für immer 8 Bit. Uwe Post
Ärger mit deinen Eltern!«
Sie tippte auf das Magazin in meiner Hand. »Dann bring das besser Montag wieder mit, es gehört meinem Vater.«
Ich nickte. »Drei Uhr?«
Sie nickte. »Und jetzt ab nach Hause und unter die Dusche. Du stinkst.«
»Zu Befehl«, sagte ich und schob die Zeitschrift in meine Schultasche.
Ich stank wirklich so schlimm, dass Tommy sich im Lokschuppen meiner Modelleisenbahn versteckte. Nachdem ich die Türen geschlossen und mit meiner Dampflok Baureihe 44 blockiert hatte, konnte ich mich das ganze Wochenende lang auf meine Hausaufgaben konzentrieren.
Und auf einen weiteren Besuch bei Anna freuen.
Wieder Montag
Als ich Annas Zimmer betrat, staunte ich nicht schlecht. Der Atari war keineswegs wieder auf dem Schrank verschwunden. Er hatte einen kleinen Camping-Klapptisch spendiert bekommen und stand voll verkabelt vor dem Regal mit dem Fernseher.
Noch mehr beeindruckte mich, dass unter dem Tisch ein Diskettenlaufwerk und eine Datasette standen.
»Wo kommen diese Dinger denn jetzt plötzlich her?«, entfuhr es mir.
»Hatte mein Vater noch im Schrank«, sagte Anna und zeigte auf ihren Schreibtisch. »Da liegen auch ein paar Steckmodule. Bloß kein Joystick.«
Ich kniete mich hin und fuhr zärtlich mit den Fingern über die Geräte. Die Bezeichnung des Diskettenlaufwerks lautete 810. Es konnte knappe 100 KBytes auf jede Seite einer 5 1/4-Zoll-Diskette speichern, die man dazu freilich aus dem Gerät nehmen und anders herum wieder einschieben musste. Mir kamen fast die Tränen. Natürlich gehörten die Geräte nicht mir. Aber sie zu sehen und anzufassen, hatte irgendwas Körperliches.
»Womit wir beim Thema wären«, brummte ich und stand auf.
»Englisch oder Mathe?«, fragte Anna.
Ich ging zum Schreibtisch und sah mir die Steckmodule und Disketten an. Annas Vater hatte tief in die Tasche gegriffen, soviel stand fest. Ich fand den Atari Writer, das BASIC-Modul, mehrere DOS-Disks und eine mit der Aufschrift »Forth«.
»Kennst du das Gefühl, im Paradies gelandet zu sein?«, murmelte ich.
Anna schwenkte ihr Schulheft. »Ich bin die Schlange, und wahrlich ich sage dir: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Möchtest du einen Apfel?«
Ich ergab mich in mein Schicksal. Da es wärmer war als vor einer Woche, musste beziehungsweise durfte ich Annas Zehen nicht wärmen, so dass diese Hausaufgaben-Stunde nicht sonderlich viel Spaß machte.
Time … is floating like a river ... (vii)
»Das ging schnell«, sagte Anna, als wir fertig waren. »Dann hätten wir jetzt noch Zeit für die versprochene Lektion Bruchrechnen.«
»Sind alle Frauen so grausam wie du? Dann werde ich besser schwul.«
Anna verzog das Gesicht. »Du kennst mich doch gar nicht richtig. Ein paar Tage im Monat bin ich wirklich unerträglich.«
Ich wurde rot. Ich kannte diese Problematik aus Exemplaren der Bravo, die ich mir manchmal heimlich von meiner Cousine auslieh. »Können wir nochmal über deine außerirdische Idee reden?«
»Warum?« Anna zuckte mit den Schultern. »Hast du denn einen Weg gefunden, ein Model in den Computer zu bekommen?«
»Mir ist der Gedanke unangenehm«, gab ich zu.
»Sind alle Jungs so verklemmt? Dann werde ich besser lesbisch.«
»Bitte nicht«, entfuhr es mir. »Aber vielleicht hilft es, wenn du mir deine Idee nochmal genauer erklärst. Du schlägst nicht im Ernst vor, ein Spiel zu schreiben, in dem es um das Wort mit drei Buchstaben mit S am Anfang und x am Ende geht, oder?«
»Das wäre zu direkt. Das Ziel des Spiels sollte es sein, eine Frau auszuziehen. Daher meine Frage nach den Bildern. Natürlich darf es nicht zu einfach sein. Die Spieler müssen sich anstrengen und irgendwelche Aufgaben lösen, um das nächste Bild sehen zu dürfen. Das letzte Bild ist natürlich am schwierigsten zu erreichen.«
»Das totale Nacktbild«, sagte ich. »Ein Klasse Plan. Außer ...« Ich zählte an meinen Fingern ab. »Erstens: Es ist wirklich nicht sehr einfach, Fotos in so einen Rechner zu transferieren. Zweitens: Man muss ein Spiel drumherum erfinden, damit die Sache nicht langweilig ist. Drittens: So viele Bilder passen kaum auf eine Diskette oder eine Datasette. Viertens: Selbst wenn sich das alles machen ließe: Falls meine Eltern, Lehrer oder Freunde mitkriegen, dass ich ein, äh … Nacktspiel schreibe, kann ich nie mehr das Haus verlassen. Oder ich darf es nicht mehr betreten. Alternativ lasse ich mich gleich begraben.«
»Das«, sagte Anna, »oder wir werden stinkreich. Kennst du Onkel Dagobert?«
»Vom Hörensagen«, behauptete ich, weil mir meine Sammlung Lustiger Taschenbücher ein bisschen peinlich war. Mein Deutschlehrer hatte sie als Hauptursache für meine schlechten Noten ausgemacht, und zumindest Tommy neigte gelegentlich dazu, ihm zuzustimmen. »Letztlich brauchen wir also ein Model, das sich gegen Geld auszieht? Das würde doch kein normales Mädchen freiwillig tun.«
»Ich betrachte normal als Schimpfwort. Ich will später mal Pilotin werden.«
»Das erklärt natürlich alles«, brummte ich. »Ich dachte bisher, unnormale Mädchen oder Jungs würde man an den bunten Haaren erkennen.«
Anna lachte. »Ich bin subtiler. Ist doch langweilig, wenn es direkt jeder sehen kann. Und langweilig ...«
» … kommt auf der Liste der Schimpfwörter direkt hinter normal«, schlussfolgerte ich.
»Wir finden schon ein Model.« Anna griff nach einer der herumliegenden Disketten und warf sie mir zu. »Hier«, sagte sie. »Hau rein.«
Es war die Forth-Disk.
Anfang Juni 1983
In den Pfingstferien schaute ich in unserer Stadtbücherei vorbei, aber informative Unterlagen zu aktuellen Heimcomputern waren dort Mangelware. Dafür lieh ich mir ein Buch von einem gewissen Erich von Däniken aus, das mich während der Ferien mehrere Tage beschäftigte. Ich zeichnete Skizzen für ein Computerspiel, bei dem es darum ging, auf einem fremden Planeten zu landen und die dortigen Ureinwohner nach allen Regeln der Kunst zu knechten.
Mein aktuelles Lieblingslied war Total Eclipse Of The Heart, weil ich gar nicht anders konnte, als für eine Person wie Anna zu schwärmen. »Das ist dein Untergang«, predigte Tommy in ätzender Regelmäßigkeit. »Und blöderweise damit auch meiner.«
Ich verdonnerte ihn, mit der Modelleisenbahn zu spielen, damit ich in Ruhe nachdenken konnte.
Sollte ich Anna bei nächster Gelegenheit fragen, ob sie sich vorstellen könnte, mit mir nicht nur Computerspiele zu erfinden, sondern auch … na ja, was auch immer Jungs und Mädchen noch Interessantes miteinander tun konnten? Nicht, dass ich irgendeine Ahnung davon gehabt hätte.
Tommy meinte, die meisten Menschen würden es wohl früher oder später irgendwie rausfinden, bloß bei mir hätte er so seine Zweifel.
»Sehr hilfreich, vielen Dank«, brummte ich und drehte die Musik lauter.
Turn around, bright eyes (viii)
Anna hatte wirklich ziemlich helle Augen. Ihre Iris war so hellgrau, dass man zweimal hinschauen musste, um es zu glauben. Im Moment war sie mit ihren Eltern auf Kurzurlaub in Amsterdam. Eine Art Schlaraffenland, wie ich gehört hatte, denn dort durften auch Jugendliche in die Kaschemmen mit den Münzen schluckenden Computerspielen, hierzulande musste man dazu 18 Jahre alt sein. Als wären Spiele was Versautes!
Am Dienstag nach Pfingsten drückte ich mich mittels simulierter Kopfschmerzen vor einem schnarchlangweiligen Verwandtenbesuch und hörte den ganzen Nachmittag Tangerine Dream. Ich blätterte in zwei ausgeliehenen Elektronik-Lehrbüchern und verstand hauptsächlich Bahnhof und Transistor. Sicher war es nicht die schlechteste