Persephone. Matthias Falke

Persephone - Matthias Falke


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dahinzog, wies Ansichten auf, die kaum von einem Slum zu unterscheiden waren, als wolle es vehement leugnen, dass man sich noch in Nordamerika befinde. Die hier vorherrschende Ethnie waren Latinos, die auf den Straßen gesprochene Sprache war ein karibisch getöntes Spanisch. Hier wucherten Prostitution, Drogenmissbrauch, organisierte Kriminalität. Die statistischen Werte für Einkommen, Bildung oder etwa Kindersterblichkeit unterschieden sich nicht von jenen auf der Südhälfte des Kontinents oder in Afrika. Der Union war das schmuddelige Ambiente ihres Hinterhofs einigermaßen peinlich. Aber bis jetzt waren alle Anstrengungen, die Übel zu beseitigen, gescheitert. Einstweilen fand man sich damit ab, sie zu ignorieren.

      Der Scooter zeigte an, dass er die Küstenstraße an der nächsten Ausfahrt verlassen werde. Aus einer Laune heraus übernahm Laertes die Steuerung manuell. Er folgte den Anweisungen der Automatik und bog in eine kleinere Straße ein. Die sichelförmige Bucht in der Tiefe bildete an ihrem östlichen Abschluss eine Halbinsel, die auf einer hohen Felsklippe thronte. Die Interstate verlief hier weiter landeinwärts, da sie die Halbinsel abschnitt. Die Nebenstraße, der er nun folgte, ließ sich jedoch auf das Abenteuer eines Abstechers zu diesem idyllischen Dead End ein.

      Laertes drosselte das Tempo, um sich besser ein Bild machen zu können. Er bestaunte schmucke Villen und geräumige Privatgrundstücke. Daneben fiel ihm auf, dass dieser herrliche Flecken Erde bevorzugt zur Ansiedlung von Altenstiften, Pflegeheimen, Seniorenkliniken und Rehazentren genutzt wurde. Er lächelte in sich hinein und konzentrierte sich dann wieder auf sein Fahrzeug. Das Display zeigte an, dass er so gut wie da war. Dann hielt der Scooter auch schon vor einem schlichten Einfamilienhaus, das schön zum Meer hin gelegen war, auf drei Seiten von Rasen und Blumenbeeten umgeben. Er stieg aus und ging zum Tor. Noch ehe er sich bemerkbar machen konnte, wurde ihm geöffnet.

      Eine attraktive Frau von noch nicht vierzig Jahren kam ihm entgegen.

      »Sie müssen Laertes sein!«

      Sie trug nur eine kurze Leinenhose und eine helle Bluse. Ihre Arme und Beine waren braungebrannt. Die modische Kurzhaarfrisur verstärkte noch den jugendlichen Eindruck, der von ihr ausging.

      »Und Sie Beth.« Laertes reichte ihr die Hand, die sie mit festem Griff packte und schüttelte. Er vermutete, dass sie eine gute Tennisspielerin war.

      »Franklin ist im Garten«, sagte sie, als er an ihr vorbeiging. Dann setzte sie noch hinzu: »Ich denke, wir können Du sagen.«

      »Ja, natürlich.«

      Beth führte ihn um das Haus herum. Es waren Blumenrabatten und Gemüsebeete zu unterscheiden, Spalierobst und ein kleiner Rosengarten. Das war Beths Domäne, so viel sah man auf den ersten Blick. Ihre nackten Füße waren voller Erde, und sie hielt eine Gartenschere in der Linken.

      »Franklin ist bei der Kleinen.« Beth deutete auf die Wiese hinaus, die sich hinter dem Haus öffnete und meerwärts bis zum Ende des großzügigen Grundstücks verlief. »Er kann nicht von ihr lassen.«

      Laertes war unwillkürlich hinter ihr zurückgeblieben, deren burschikose Art ihn einschüchterte. Über einige Hecken und Beete hinweg sah er seinen ehemaligen Kameraden in einem Gartenstuhl sitzen. Ein etwa dreijähriges Mädchen kletterte auf ihm herum.

      »Geh ruhig«, ermunterte ihn Beth. »Ich wasche mir die Hände und sehe mal in der Küche, was ich für euch tun kann. Trinkst du einen Kaffee, Laertes?«

      »Ja, gern.« Er hörte sich selber sprechen, während er das Bild betrachtete, dessen Harmlosigkeit etwas mit ihm machte, für das er noch keinen Begriff gefunden hatte.

      Beth verschwand im Haus. Er ging um die Hecke aus Kotoneaster herum. Auf der Wiese war ein einfacher Plastiktisch gedeckt.

      Ash reichte ihm sitzend die Hand.

      »Entschuldige«, sagte er grinsend mit Blick auf das Mädchen, das wie ein Äffchen an seiner Brust und Schulter herumturnte.

      »Kein Problem.« Laertes strengte sich an, das unbefangene Lächeln zu erwidern. Er sah zu, wie Ash die Kleine mit sanfter Gewalt von sich löste und sie dann wieder richtig herum auf seinen Schoß setzte. Das Mädchen war ausgesprochen hübsch. Ihr braunes Haar war zu einem Pferdeschwanz gefasst. Die dunklen, temperamentvollen Augen hatte sie von ihrer Mutter geerbt. Und wie Beth war auch sie sonnengebräunt. Jeder Zoll ihres energiegeladenen Wesens strahlte Unternehmungslust und einen nicht zu bändigenden Willen aus.

      »Darf ich vorstellen«, sagte Franklin B. Ash, der seinen Vaterstolz kaum noch bemeistern konnte. »Jenny, unsere Jüngste.«

      »Hallo Jenny«, sagte Laertes unbeholfen.

      »Jenny, Liebes, gib Onkel Laertes die Hand.«

      Die Kleine streckte ihm ihre Rechte entgegen und gleichzeitig die Zunge heraus. Laertes lachte und schüttelte das kleine Händchen, das von irgendwelchen Süßigkeiten klebrig war. Dann schaute er seinen Freund aus den Tagen des Jungfernfluges an.

      »Wieso die Jüngste?«

      »Wie sieht es aus?« Dr. Randolph Valerian Rogers trat an den Hauptbedienplatz der Orbitalstation.

      »Alles bereit zum finalen Test«, erklärte sein Stellvertreter, Seten Brini.

      »Dann bin ich mal gespannt.« Rogers sah über das holographische Pult hinweg. Einige hundert Kilometer unter ihnen dehnten sich die sandfarbenen Ebenen des Planeten. Dünne Wolkenschatten wanderten über die Salzseen und die kargen Gebirge. Es war eine trostlose Welt, auch wenn der Name Orkus ein bisschen melodramatisch für die ereignisarmen Basaltwüsten und kontinentgroßen Schotterflächen anmutete. Ein Planet, so groß und einladend wie der Mars. Nicht ungeeignet fürs Terraforming, auch wenn er dafür offiziell noch nicht freigegeben war.

      »Gehen wir’s an.« Dr. Rogers hatte noch einen Moment innegehalten, als habe er einen letzten Zweifel niederzukämpfen. Seine Mitarbeiter, mit dem Exogeologen Brini an der Spitze, kannten ihn allerdings gut genug, um zu wissen, dass er keine Zweifel und keine Vorbehalte kannte. Eher war es ein Augenblick der Besinnung, wie man ihn einem Hochgenuss vorausgehen lässt. Noch einmal die Augen schließen und tief durchatmen, ehe man den ersten Schluck Champagner trinkt oder an der Qatlette zieht.

      »Go!« Rogers zwinkerte seinem Assistenten munter zu.

      Brini aktivierte ein seit mehrere Minuten rot pulsendes Sensorfeld in der Mitte der virtuellen Konsole. Umfangreiche Aktivitäten tief im Inneren des fliegenden Labors liefen an, viele Decks unter ihnen und natürlich vollautomatisch. Ein Projektil wurde ausgestoßen. Durch Korrekturdüsen verringerte es seine Orbitalgeschwindigkeit, woraufhin es hinter der Station zurückzubleiben und nach unten zu driften begann. Als ein gewisser Sicherheitsabstand erreicht war, zündete das Projektil ein konventionelles Triebwerk, das auf der bewährten Lambda-Reihe basierte. Es schoss senkrecht nach unten, wobei es hart beschleunigte und bei Atmosphäreneintritt einen magnesiumfarbenen Schweif aus Plasma ausbildete.

      »Alle Systeme arbeiten einwandfrei«, kommentierte Seten Brini, was auf den Anzeigen zu sehen war.

      Die übrigen Mitarbeiter bildeten eine Traube um die beiden Chefwissenschaftler. Einige hatten sich auch an anderen Konsolen postiert, um den Vorgang von dort aus zu verfolgen. Eingreifen musste oder konnte jetzt niemand mehr. Die Dinge gingen ihren Lauf, der Millionen Male durchgerechnet, aber noch nie unter Echtbedingungen und in realem Maßstab ausprobiert worden war.

      »Zehn Sekunden bis zum Impact«, sagte Brini.

      Der senkrechte Strich der schwarzen Rauchfahne, die als leere Hülle zurückblieb, stand dürr am südwestlichen Horizont und wurde von der Eigendrehung des Planeten und der Orbitalbewegung der Station rasch in die Unsichtbarkeit entrückt.

      Mit bloßen Augen war jetzt nichts mehr zu erkennen. Aber ERIS hatte in den letzten Wochen ein vollintegriertes Satellitennetz über Orkus installiert, so dass der Kontakt zu dem Projektil sichergestellt war. Zahllose Sensoren waren auf den übermannshohen Konus gerichtet, der sich jetzt mit mehrfacher Überschallgeschwindigkeit der staubigen Oberfläche des Planeten näherte, von optischen Kameras bis zu Röntgensonaren, von Mikrowellenempfängern bis hin zu Gravitonendosimetern.

      Die letzten Sekunden. Dann zeigte


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