Ausbeutung - made in Germany. Frank Mehler

Ausbeutung - made in Germany - Frank Mehler


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      Ich verneine nicht. Aber ich bin mir jetzt sicher: Er hat eine Fahne! Ich hatte zwar schon des Öfteren den Verdacht, doch jetzt kann ich sie ganz deutlich riechen. Und diese ist gewiss nicht nur rein vom Verkosten der Küchenweine her. Ich sage einfach: »Na ja, ich beschwere mich ja auch nicht.«

      »Gut. Dann mache mal schnell deine Zigarette aus und gehe wieder an die Arbeit. Da steht noch eine Menge Aufwasch rum und die Kippbratpfanne ist auch noch nicht sauber gemacht. Die machst du jetzt als Erstes!«

      Arschloch! denke ich. Das ist hier meine gesetzliche Pause, die ohnehin schon gekürzt ist. Doch ich murre nicht und leiste seiner Anweisung lieber Folge – dem klaren Küchenbefehl! So muss ich wenigstens nicht weiter mit ihm kommunizieren.

      4 stressige Schichten weiter: Ich soll das alles nicht so nehmen, wurde mir gesagt. ›Der Chef hat halt hin und wieder seinen Rappel im Kopf, da macht man am besten einfach das, was er sagt‹, riet mir ein anderer Spüler, der meistens die zweite Schicht übernahm. Ich erklärte ihm, dass ich aber nicht der Prellbock des Küchenchefs bin und mich von einem alkoholisierten Vorgesetzten eben nicht wie das Aschenputtel behandeln lassen müsse. Er winkte dennoch ab und sagte dann: ›Das ist nun mal das leidige Los des Spülers, wenn man ganz unten auf der Hierarchieleiter steht.‹ Er meinte damit, dass wir beide in diesem feinen Laden lediglich die letzten Küchendeppen sind. Nur wollte ich das bisher so nicht wahrhaben.

      Eine Schicht später: Der Chef kommt plötzlich zur Spülküche herein und sichtlich hat er etwas auf Lager.

      »Sagte ich nicht, du sollst die Abzugshauben in der Küche rausnehmen und mit durch die Maschine lassen, bevor du sie sauber machst?«

      »Na ja, ich dachte mir halt, ihr kocht vielleicht noch, und bevor das Fett aus den Hauben in irgendwelche Töpfe tropft, wollte ich sie lieber erst nach dem Mittagsgeschäft herausnehmen und dann ganz zum Schluss mit durchlassen.«

      »Du sollst hier aber nicht denken, sondern das machen, was dir aufgetragen wird!«, werde ich scharf attackiert.

      »Ach, weißt du, du Superkoch …«, sage ich, weil es mir jetzt endgültig zu blöde wird. »Ich bin selbst Koch von Beruf! Schon mal was von HACCP gehört? Die besagt zum Beispiel, dass über der Verarbeitung von Lebensmitteln nicht zeitgleich andere Arbeiten durchgeführt werden dürfen.«

      »Oh, besagt sie das? Wir sind hier aber längst fertig mit kochen, kapiert?«, faucht er.

      »Aber die Töpfe stehen immer noch auf dem Herd und ich habe ein erhöhtes Unfallrisiko!«, argumentiere ich.

      »Ja, ja, und nachher schaffst du es wieder nicht und die Arbeit bleibt liegen …«

      »Dann mache ich eben länger und die Mehrarbeit wird laut Stundenzettel mit verrechnet«, schlage ich vor.

      Er zeigt mir einen Vogel und entgegnet: »Anscheinend hast du hier etwas nicht ganz verstanden. Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen und kein Wohlfahrtsinstitut! Die Arbeit ist in der Zeit zu schaffen! Nur hast du offensichtlich nicht die richtige Einstellung dazu. Außerdem ist es mir egal, was du in deinem früheren Leben einmal warst. Hierher habe ich dich als Spüler bestellt, aber selbst dazu scheinst du nicht wirklich zu taugen. Tja, und deshalb ist heute auch dein letzter Tag hier gewesen.«

      »Okay«, sage ich, »es ist angekommen.«

      »Ich muss schon sagen, eure Firma hat in letzter Zeit ziemlich nachgelassen …« Er wollte damit sagen: Sie schicken nur noch das faule Pack! »Na ja, Mr. Ex-Koch, ihr seid ja nicht die Einzigen auf dem Markt. Du machst das hier noch zu Ende, und dann legst du mir deinen Stundenzettel vor.«

      »Wie du meinst«, sage ich nur.

      Er geht und ich denke mir meinen Teil. Ich denke: Was er sagt, sagt aus, dass er mit denen, die vor mir da waren, genauso nicht zufrieden war. Dass er eigentlich niemals zufrieden sein wird, egal wie gut und schnell ein Leiharbeiter für ihn arbeiten tut. Im Grunde ist er einer, der die Leihkraft doppelt missbraucht, zum einen ausbeutet – zum anderen als seelischen Mülleimer benutzt. Dazu kommt Alkohol! Und ich glaube, dass auch andere Zeitarbeitsfirmen gewiss keine Super-Leihkräfte schicken werden, die dann im Überschallrotationsverfahren die Kastanien aus dem Feuer holen. Er ist eine aufgeblasene Wurst! denke ich. Nur leider muss ich mir gleichermaßen eingestehen, dass ich demgegenüber dann die gesellschaftlich arme Wurst bin.

      1

      Das Büro des Produktionsleiters wirkt weit weniger gepflegt, als man es von klassischen Verwaltungsbüros her gewohnt ist. Kein Wunder, sieht es doch im ganzen Metallbetrieb eher nach einer groben Männerwirtschaft aus. Lediglich zwei Frauen konnten wir auf dem Weg durch die langen Produktionshallen entdecken. Dafür aber stehen mindestens 40 kräftige Typen draußen an den Maschinen und bearbeiten die unterschiedlichsten Metallteile. Es ist sehr laut, überall surrt, tackert und hämmert es. Aber es ist neu und deshalb interessant, und wir beiden Leihkräfte im Büro des Chefs warten nun darauf, dass uns jemand erklärt, wozu wir hier in der Produktion zu gebrauchen sind.

      Wir sprechen nicht miteinander, wir schauen nur von Zeit zu Zeit zur Tür, ob schon jemand kommt und grinsen uns ab und zu gegenseitig an. Denn so richtig wissen wir noch nicht, was heute auf uns drauf zukommt, die Zeitarbeit konnte es uns nicht wirklich verraten. Wir wissen nicht einmal, ob wir von derselben Firma sind. Wir vermuten es nur.

      »Na, meine Herren!«, sagt der Produktionsleiter, als er dann zur Tür hereinkommt. »Hat ein bisschen gedauert, aber ich hoffe, das Warten ist Ihnen nicht allzu lang geworden.« Er streckt meinem »Kollegen« die Hand entgegen und sagt: »Also, dann noch einmal, Müller, ist mein Name. Aber das wissen Sie wohl bereits …«

      »Hermann, heiße ich«, sagt mein »Kollege«. Doch wirklich erfreut sieht er nicht aus.

      Auch ich stehe auf und reiche ihm die Hand. »Frank«, sage ich.

      Wir setzten uns wieder und er wirft einen Stoß Papiere auf den Tisch. Dann zieht er eine Personalmappe hervor und blättert nach den entsprechenden Formularen. Es sind keine Bewerbungsbögen von uns, die dort zum Vorschein kommen, es sind formelle Zusammenfassungen der Daten über Zeitarbeiter für den Fall des Einsatzes in der Produktion.

      Jetzt sehe ich, dass mein »Kollege« von derselben Firma ist, und ich sehe auch das Delegierungsformular für den Vorleihvertrag, das ich neulich erst bei meiner eigenen Personalerin unterschrieben habe.

      »So, meine Herren!«, sagt der Produktionsleiter, um zur Sache zu kommen. »Wie sieht es denn bei Ihnen aus? Einer von euch schon mal in der Metallverarbeitung gewesen?«

      »Nein«, sage ich.

      »Ich komme aus der Autobranche«, sagt mein »Kollege«.

      »Was sind Sie von Beruf?«

      »KFZ-Mechatroniker.«

      »Ah, dann bringen Sie also etwas Erfahrung mit. Und Sie?«

      »Ich bin Koch.«

      »Ein Koch?!« Er rümpft die Nase. Sicher wird er sich fragen, was ausgerechnet ein Koch in der Metallbranche zu suchen hat. »Na ja …«, sagt er, »eine Kantine haben wir zwar nicht hier, aber alle Arbeiten, die von Zeitarbeitern erledigt werden, sind fachlich auch nicht ganz so anspruchsvoll. Es geht um Bohr- und Schleifarbeiten sowie das Arbeiten an einer Presse. Abkanten, Tiefziehen und so weiter … Sie werden von einem Vorarbeiter ordnungsgemäß eingearbeitet. Ich nehme an, Arbeitsbekleidung und die Schuhe mit Stahlkappe haben Sie bereits von Ihrer Firma bekommen, oder?«

      Der »Kollege« nickt.

      Ich nicke ebenfalls. Bekommen? frage ich mich. Wir mussten sie kaufen!

      »Gut«, sagt der Produktionsleiter und hakt diesen Punkt ab. »Nun liegt es natürlich bei Ihnen: Wollen Sie hier in der Produktion mit eingesetzt werden?«

      Er schaut dabei mehr den »Kollegen« an, aber dennoch sage ich schon mal: »Ja, ich will.«


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