Ausbeutung - made in Germany. Frank Mehler

Ausbeutung - made in Germany - Frank Mehler


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auf die Tube drücken? Hier unten bekommt man Kopf- und Rückenschmerzen, und von der kalten Zugluft, der wir ausgesetzt sind, will ich gar nicht erst reden …«

      »Schon mal mitbekommen, dass im Zuschnitt nach Akkord gearbeitet wird?«, fragt der Einrichter dagegen.

      »Bei uns kommt aber kein Akkordlohn an! Der kommt nur bei eurer Stammbelegschaft an. Die bekommen nämlich mehr als das Doppelte für vergleichbare Arbeiten gezahlt.«

      »Mag sein. Ich bin aber nicht die Personalabteilung! Das mit der Bezahlung müsst ihr schon mit eurer Zeitarbeit klären. Ich habe hier einen Auftrag zu erfüllen, und da habt ihr beide gefälligst mitzuspielen!«

      »Klingt für mich wie nach Ausbeutung. Von wegen einig Ossiland, sozialer Zusammenhalt und so ein Gelabere …«

      »Ach, halt doch die Klappe!«

      Die Wut steigt in ihm auf, und ich kann es deutlich in seinen Augen sehen.

      Der Kollege dagegen sagt nichts. Er raucht einfach nur seine nächste Zigarette. Fast scheint es so, als ob ihn das geforderte Arbeitspensum und die Bezahlung nicht sonderlich anheben tut.

      Der Einrichter deutet nun gezielt mit dem Finger auf mich und spricht Klartext: »Entweder du machst mit, oder du bist raus!« Er lässt uns stehen und geht kopfschüttelnd hinaus.

      »Und du, wie siehst du das eigentlich hier?«, frage ich den Kollegen. »Hast du auch eine Meinung dazu?«

      Er hebt die Brauen und sagt: »Ja, weißt du …, das mit dem Hungerlohn, das stimmt natürlich schon. Nur was sollen wir alleine dagegen tun?«

      »Na, wir müssen uns mit den anderen zusammenschließen!«, sage ich klar heraus. »Wir müssen uns organisieren, eine einheitliche Richtung strukturieren, uns formieren, und dann unsere Forderungen mit vereinter Kraft vor den Arbeitgebern demonstrieren.«

      »Ach, das ist doch alles viel zu anstrengend, das bringt höchstens nur noch mehr Ärger ein.« Darauf muss er erst einmal einen kräftigen Zug Nikotin nehmen. »Du müsstest doch selbst am besten wissen, wie viele Rechte du bei der Zeitarbeit hast. Glaub mir, niemand wird dir zuhören wollen, einen Betriebsrat gibt es nicht wirklich, geschweige denn eine Gewerkschaft. Was willst du da organisieren? Du hast ja selbst gehört: ›Entweder du machst mit, oder du bist raus.‹«

      »Also, würdest du niemals an einer Kundgebung für eine gerechtere Bezahlung mit teilnehmen, wenn dich andere Zeitarbeiter darum bitten würden?«

      »Ich sage dir, damit erreichst du nichts!«

      »Und ich sage dir, es wird noch viel schlimmer werden, wenn wir gar nichts dagegen tun!«

      »Okay. Geh du demonstrieren, ich mache solange hier …«

      »Ich war schon auf drei Kundgebungen gewesen und habe sogar einige Flyer mit verteilt.«

      »Und, hat dich jemand erhört?«

      Ich lege die Stirn in Falten. Zumindest hört er mir gerade zu und ich sage ihm: »Du wirst es nicht glauben, aber einige interessiert das schon.«

      »Ich gehe mal davon aus, dass es nach wie vor einige viel zu wenige sind.«

      »Ist gut«, sage ich. »Wir lassen das einfach im Raum hier stehen. Ich merke schon, Solidarisierung ist nicht so dein Ding. Und trotzdem prophezeie ich dir: Die da oben werden nicht aufhören, dir und mir, uns allen Arbeitern noch mehr Rechte wegzunehmen.«

      Er winkt nur ab und holt sich einen Stapel neuer Bleche ran. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen.

      Mehr Quantität? Denkste! Wir sind kein bisschen schneller geworden – am allerwenigsten der Kollege. Wir reden kaum noch miteinander, eigentlich so gut wie überhaupt nicht mehr. Dafür hat der Kollege sich neuerdings viel mit den Stammmitarbeitern zu erzählen, und es sieht ganz danach aus, als ob er jetzt richtig gute betriebliche Kontakte knüpfen will. Meine Wenigkeit grüßt er zur Schichtübergabe nur flüchtig, aber fast allen anderen Maschinenbedienern drückt er extra die Hand. Offensichtlich ist das seine Art der Solidarisierung. Unter uns Zeitarbeitern hingegen – wie er schon sagte: ›Viel zu anstrengend der ganze Ärger!‹ Demnach bin ich der Querulant und er derjenige, der nun umso mehr Vitamin B aufbaut, oder so in der Richtung …

      Aus meiner Sicht ist er eben nicht der fleißige Arbeiter, für den er sich ausgibt. Er tut nur so, wenn gerade ein Vorarbeiter in der Nähe ist. In Wirklichkeit aber ist er faul und oberflächlich. Jedoch ist er auch einer, der andere ganz gut blenden kann. Fakt ist: In den letzten 3 Wochen hat er niemals mehr Stückzahlen erbracht, niemals sauberer gearbeitet und keineswegs weniger Ausschuss produziert. Er labert nur um den heißen Brei herum und hat für eigene Verfehlungen tausend Ausflüchte parat. Wenn ich schon allein in den Aschenbecher schaue und die 20 Kippenstummel sehe, die er pro Schicht raucht, sehe ich die Wirklichkeit, wie es tatsächlich mit seiner Arbeitseinstellung aussieht. Im Grunde sind wir auch gar keine richtigen Kollegen, wir sind vielmehr Einzelkämpfer, wenn nicht gar Konkurrenten. Das zeigt sich nun umso deutlicher, seitdem neulich ein paar ernste Worte gefallen sind.

      Mir ist klar, dass der Kollege versucht, sich bei den Einrichtern einzukratzen, damit er in das vermeintlich feste Arbeitsverhältnis kommt. Ich dagegen versuche, so gut wie möglich weiterzumachen. Ich sehe das so: Es sind nur rein die Aufträge in Metall wichtig, die abzuarbeiten sind. Hier wird nicht wirklich jemand von uns Zeitarbeitern fest eingestellt, hier wird lediglich mit einer Festanstellung gelockt, damit trotz Dumpinglohn dann auf akkordähnliche Weise gearbeitet wird.

      Wie mir längst zu Ohren kam, soll es bereits 3 Jahre her sein, wo der Metallbetrieb einen Zeitarbeiter übernommen hat. Altmetaller reden nur hinter vorgehaltener Hand darüber. Viele haben inzwischen selbst Angst um ihren Job – um die Metalltarifklasse, nach der sie derzeit noch ganz gut bezahlt werden. Manch einer traut sich dennoch und sagt uns Leihkräften ganz klar: Echte Perspektiven am deutschen Arbeitshorizont sind mit EU-Freizügigkeit und noch mehr Werkverträgen wohl eher nicht in Sicht.

      Und am Ende dann: Man hat eingesehen – sowohl die grauen Theoretiker aus dem Planbüro als auch der stellv. Produktionsleiter –, dass der Zuschnitt mit dem Laser eben doch nicht der effektivste Schritt vor der Bearbeitung mit der Hydraulik-Presse ist. Nun ist alles wieder beim Alten, und es wäre auch nicht das erste Mal gewesen, wie ein Insider an der Bandsäge verlauten ließ, dass die BWLer versuchen, die solide Praxis in Frage zu stellen.

       Ich bin dann mal schnell weg …

      Wenn der Hausherr nicht da ist, tanzen die Mäuse ein Fest auf dem Tisch! heißt es so schön aus der deutschen Literatur her. Oder anders herum: Die einen legen die Beine hoch, und die anderen sind plötzlich schnell verschwunden, um gewisse Wege zu erledigen, wie sie selbst zu sagen pflegen. So ist es meistens am Wochenende und an den Feiertagen, wo ich als Leiharbeiter dann ab und an die hochehrenvolle Aufgabe habe, die Stellung zu halten. Davon abgesehen kann es mir auch ziemlich egal sein, was das Stammpersonal in der Beziehung macht. Für mich selbst gilt: Der Leiher hat sich strickt an die Anweisungen des Entleihers zu halten und darf ohne ausdrückliche Genehmigung (Ausnahme im Brandfall) während der Arbeitszeit niemals seinen Arbeitsplatz verlassen!

      Es ist Samstagabend so gegen 1900 Uhr und viel geht nicht zur Sache: Der Pole scheint ein verlängertes Abendbrot zu machen, er isst süße Riegel und spielt nebenher Karten am Computer. Nein, jetzt steht er auf – ihm muss wohl gerade etwas »Sinnvolleres« eingefallen sein, um die verbleibende Zeit irgendwie rumzukriegen. Offenbar hat er heute so schnell vorgearbeitet, dass er blank noch einen Auftrag durch den Laser jagen könnte, wenn dies arbeitstechnisch unbedingt erforderlich wäre.

      »Na, seien alles klar bei dir?«, fragt er mich, als ich gerade die nächste Palette Alu-Bleche rankarre.

      »Ja«, sage ich. »Der eine Auftrag ist erledigt, und jetzt fange ich den nächsten an.«

      »Hm!«, macht er und rümpft nachdenklich die Nase. Er weiß schon ungefähr, wie die Produktionsleitung gerade verfährt. Das wäre dann Plan B zur Produktionssteigerung. Quasi zweimal


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