Schwarzer Kokon. Matthias Kluger
dunklen Anzügen gekleideten Herren, die es sich in schweren Ledersesseln vor seinem Tisch bequem gemacht hatten. Einer der beiden, mit grau meliertem Haar, war wie Haskins Senator der Republikanischen Partei, der andere sein persönlicher Assistent.
Durch das Läuten des Telefons wurde das Gespräch unterbrochen und Haskins hob mit kurzem entschuldigendem Wink den Hörer ab. »Fred Haskins«, sagte er in die Hörermuschel und lauschte.
Sowohl der Senator als auch sein Assistent sahen Fredrik teilnahmslos an. Dieser wandte ihnen den Rücken zu, nickte mehrmals in den Hörer.
»Okay, ich werde mich persönlich darum kümmern. Bitte geben Sie mir kurz Zeit, ich melde mich gleich wieder.« Er notierte sich eine Rufnummer, dann legte er auf. »Bitte entschuldige, Frank«, wandte sich Haskins an den Senator. »Ich muss unser Gespräch leider vertagen. Wir könnten es doch später im Club weiterführen!« Dies war weniger eine Frage als eine Aufforderung an den Senator.
»Klar, ist kein Problem, Fred. Wir sind so gegen 13 Uhr im Club.« Senator Frank Brown nickte zustimmend erst Fredrik, danach seinem Assistenten zu.
Nachdem beide gegangen waren, blickte Haskins abermals, nun rot vor Zorn, aus dem Fenster in Richtung United States Capitol, dessen Gelände und imposanten Bau er aus seiner Wohnung in der New Jersey Avenue sehen konnte.
»So ein Scheißkerl.« Fluchend überlegte er, was als Erstes zu unternehmen sei. Er hob den Hörer und wählte die Nummer von Michael Thomson, seinem Anwalt und Jugendfreund. Von Thomsons Sekretärin erfuhr Fredrik, dass dieser bei Gericht und erst wieder gegen 14 Uhr erreichbar sein würde.
Jetzt wählte er die vorhin auf dem Notizzettel notierte Nummer, wartete ein langes Läuten ab, bis sich am anderen Ende jemand meldete. »Haskins hier, Senator Haskins. Sie haben mich vorhin angerufen. Es geht um meinen Sohn Marc Haskins.«
»Ah, Senator, ja, wir hatten vorhin schon das Vergnügen.« Haskins gewann den Eindruck, dass, neben dem schmatzenden Geräusch eines Kaugummis, Sarkasmus in der männlichen Stimme lag. »Ich verbinde sie zu Deputy Chief Willson.«
Ein Knacksen in der Leitung deutete an, dass er verbunden wurde.
»Willson, hallo, Senator. Ich freue mich, dass Sie anrufen. Wie geht es Ihnen?«
Ohne auf die Höflichkeitsfloskel einzugehen, kam Haskins gleich zur Sache. »Mein Sohn ist in Ihrem Gewahrsam. Was genau ist passiert?«
»Tja, Senator, mir ist die heikle Situation bewusst, daher habe ich den Fall gleich direkt zu mir geben lassen.« Haskins vernahm aus der Stimmlage, dass Willson sich entspannt in seinem Bürostuhl zurücklehnte. »Ihrem Sohn wird schwere Körperverletzung vorgeworfen. Anscheinend hat er in einer Bar namens Marie Inn einen anderen windelweich geprügelt. Genaueres wissen wir noch nicht, aber sein Prügelknabe wurde ins Foggy, also George Washington Hospital, gebracht. Wir warten noch auf das Ergebnis der Schwere seiner Verletzungen.«
Haskins schnaufte ungehalten: »Okay. Chief Willson, ich bitte Sie, den Ball flach zu halten. Wir werden sicherlich eine Lösung finden. Kann ich Marc einstweilen abholen lassen?«
»Seeenatoor«, er zog das Wort in die Länge, »so gerne ich das auch würde, doch man wirft Ihrem Sohn schwere Körperverletzung vor. So ohne Weiteres kann ich ihn nicht gehen lassen. Ich weiß, Ihnen ist wichtig, dass kein öffentliches Spektakel hieraus entsteht, das kann ich Ihnen auch erst mal garantieren – nur gehen lassen kann ich ihn nicht. Er wird vorerst hier bleiben müssen, bis sowohl die Sachlage als auch die Schwere der Verletzungen geklärt sind.«
Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, legte Haskins eine kurze Pause ein: »Willson, kümmern Sie sich, dass nichts an die Öffentlichkeit kommt! Ich melde mich wieder. Sollten neue Erkenntnisse vorliegen, will ich sie als Erster erfahren! Rufen Sie mich auf meinem Handy an.«
Dies war ein klarer Befehl und Willson verstand entsprechend. Ihm wäre es lieber gewesen, Senator Haskins hätte ihn mit ›Chief Willson‹ angesprochen, ebenso seine Forderung mehr als Bitte formuliert, doch er antwortete gelassen: »Geht klar, Senator, Sie haben mein Wort.« Nachdem Willson die Handynummer notiert hatte, legte Haskins auf, ohne sich zu verabschieden.
Willsons Finger spielten mit dem Stück Papier, worauf er die Mobilnummer des Senators notiert hatte. Es verwunderte ihn nicht, dass es den Senator weniger interessierte, wie es dem eigenen Sohn erging, sondern dessen Priorität auf Vermeidung jeglicher Publicity lag. Eine gute Gelegenheit für ihn, wie er fand, denn, wenn er keinen Fehler machte, stünde Senator Haskins in seiner Schuld. Diesen Umstand wollte er nutzen.
Vorerst sitzt Marc Haskins in einer Zelle, bis man ihn dem Haftrichter vorführt, der dann zu entscheiden hat. Denn Recht und Ordnung müssen gewahrt bleiben, auch wenn es das Bürschchen vom Senator ist. Willson schmunzelte. Was für ein Tag.
Der Sommerball
Charleston, South Carolina, 1728
Zwei Wallache standen, vor eine dunkelbraun glänzende Kutsche gespannt, ruhig in der Auffahrt. Veronika nahm als Erste auf dem weinroten Samt in der Kutsche Platz. Voller Ungeduld wartete sie auf ihre Eltern. Eng schmiegte sich das ausladende Ballkleid aus feinster hellblauer Spitze an ihren Körper. Ihr goldblondes Haar war hochgebunden und zu einem Dutt frisiert; lediglich eine kleine widerspenstige Strähne fiel ihr ins Gesicht.
»Wo bleibt ihr denn?«, rief sie laut, den ungeduldigen Blick auf die offen stehenden Eingangstüren des Hauses gerichtet.
Lachend traten ihre Eltern heraus und schritten, elegant wie ein Königspaar, die fünf Stufen der breiten Treppe hinab.
»Madam.« Ihr Vater Robert Turner verbeugte sich wie ein Page vor seiner Frau Isabelle und half ihr mit dem ebenfalls aus Seide und Spitze genähten Kleid in die Kutsche. Isabelle trug lange Satinhandschuhe und reichte ihrem Mann die Linke für einen Handkuss.
»Sie werden mich entschuldigen müssen, aber ich habe zwei Ladys zum Sommerball zu fahren.« Robert zwinkerte Veronika zu, worauf er ein bewunderndes »Superb«, mit Blick auf seinen edlen, silbergrauen Anzug, erntete.
Leichtfüßig schwang sich Robert auf den Kutscherbock, legte den grauen Zylinder aus Samt neben sich und fasste nach den Zügeln, um die Pferde in Trab zu bringen.
Nach einer Stunde im Trab, seitlich entlang des Ashley Rivers, erreichten sie die Auffahrt des Anwesens von Mr. Baine. Die Kutsche bog in die lange Allee aus Ahornbäumen, die wie ein Tunnel als natürlicher Sichtschutz direkt zum Herrenhaus führte, ohne dass man Felder oder Sklavenbehausungen einsehen konnte. Das dichte Blätterdach spendete angenehmen Schatten und die Pferde trabten etwa zwanzig Minuten in Gesellschaft weiterer Gäste in ihren Kutschen und Fuhrwerken.
In etwa gleichem Abstand von dreihundert Metern, zu beiden Seiten des Weges, sah Turner bewaffnete Männer, die der Sicherheit dienten. Ihm missfiel der Anblick, zumal er auf seinem Landgut auf diese Bewachung verzichten konnte. Damit zählte seine Plantage zu den wenigen Ausnahmen.
Das Ende der Promenade mündete in einen großen Garten, an dem sich der Weg in eine kreisförmige Auffahrt hin zum Herrenhaus gabelte, welches erhaben auf einem Hügel thronte. Viele elegant gekleidete Gäste flanierten bereits im Park zwischen weißen Zelten, Stehtischen und gedeckten Tafeln.
Oben angekommen, wurden sie überschwänglich empfangen: »Hallo, Robert, schön dich zu sehen … Aber zuerst zu den wunderschönen Ladys.« Mit diesen Worten öffnete Clexton Baine zur Begrüßung die kleine Türe der Kutsche und half zuerst Isabelle aus dem Wagen, indem er ihr die Hand reichte. »Meine Liebste, Sie sehen wie immer bezaubernd aus.« Baine verneigte sich und gab Isabelle einen Handkuss. »Ich bin mir ganz sicher, dass Sie«, dabei wanderte sein Blick von Isabelle zu Veronika, »der Höhepunkt des heutigen Balls sein werden.«
Als Veronika der Kutsche entstieg, ergriff Baine ihre Hand, indes er ihr tief und lange in die Augen sah. »Veronika, Veronika, du bist doch Veronika?«, fragte er gespielt unglaubwürdig. »Ich kann es gar nicht fassen. Wo hat Sie Ihr Vater so lange versteckt? Sie sind tatsächlich noch schöner