Schwarzer Kokon. Matthias Kluger

Schwarzer Kokon - Matthias Kluger


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es ist an der Zeit, dass ich dir etwas gebe. Vergiss nie deine Herkunft und gedenke immer derer, die dir aus schwerer Not geholfen haben. Es wird der Tag kommen, da andere deine Hilfe brauchen. Zögere nicht, auch wenn die Angst in dir übermächtig wird.«

      Der Sperling senkte sein kleines Köpfchen und pickte an der Fensterbank. Als er seinen Kopf wieder anhob, steckte ein Gegenstand in seinem Schnabel, der einem Stück Leder glich. Zola fasste danach und begriff. Ihren Körper überkam eine Gänsehaut. In ihren Händen hielt sie ein Stück Haut, etwa dreimal drei Zentimeter groß. Auf der Rückseite getrocknetes Blut. Der Anblick der Vorderseite brachte ihre Atmung zum Stocken. Da war es wieder, das große, geschwungene »B«, welches viele Jahre, als schmerzvolle Zierde ihres Unterarms, eingebrannt war.

      »Bewahre es gut, Zola. Es ist ein Symbol deiner Vergangenheit. Das Mal der Knechtschaft, jenes, das du abgelegt hast, um frei zu sein. Nutze die Freiheit. In dir ist mehr Macht und Kraft, als du glaubst. Nimm das Geschenk deiner Mutter Aba.« Mit diesen Worten breitete der Sperling die Flügel und verschwand in die Nacht.

      Zitternd stand Zola am Fenster.

      Hugh warf einen Blick nach draußen: »So was hab ich ja noch nicht erlebt, hab ich ja noch nicht.« Er griff nach Zolas Hand, in der sie das Hautstück hielt. Kopfschüttelnd betrachtete er das Brandmal, nahm sanft Zolas linken Unterarm und legte den Hautlappen auf ihre Narbe. Etwas kleiner als die Vernarbung, doch Hugh erkannte dennoch, dass dies das herausgeschnittene Hautstück von Zolas Arm war.

      Wahrheit, Sein!

      Verzerrt fließend ins Dunkel.

      Nichts scheint, wie es war!

      Mit einem Mal, den Blick im Spiegel!

      Das Bild nicht begreifend!

      Was ist das, was du siehst?

      Du fragst, was dich umgibt!

      Keine Antwort!

      Neugier und Furcht!

      Geburt des Glaubens! WELCHES GLAUBENS?

      Die Zeit findet Jünger!

      Es hatte sich für alle – alles auf der Plantage geändert. Clexton stemmte sich vehement gegen die Angst, die ihn schlimmer denn je, gezwängt wie in einem Schraubstock, zu erdrücken drohte. Des Tags mit harter Hand gegenüber seinen Untertanen, die Nächte im Alkohol ertränkt hinter verschlossener Türe in der Bibliothek.

      Veronika, seit Abas schicksalhafter Nacht nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, war in einen Zustand der Trance verfallen. Jos war der einzige Mensch, der ihr Halt gab, und hierfür erhielt er die übertriebene Fürsorge seiner Mutter.

      Tumelo, seine Arbeit verrichtend, schwieg die meiste Zeit des Tages. Nachts von Albträumen geplagt, schweißgebadet, zitternd in seinem Bett.

      Und Sam wurde von einem tiefen Glauben erfasst. Seit dieser Nacht sah er sich und alles um sich herum mit anderen Augen. Trauer um Aba, ohne sie näher gekannt zu haben. Neugierde, wer sie war und was sie war – doch niemals gestillt. Sein Herz erkannte die Reinheit ihrer liebevollen Macht. Einer Macht, die hätte strafen können und es doch in jener Nacht, trotz des großen Schmerzes, nicht tat. Aba hatte sich hingegeben, im Glauben, im Zorn.

      Warum?

      Wofür?

      Veronika, Tumelo und Sam waren stumm vereint durch das Band der grausamen Wahrheit: Clexton Baine hat sich schuldig gemacht! Schuldig wie einst Judas, den Todesweg gepflastert. Drei Jahre sollten ins Land gehen, ohne dass jemand je über die Geschehnisse besagter Nacht sprach. Die Verdrängung der Gedanken vor dem drohenden Wahnsinn.

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