf meine Uhr und dachte, dass doch bald Köln erreicht sein müsste und sah, dass der Zug über die Köln-Deutzer-Rheinbrücke fuhr. Unerwartet holte meine Mitreisende die Thermoskanne hervor und schraubte mit bleichen, zittrigen Fingern den Becher ab. Sie goss ihn voll. Ich konnte vor Spannung kaum atmen. Sie bemerkte, dass ich sie ansah und fragte mich, ob ich nicht auch von ihrem Pfefferminztee wolle. Erschreckt sagte ich: „Nein, nein Danke!“ Im Lautsprecher ertönte: „Nächster Halt: Köln Hauptbahnhof!“ Ich stand sofort auf. Auf dem Bahnsteig drehte ich mich noch einmal um und sah, dass sie den Becher in ihrer Hand hielt.

       Sommerabend

      Ich saß hinterm Haus

      und ruhte mich aus.

      Eine Amsel sang im Baum,

      an mein Tagwerk dachte ich kaum.

      Müde streckt ich meine Glieder.

      Den Duft von weiß und lila Flieder

      atmete ich tief ein –

      es war reiner Lungenwein.

      Der Mond stieg hoch ganz leise –

      zu den Sternen geht die Reise.

      Über dem See glänzt goldener Schein.

      Ich trank dazu ein Gläschen Wein.

      Glühwürmchen, der kleine Wicht,

      zündet an das Zauberlicht.

      Ich sah und lobte wunderbar,

      die Stunde, die mir kostbar war.

       Riskante Fahrt

      An einem warmen Frühlingstag fuhr ich mit meinem Rad durch die Feldwege. Plötzlich sprang mir ein Schäferhund vor das Fahrrad. Ich erschrak entsetzlich und hüpfte vom Rad. Schutzsuchend stellte ich mich hinter mein Rad. Zähnefletschend und knurrend stand der Hund vor mir. Ich überlegte, wie ich mich aus dieser Hilflosigkeit befreien konnte. Mutig schrie ich den Köter mehrmals laut an: „Hau ab du Frechdachs!“ Damit hatte er nicht gerechnet. Er zog seinen Schwanz ein und trottete davon. Erleichtert stieg ich auf mein Fahrrad und genoss die Frühlingsluft.

       Nur Raben

      Vor Jahrzehnten.

      Der sonntägliche Kirchgang

      für eine Stunde Fußweg.

      Zeit für Vertrautheit.

      Zeit für Freundschaft.

      Probleme besprochen und gelöst.

      Von jedem Nachbarhaus

      gingen Erwachsene und Kinder mit.

      Menschen die mir wertvoll wurden.

      Heute zehn Minuten Autofahrt.

      Allein, schweigend.

      Keine Zeit,

      kein Lachen,

      kein freundlich Wort.

      Niemand in Sicht.

      Nachbars Fensterläden bleiben bis mittags dicht.

      Schnell die lange Straße entlang.

      Nur zwei Raben fliegen hoch.

      Ampel rot.

      Parkplatz hastig suchend.

      An der Kirchentür

      Leute mit nichts sagenden Blicken

      nur ein stummes Nicken.

       Die schwarzen Geranien

      „Ich will den ersten Preis, den ersten!“, sagte Peter nachdrücklich zu seiner Frau Lisa und hielt mit dem Fegen inne. „Na ja, dann streng dich an!“, sagte Lisa gelassen. „Die Jury kommt schließlich schon Anfang Juni und morgen Abend ist das Treffen bei Karl im Gartenhäuschen“, erwiderte Peter aufgebracht. Lisa fragte neugierig: „Kommen auch die Neuen vom Wendehammer?“ Peter riss ein Grasbüschel aus dem Natursteinpflaster und antwortete „Natürlich, gerade die Neuen. Das ganze Frühjahr über haben sie weder Harke noch Besen in die Hand genommen. Vor der Haustür wuchern Gras und Saudisteln. Ihnen fehlt jeder Blick für Blumen und Schönheit. Wenn es so bleibt, sieht es düster aus für unseren Hasenpatt!“ Im vollen Schwung fegte Peter weiter.

      Nachdem sich am nächsten Abend fast alle Bewohner bei Karl ausführlich über ihre Gärten unterhalten hatten, erklärte er den Nachbarn, dass der Bürgermeister wie in jedem Jahr wieder zum Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden!“ aufgerufen hat. „Unsere Straße Hasenpatt ist erstens vorgesehen für den schönsten Vorgarten, zweitens für den farbenprächtigsten Balkon und drittens für die beste Pflanzschale. Wir haben gemeinsam viel zu tun.“ „Und die Neuen im Wendehammer?“, fragte Ralf. „Egal“, antwortete Karl, „wir werden unseren Hasenpatt schon preiswürdig machen. Lass uns die nächsten Tage abwarten!“ Eine aufgeregte Diskussion um die Beetgestaltung schloss das Zusammentreffen ab. Karl, Willi und Gerd tauschten am nächsten Morgen Blumenstauden aus. Rittersporn, Phlox und Marienglockenblume. Die Frauen hingegen waren ganz mit ihren farbenfreudigen Ideen beschäftigt. Erfahrungen wurden ausgetauscht. Elke und Ute pflanzten Verbenen, Geranien und Edellieschen. Während Karl im Vorgarten ein großes Beet auflockerte, pflanzte seine Frau Sophie orangefarbene Knollenbegonien ein. „Toll, sehr schön. Das ist preisverdächtig!“, rief Bärbel über das Gartenmäuerchen. Anschließend machte Karl seine Informationstour über den Hasenpatt. Immerzu hörte er die Heckenschere und den Rasenmäher. Alle waren fleißig. Willi kam ihm entgegen: „Hast Du schon gesehen? Die Neuen waren im Garten. Die Hecke ist geschnitten. Sie haben die alten Weidenkörbe mit rosafarbenen Hortensien bepflanzt. Die machen uns allen noch was vor!“ Als Karl bei Peter und Lisa vorbeischaute, rief er hinüber: „Peter hast Du schon gesehen, die Neuen haben ihren Garten gestaltet. Die Rasenkanten sind pfeilgerade abgestochen. Sie machen selbst dir noch etwas vor!“ Karl lachte. Er ließ seinen Blick über den Garten schweifen. Das Farbenspiel der Blumen, die Anordnung, alles war wohldurchdacht. „Respekt, Respekt, ihr hättet eine Auszeichnung verdient!“ „Ja ja, ohne Fleiß kein Preis“, sagte Peter stolz. Lisa hörte dem Gespräch schmunzelnd zu. Na ja, dachte sie, das sehe ich mir morgen an!

      Als sie am nächsten Tag durch das Dorf fuhr, machte sie auf dem Rückweg Halt im Wendehammer. Dort kam sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Diese Verwandlung - weniger ist mehr. Das muss ich sofort Peter erzählen, dachte Lisa. Peter rutschte auf der Gartenbank nervös hin und her, als er hörte was Lisa ihm berichtete. „Die Neuen haben das Tor grün gestrichen. Über den Torbogen ranken üppig die weißen Ramblerrosen und als Kontrast haben sie vorn auf dem Rasen ein großes Beet mit knallroten Geranien angelegt.“ „Sehr geschmackvoll“, sagte Lisa und räusperte sich. „Pass auf, dass sie dir den ersten Preis nicht wegschnappen!“ Peters Gesicht war wie versteinert, er blickte stumm zu Boden. „Morgen werden wir es wissen“, sagte Lisa und ging ins Haus. Peter fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Alpträume quälten ihn. Es war diebisch hell. Er schlich sich aus dem Haus. Sein Weg führte direkt zum Wendehammer. Nun musste er handeln. So so, die schönsten roten Geranien, dachte sich Peter. Er zog eine Farbdose aus der Jackentasche und besprühte die Geranien mit schwarzem Lack. Das Mondlicht ließ sie dunkel glänzen. Schnell und mit klopfendem Herzen rannte Peter zurück und legte sich schweißnass in sein Bett. Nun konnte der nächste Tag kommen.

      Es war ein klarer, frischer Junitag als die Jury durch den Hasenpatt schritt. In der Luft lag


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