Der junge Häuptling. Liselotte Welskopf-Henrich
ausgezeichneten Scouts, Bob und Jack. Pitt hat die kurze Nase voll, er will vorläufig nicht mehr zwischen die Dakota geraten.«
»Lass du das auch sein, Henry! Um Gottes willen, lass das sein!«
»Was hast du denn, Morris? Angst vor unserem ehemaligen Scout Harry, der jetzt unter dem Namen Tokei-ihto als Häuptling der Bärenbande die Gegend am Niobrara unsicher machen soll?«
»Angst um dich! Ehrlich gestanden, ja.« Der Maler war etwas erleichtert, weil er mit gutem Gewissen wenigstens die halbe Wahrheit sagen konnte. »Wenn Joe Brown, dein alter Freund, hier wäre, er würde dich ebenso warnen, wie ich es tue!«
Henry goss den Inhalt eines Glases hinunter. »Um unseren ehemaligen Harry wird viel Legende gesponnen! So weit her ist es mit dem jungen Mann wirklich nicht; wir haben uns doch gekannt. Ein schussfertiger Revolver – und schon liegt der Häuptling auf der Nase im Gras!«
Morris schüttelte es.
»Morris, zartbesaiteter Künstler! Wenn du mitten im Fort Randall schon bei dem bloßen Gedanken an Harry Schüttelfröste kriegst, dann reite doch lieber schnurstracks wieder nach Hause! Denn etwas lebhafter als zurzeit dürfte es diesen Sommer in den Prärien hier noch werden!«
»Lass den Spott, Henry! Und reite um des Himmels willen nicht allein mit zwei Scouts, die du kaum kennst, zum Niobrara! Warte ab! In vierzehn Tagen gehen eine Abteilung Kavallerie, eine Munitionskolonne und Miliz nach dem Fort von Smith. Schließe dich diesen an!«
»Ich bin doch kein Kind! Eben diese Munitionskolonne soll der Station am Niobrara durch den Brief angekündigt werden, den ich dorthin bringe.«
»Das ist doch unzulässig! Eine Privatperson als Kurier! Es ist mir unverständlich, mit welchem Leichtsinn wir oft verfahren!«
»Der Kommandant gibt mir die fest verpflichteten Scouts seiner Truppe mit, zu deiner Beruhigung sei es gesagt! Übrigens habe ich auch Presseaufträge. Ich werde der Erste sein, der vom Niobrara Augenzeugenberichte schreibt.«
Morris gab auf diese Antwort hin seinen Widerspruch auf.
Henry lachte und trank noch drei Glas. »Aufs nächste Mal!«
»Hoffen wir es.« Morris’ Nerven zogen sich zusammen. Er war nahe daran, sich vor Aufregung zu erbrechen. Henry schüttelte den Kopf, schürzte die Lippen und verabschiedete sich.
Als der Indianer Jack-Harry die Stube des Malers verließ, hatte er durch das Fenster schon den Ingenieur über den Hof kommen sehen. Er war daher die Turmtreppe nicht hinunter-, sondern ein Stück hinaufgegangen. Sobald Henry die Stubentür hinter sich zugeknallt hatte, war der Indianer die Treppenstufen lautlos wieder hinabgestiegen und hatte gelauscht.
Der Inhalt des Gesprächs zwischen Morris und Henry war ihm somit bekannt. Kurz ehe Henry die Stube verließ, ging der Indianer aus dem Turmgebäude hinaus. Er begab sich in den Stall hinüber, in dem er mit Bobby Kraushaar zusammen geschlafen hatte. Dort fand er den Neger noch in derselben Stallecke hocken und setzte sich zu ihm. »Henry reitet morgen früh mit einem Brief an Smith zum Niobrara«, sagte er in der Sprache der Dakota. »Wir beide begleiten ihn. Der Brief wird nicht an sein Ziel kommen.«
Bob machte dazu keine Bemerkung. Henry war in seinen Augen nur ein kleiner Fisch.
Dem Indianer und dem Neger stand als Läufern Naturalverpflegung zu. Bobby Kraushaar hatte die Ration des Tages schon für beide abgeholt und kaute jetzt an einem Stück Konservenfleisch, während der Indianer einen Knochen abnagte.
»Hier beim Fort fängt eine Reservation für die Dakota an. Das ist das Osteck«, sagte Bobby Kraushaar auf einmal.
»Hast du nicht mehr erfahren?«
»Doch. Es werden mehrere Reservationen eingerichtet, und der Stamm der Dakota soll gespalten werden. Bei Fort Robinson bauen sie Agenturbaracken aus. Dort wird künftig einer der Männer wohnen, die über die Krieger der Dakota befehlen sollen. Sie haben sich hier alle schon geeinigt, wie sie die Beute unter sich teilen wollen. Major Jones lässt sich pensionieren und wird ein Reservationsagent. Er braucht nicht immer in der Einöde zu leben; er wird sich einen Vertreter nehmen. Johnny, der fette Wetteinnehmer mit der Glatze, will eine Gastwirtschaft bei dieser Agentur aufmachen. Anthony Roach sieht sich schon als Capt’n und militärischen Befehlshaber. Der zahnlose Ben denkt daran, das Fort am Niobrara wieder in eine Handelsstation umzuwandeln, sobald er uns nicht mehr zu fürchten braucht! Aber die Grenzen der Reservationen sind noch offen. Es werden vorläufig nur Dragoner und Rauhreiter umherreiten, um die Dakota in diesen Stall zu treiben und dort zu bewachen.«
»Die Grenzen sind auf den Karten zu sehen, aber nicht auf der Prärie. Die Herren haben ohne uns gerechnet. Wenn nur die achtzig Krieger gekommen wären, um die ich unsere Oberhäuptlinge gebeten hatte, ich hätte während des Stockballspiels das ganze Fort Randall ausgehoben.«
»Du hättest das gekonnt. Aber die achtzig Krieger waren nicht da, und so vermochtest du nichts weiter zu tun, als dir in den Pausen ein paar Papiere anzusehen und eine Zigarette zu holen. Fort Randall ist bestehen geblieben. Mein Bruder, du weißt, ich fürchte, dass die Dakota einen großen Fehler gemacht haben. Sie haben bis heute Büffel gejagt. Die Büffel werden immer weniger. Die Dakota aber haben nicht gelernt, Vieh zu züchten.«
»Was macht deine Pferdzucht, Tschapa Kraushaar?«
»Du weißt es. Zwei meiner Fohlen sind mir krepiert, und die Krieger sagen, dass dein Falbhengst, den du dir wild eingefangen hast, alle anderen Mustangs übertrifft.«
»Tschapa, werden wir in diesem Sommer damit beginnen können, ernsthafter über zahme Büffel nachzudenken?«
»Nein, in diesem Sommer sprechen die Waffen, das sehe ich kommen. Aber was soll dann aus uns werden?«
»Auf der Reservation?«, fragte der Indianer. Seine Stimme klang verändert; der Hass durchbrach die Kruste der Beherrschung.
»Auf diesen Reservationen, die uns der Große Vater anweist, könnten wir auch als Farmer nicht selbständig leben. Sie sind zu klein, und es ist zu viel schlechtes Land dabei. Aber wir können auch nicht ewig Büffel jagen. In den letzten beiden Sommern sind die Büffel schon um die Hälfte weniger geworden.«
Der Indianer beantwortete diese Feststellung mit Schweigen.
»Was also dann?«, fragte Kraushaar.
»Wir müssen frei bleiben und etwas lernen. Nur ein freier Mann lernt gut. Ich habe jetzt unter unseren Männern genug Ansehen gewonnen, um für dich und deine Pläne zu sprechen, sobald der große Kampf beendet ist.«
Kraushaar legte seine Hand auf die seines Gefährten. »Gut, du hast das Rechte gesagt. Ich war als Kind ein Sklave. Mein Vater ist mit mir zu euch geflohen. Ich will nicht mit euch zusammen wieder ein Sklave werden.«
»Noch hindert dich niemand, hinzugehen, wohin es dir beliebt.«
»Mein Bruder, das könntest du von dir selbst auch sagen. Du hast zehn Sommer und Winter fern von deinem Stamm gelebt. Du bist vor zwei Sommern zurückgekommen, um den schwersten Teil des Kampfes mit uns zusammen zu kämpfen und das schwere Ende unseres Weges mit uns zusammen zu gehen. Meinst du, ich will fortlaufen und euch vergessen? Selbst wenn ich es wollte, ich könnte es nicht. Ich liebe unsere Zelte, unsere Weiber und Kinder, ich liebe meine Freunde und Kampfgefährten mehr als mein Leben.« Tschapa Kraushaar hatte das alles sehr leise gesagt. Er richtete den Blick auf ein Brett der Stallwand und verbarg den Ausdruck seines weichen und starken Gefühls.
Die Gefährten saßen fast eine Stunde wortlos beisammen.
Als es dämmerte, gingen sie vor das Tor hinaus, denn sie wollten die Nacht außerhalb des Forts in dem Indianerlager verbringen und mit den Männern ihrer Spielmannschaften noch einmal zusammen sein.
Zur selben Stunde saß Henry Henry auf seiner Stube und überprüfte den Inhalt seiner Geldtasche. Der Abend, der vor ihm lag, erschien ihm leer und endlos. Wie sollte er die Zeit verbringen? Er musste feststellen, dass das Geld in seiner Tasche für einen Abschiedsabend nicht mehr reichte, falls er den Willkommensabend auf dem Fort Niobrara mit einkalkulierte. Aber wer