Der junge Häuptling. Liselotte Welskopf-Henrich

Der junge Häuptling - Liselotte Welskopf-Henrich


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Papiere, in denen er gelesen hatte.

      Er erhob sich, um den Ponka förmlich als seinen Gast zu begrüßen, bot ihm Platz an, und als der Indianer sich setzte, ließen sich auch Morris und Langspeer nieder. Morris bot Tabak an. Der Ponka und der Cheyenne stopften ihre Pfeifen. Auch als sie die ersten Züge taten und der Maler eine gute Zigarre – sicher ein Geschenk des Kommandanten – zum Brennen gebracht hatte, wurde nicht gleich gesprochen. Aus dem Fenster der Stube hatte man einen Blick über das ganze Gelände des Forts und darüber hinaus auf die hügelige Landschaft. Alle drei schauten hinaus und sahen einander dann zurückhaltend, mit halbem Blick, an.

      Der Maler griff nach einem kleinen Zettel, schrieb etwas darauf und schob es dem Ponka hin.

      Dieser las: Harry Tokei-ihto. Er knüllte das Papier, rieb mit seinem Feuerzeug Funken und verbrannte den Zettel.

      »Was willst du von mir?«, fragte er den Maler.

      »Wir schweigen.«

      »Ich weiß es. Sonst würdet ihr noch im Missouri schwimmen.«

      »Ich habe dich gebeten zu kommen.« Der Maler suchte offensichtlich nach den rechten Worten gegenüber dem Gast, dessen bemalte Züge er nicht entziffern konnte. »Wir haben uns vor dreizehn Sommern zum ersten Mal gesehen. Damals warst du ein Knabe im Zelt deines Vaters Mattotaupa, den ich bei euch Dakota als einen prachtvollen Mann kennenlernte. Wir haben uns zum zweiten und zum dritten Mal gesehen. Dein Vater war verbannt worden; die weißen Männer ruinierten ihn mit ihrem Brandy, und du warst unser Kundschafter – neunzehn Jahre alt. Jetzt bist du vierundzwanzig und Häuptling bei deinem Stamm. Was ist aus deinem Vater geworden?«

      »Der weiße Mann mit Namen Jim, dieser Fuchs, der sich auch Fred Clarke nennt, hat meinen Vater ermordet und skalpiert. Der Tote wurde den Fischen zum Fraße gegeben.«

      Der Maler fuhr zusammen. »Das war also das Ende.«

      Es trat wieder Schweigen ein.

      Der Maler schob eines der Blätter, die er vor sich auf dem Tisch liegen hatte, hin und her. Er schien es noch einmal zu lesen.

      »Vielleicht abwegig«, sagte er endlich, noch immer zögernd, »aber doch solltest du es lesen. Weißt du etwas von dem Stamme der Shäheptin?«

      »Ein kleiner Stamm im Nordwesten.« Der Indianer brachte seine Pfeife, die ihm ausgegangen war, wieder zum Brennen.

      »Ein tapferer kleiner Stamm. Die Shäheptin wollten über die Grenze nach Kanada auswandern, um nicht in eine Reservation bei uns in den Staaten ziehen zu müssen. Mitten im Winter machten sie sich auf, in Eis und Schnee wanderten sie mit Frauen und Kindern durch die Berge. Als sie die Grenze fast erreicht hatten, waren ihrer so viele erfroren und verirrt, dass sich die Häuptlinge mit dem Rest des Wanderzugs ergaben. Ich habe hier den Bericht über die Rede des Häuptlings, mit der er kapitulierte.« Der Maler schob dem Indianer das Blatt hin.

      Dieser las, langsam, mehrmals, als ob er die Worte dieser Rede auswendig lernen wolle. Als er das Blatt zurückgab, sagte er: »Der Große Vater in Washington und die vielen kleinen Väter, die ihm herrschen helfen, sind merkwürdige Menschen. Sie sind wie Reiter, die die Pferde am Zügel zurückreißen und dabei auf sie einschlagen. Sie halten die roten Männer mit viel Anstrengung fest und quälen sie in den Reservationen.«

      »Du weißt, dass die Dakota schon vor einem Monat die neuen Reservationen bezogen haben sollten?«

      »Hau. Mitten im Winter.«

      Morris schien zu überlegen, ob er die weitere Frage, die ihn bewegte, aussprechen dürfe. Er entschloss sich dazu, sie zu stellen: »Was werden die Dakota tun?«

      »Das musst du die Oberhäuptlinge und die oberste Ratsversammlung dieses Stammes fragen.«

      »Hast du selbst vielleicht eine Frage an uns – Jack?«

      »Nein. Oder wollt ihr mir sagen, mit welchem Recht die weißen Männer alle heilig beschworenen Verträge brechen?«

      Der Maler senkte den Blick. »Du weißt«, brachte er stockend hervor, »dass ich das Totem Tashunka-witkos, eures Oberhäuptlings, besitze und dass ich keinen Dakota töte oder verrate. Ich weiß nicht, ob ihr gegen unsere Armeen kämpfen wollt. Wenn ihr kämpft, so werdet ihr diesen Kampf verlieren. Ich weiß nicht …«

      »Aber vielleicht«, sagte Jack der Ponka, der in Wahrheit Harry Tokei-ihto hieß und ein Dakota war, »vielleicht weißt du, Weitfliegender Vogel, warum jene weißen Männer, die dafür gekämpft haben, die Negersklaven zu befreien, jetzt dafür kämpfen, die Dakota in ein großes Gefängnis einzusperren, das sie Reservation nennen, und warum sie sie dort behandeln wollen, wie weiße Männer in einem Irrenhaus behandelt werden – ohne Recht, ohne Freiheit?«

      Der Maler starrte den Indianer an. »Die Neger sind Arbeitskräfte unserer Farmer und Unternehmer, auch wenn sie frei sind. Die Dakota wollen einen Staat für sich bilden und nach Prinzipien leben, die wenig Nutzen für die Wirtschaft abwerfen.«

      »Die Menschen sollen also für euren Nutzen oder gar nicht leben?«

      »Jack, die Sieger im Bürgerkrieg sind korrupt und übermütig geworden. Über uns selbst regieren die republikanischen Stahlmänner heute in fast unerträglicher Weise. Vielleicht ändert sich das einmal. Aber für euch ist es dann zu spät.«

      »Hast du etwas von den Dakota aus Minnesota gehört, Weitfliegender Vogel, die vor vierzehn Sommern nach Kanada gezogen sind?«

      »Sie leben bis heute am Sourisfluss.«

      Der Indianer erhob sich. »Du wirst mein Bild nie malen, Weitfliegender Vogel Geheimnisstab. Ich gehe.«

      »Sehen wir uns noch einmal?«

      »Ich glaube nicht.«

      Als der Indianer schon nach der Türklinke griff, hielt ihn der Maler noch einmal auf. »Jack – erinnerst du dich aus deiner Kundschafterzeit noch an Henry Henry, den Ingenieur, den jungen Freund von Joe Brown, diesen großen Pionier der Union Pacific? Ihr kanntet euch.«

      »Ich erinnere mich.«

      »Er ist hier.«

      Der Indianer zeigte keine Unruhe.

      »Henry will zu der Station am oberen Niobrara reiten. Er hat sein Geld versoffen, hat beruflich einen großen Rückschlag erlitten und will etwas wettmachen. Durch die Black Hills sollen Zweigbahnen gebaut werden. Henry …«

      »Es ist für Henry besser, wenn er in die Städte des Ostens zurückgeht.«

      »Du würdest ihn nicht schonen?«

      Der Indianer tat, als ob diese Frage nicht gestellt worden sei. Er ging. Leise schloss er die Tür hinter sich.

      In der hellen Stube saß Morris, der Maler, und hatte den Eindruck, dass es rings um ihn dunkel werde. »Langspeer?«

      »Ja?«

      »Die Freundschaft der Menschen, die ich schätze, entgleitet mir. Sie werden sich untereinander morden …«

      Der Maler erschrak und verstummte, denn er hörte einen festen Schritt die Treppe heraufkommen. Der Indianer war auf leisen Sohlen weggegangen, sein Tritt war nicht zu hören gewesen.

      Es klopfte, gleich darauf trat ein Mann von etwa dreißig Jahren in die Stube ein. Er knallte die Tür zu. »Morris«, rief er, »wir haben uns vorhin beim Kommandanten nur so kurz begrüßt! Was für ein Wiedersehen nach so vielen Jahren, das muss doch gefeiert werden! Hier, ich habe eine Flasche exquisiten Whisky mitgebracht.«

      »Henry, du sollst nicht schon wieder trinken! Du ruinierst dich!«

      »Nur heute noch einmal! Nur heute! Zum Abschied. Morgen reite ich zu der Station von Smith am Niobrara. Das Leben in der Wildnis fängt noch einmal an! Mein alter Gönner und Lehrmeister Joe Brown baut die Northern Pacific, Henry Henry aber wird die Bahn zu den Goldbergwerken der Black Hills bauen. Kommt, haltet mit!«

      Morris nippte. Langspeer schob das gefüllte Glas weg.

      »Mit wem zusammen reitest


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