Ausbeutung - made in Germany. Frank Mehler
kurz und spricht sogleich weiter auf Kanal 2: »Kommen Sie doch am besten morgen, sagen wir so gegen Vormittag, ins Büro, dann können wir das hier klären. Bla, bla, bla …«
Der Kopf des jungen Mannes verschwindet wieder. Dafür kommt aus dem Nebenbüro eine andere junge Dame und legt der Personalerin einen Zettel auf den Tisch. Die Personalerin sagt: Danke! und nickt in meine Richtung, woraufhin auch die zweite Dame mir ein nettes Lächeln schenkt, uns dann aber schnell wieder alleine lässt.
»So, Herr Frank, wo stehen wir gerade?« Sie starrt auf den Zettel. »Ah ja! Sie müssen natürlich noch wissen, wohin morgen Ihr erster Einsatz geht.«
»M-hm«, bemerke ich kleinlaut und doch voller Erwartung.
»Das wäre dann bei Frisch & Lecker, Industriestraße 100 in Sonnenfelde. Es ist nahe der Autobahn, oder vom Bahnhof aus nur zwei Busstationen entfernt. Ein Katzensprung quasi. Ihr Dienst beginnt 900 Uhr und endet um 1600 Uhr, und der Ansprechpartner wäre: Frau Meier. Sie wird Sie dann entsprechend am Arbeitsplatz einweisen. Ich nehme an, Sie haben eine Monatsfahrkarte für Bus und Bahn?«
»Ähm, noch nicht. Aber ich werde mir gleich nachher eine besorgen.«
Sie schaut kurz zum Fenster. Es schneit gerade draußen. »Tja, Herr Frank, Sie sehen ja selbst, was draußen los ist. Da sind öffentliche Verkehrsmittel wohl immer noch die beste Lösung.«
Ich nicke. Denke jedoch: Glaubt sie etwa, dass ich mir bei der Bezahlung ernsthaft noch ein Auto leisten kann? Natürlich bin ich auf Bus und Bahn angewiesen …
»Ach, und vergessen Sie nicht, Sonnenfelde liegt bereits im C-Bereich. Bitte führen Sie auch stets Ihren Personalausweis und die arbeitsrelevanten Nachweise mit, das ist wichtig!«
»Gut. ABC-Bereich für den Nahverkehr lösen und stets die Papiere mitführen. Wie lange bin ich überhaupt an diesem Einsatzort?«
»Erst einmal für den Rest der Woche, einschließlich nächste Woche. Sie bekommen dann rechtzeitig von uns Bescheid, wie es weiter geht. Günstig wäre natürlich, wenn Sie ihr Handy immer am Mann behalten, da sich auch zwischenzeitlich schnell wieder etwas ändern kann.« Sie steht auf und geht zum hinteren Aktenschrank. Ihr scheint zu meiner Arbeitsaufnahme noch etwas eingefallen zu sein.
Ich stehe ebenfalls auf. Ich warte und sage nur so: »Na, hoffentlich wird das Wetter bis morgen ein wenig besser.«
»Aber ganz bestimmt, wir müssen hier immer optimistisch denken.« Sie zieht eine rote Mappe hervor und einige Zettel. Damit kommt sie wieder zu mir an den Tisch. »So, fast hätten wir doch das Wichtigste vergessen«, sagt sie. »Sie müssen diese Stundenzettel hier führen, damit Sie pünktlich Ihr Geld bekommen, und eine schöne rote Mappe für Ihre Unterlagen bekommen Sie außerdem mit dazu. Schauen Sie bitte kurz!«
Sie hält mir ein Musterbeispiel unter die Nase. Idiotensicher, denke ich.
»Wie Sie ja sehen, ist es eigentlich ganz einfach: Ihr Name hier oben, die Anschrift des Vertragspartners, Datum und Uhrzeit von wann bis wann gearbeitet wurde. Und natürlich die Unterschrift des Vertragspartners nicht vergessen. Die Stundenzettel müssen dann wöchentlich abgegeben werden, das gilt auch für den letzten Tag des laufenden Monats. Aber dies steht alles noch einmal ausführlich hier hinten drauf.« Sie schiebt die Stundenzettel in die Mappe und reicht diese mir. »So, Herr Frank, und jetzt kann ich Ihnen nur noch einen guten Start in den neuen Job wünschen.« Lächelnd streckt sie mir ihre Hand entgegen.
Ich greife zu. »Danke!«, sage ich. »Das kann ich wirklich gebrauchen …«
»Gut. Dann einen schönen Tag noch …«
»Ebenfalls …«
Ich versuche, den Strahlemann zu mimen. Ich bin optimistisch. Nur eben – sie hat sich bereits abgewandt.
Ich verlasse das Büro und sehe draußen zwei weitere Kandidaten sitzen. Ein junger Schwarzafrikaner und das Gesicht, das ich schon zuvor gesehen hab. Im Gesamtbild wirkt er ein wenig abgefackt und er sieht auch nicht mehr so freudestrahlend aus, als er kurz zur Tür bei der Personalerin reingeschaut hat.
Im Treppenhaus kommt mir ein weiterer Mann entgegen, der offensichtlich gleichermaßen auf dem Weg ins Personalbüro ist. Ich erkenne das an seiner halb geöffneten Tasche, aus der eine knittrige Kochhose lugt. Fast bin ich mit den Gedanken selbst schon in der Küche angekommen. Aber dennoch komme ich mir irgendwie überrumpelt vor.
Der 1. Tag: Es ist kalt und noch ziemlich dämmerig. Windig ist es und es schneit. Aber das wirklich Ätzende ist, dass die Uhr heute Morgen so verdammt schnell laufen will. Ich sehe zu, dass ich flinke Füße bekomme.
Von wegen die Arbeitsstelle ist gleich um die Ecke vom Bahnhof, und alles kein Problem mit dem Bus, wenn nur einer fahren würde. Außerdem fährt der Bus nur stündlich, wie ich an der Haltestelle dem Fahrplan entnehmen kann, und leider ist es auch so, dass, wenn der Zug ankommt, der Bus dann quasi schon weg ist. Tolles Timing! sage ich mir. Eben ideal für Rentner.
Ich bin seit gut 2 Stunden unterwegs – extra früh aufgestanden –, und seit einer halben Stunde stapfe ich mit Sack und Pack durch 20 Zentimeter tiefen Schnee. Doch denke ich: Ein Glück, gleich habe ich es geschafft! Ich höre die Autobahn, sehe riesige Lagerhallen, und ich sehe die Kantine. Mit ungefähr 5 Minuten Verspätung hetze ich hinein.
»Guten Morgen!«, sage ich zum erstbesten Mitarbeiter des Kantinenpersonals.
»Ah, die Aushilfe ist da! Guten Morgen!« Er, vielleicht knappe 30, schaut zur Uhr, dann kurz zum Fenster, sieht das Schneetreiben dort draußen und sagt dann weiter nichts wegen der inzwischen 8 Minuten. »Gut, Sie müssen sich eh in der Männerumkleide umziehen. Kommen Sie!«, fordert er mich auf.
Ich folge ihm und nicke nacheinander vier älteren Damen zu, die hier und da an verschiedenen Speisekomponenten werkeln.
Er schließt die Tür auf und zeigt mir einen Schrank. »Den können Sie nehmen«, sagt er und geht gleich wieder.
Wiederum 5 Minuten später stehe ich in voller Kochbekleidung in der Küche und spähe nach meiner heutigen Erstbekanntschaft, doch leider ist er gerade nicht zu sehen. Ich trete an eine ältere Dame heran – ein Mütterchen an die Sechzig vielleicht. Sie lächelt ganz nett und ich versuche, den motivierten Küchenhelfer zu mimen. Ich frage: »Nun, wo kann ich mich bei Ihnen am besten nützlich machen?«
»Na, aber junger Mann!«, sagt sie erstaunt. »Etwa das erste Mal heute in der Küche?«
»Nein«, sage ich. »Ich war schon in so einigen Küchen gewesen.«
»Gut. Dann zeige ich Ihnen gleich mal unsere Geschirrspüle.«
Was auch sonst? denke ich. Ich tapse der werten Dame brav hinterher.
Zwei Türen weiter: »So, das ist sie, unsere gute Spülküche. Sie kennen sich mit solchen Maschinen aus?«
»So ungefähr …«
»Na ja …« Sie deutet auf die Schaltfläche an der Maschine. »Also, hier wird sie eingeschaltet, hier läuft das Band schneller und Null ist der Ausschalter. So weit alles klar?«
»Klar«, sage ich.
»Ach, und dort ist noch ein Notausschalter, wenn mal etwas stecken bleibt.« Sie schaut sich um. »Nun, wie Sie sehen, es hat sich bereits einiges an Geschirr angesammelt. Warten Sie kurz …« Sie wirft einen Blick zum Speisesaal hinaus … »Ja, und hier um die Ecke stehen zusätzlich noch zwei volle Wagen vom Frühstücksgeschäft. Die bitte nicht vergessen. Und das saubere Geschirr kommt dann dort drüben auf den leeren Wagen. Das müssten Sie später in der Küche und im Ausgabebereich verteilen. Aber fangen Sie erst einmal an, und alles andere kommt dann später …«
Schon verlässt sie mich wieder und ich bin von Anfang an mit Arbeit voll eingedeckt. Eine Begrüßung durch die Küchenchefin? – vorerst Fehlanzeige. Es scheint auch nicht unbedingt so wichtig zu sein, und selbst ich verpasse es zwischen Tür und Angel, mich ordnungsgemäß vorzustellen.