Schwarzer Kokon. Matthias Kluger

Schwarzer Kokon - Matthias Kluger


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Scheiß, Marc, das interessiert niemanden. Es sind immer die anderen bei dir. Wie oft soll dir Fredrik denn noch den Kopf aus der Schlinge ziehen? Du kannst von Glück reden, dass der Kerl kein unbeschriebenes Blatt ist.«

      Michael hatte am Nachmittag ein paar Anrufe getätigt. Schnell hatte er raus, um wen es sich bei dem Geschlagenen handelte, der nun im George Washington University Hospital behandelt wurde. Der Typ mit gebrochener Nase hieß Vincent Doyle. Ein kleiner Ganove, der ein längeres Strafregister wegen verschiedener Delikte, unter anderem Körperverletzung, kleinere Diebstähle und Drogenkonsum, vorzuweisen hatte. Louis, ein Mitarbeiter von Michael, der die Drecksarbeit, die ab und an anfiel, übernahm, war in die Klinik gefahren, um Vincent Doyle aufzusuchen. Danach war Vincent klar gewesen, dass es zu seinem Besten sein würde, keine Anzeige zu erstatten. Vielmehr unterschrieb er eine Bestätigung, dass es sich bei dem Zwischenfall in der Bar Marie Inn um eine Rauferei handelte, die er, Vincent Doyle, angezettelt hatte. Fünfhundert Dollar, die ihm Louis für die Unannehmlichkeiten sowie die Arztkosten in die Hand drückte, gaben letztendlich den Ausschlag.

      Michaels Wagen parkte in der Tiefgarage und gemeinsam fuhren sie im Aufzug zur Wohnung. Olivia stand bereits an der Türe. Sie umarmte Marc und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Gott sei Dank, dass du da bist. Dieses Mal hast du es echt übertrieben. Dein Vater ist mächtig sauer, mach dich auf was gefasst.«

      Marc verzog sein Gesicht und wartete darauf, dass sein Vater wutentbrannt um die Ecke kam. Doch Fredrik stand ruhig im Wohnzimmer und begrüßte Michael, ohne dass er von Marc Notiz nahm. »Danke, Michael« war das Einzige, was Fredrik in diesem Moment für angebracht hielt.

      »Äh, Pops«, fing Marc zu stammeln an, doch Fredrik unterbrach ihn sofort.

      »Zu dir komme ich später. Verschwinde auf dein Zimmer und lass dich erst blicken, wenn ich dich rufe.«

      Für Marc war die Reaktion seines Vaters schlimmer, als hätte er eine Salve an Vorwürfen über sich ergehen lassen. »Schon gut, schon gut.« Er hob kurz die Hand, um zu zeigen, dass er verstanden hatte. Ohne ein weiteres Wort verkroch er sich in sein Zimmer.

      Der Leitwolf kam immer näher. Leicht seitlich Zola zugewandt, starren Blickes auf sein Opfer gerichtet. Angst kam in Zola auf. Übelkeit überfiel sie. Sollte dies hier und jetzt ihr Ende sein, nach alledem, was sie durchlebt hatte? Nichts außer dem Rascheln des Waldbodens, ausgelöst durch mindestens acht sie einkreisende Wölfe. Sie drehte sich von einer Seite zur anderen, jeden Moment bereit, das Messer in die Brust des Wolfes zu stoßen. Der Leitwolf war ihr am nächsten. Groß war er und sein muskulöser Brustkorb spannte die Muskeln bei jeder Bewegung der Pfoten. Zola konnte seine Reißzähne sehen. Lang und gefährlich würden sie jeden Moment versuchen, ihre Kehle zu erreichen.

      Kurz bevor der Leitwolf zum Sprung ansetzen konnte, legte Zola plötzlich das Messer zwischen sich und dem Wolf auf den Boden. Sie konnte sich in diesem Moment nicht erklären warum, irgendeine Kraft hatte sich ihrer bemächtigt. Fassungslos starrte sie auf die glänzende Klinge, die jetzt im Moos vor ihr lag.

      Der Leitwolf stierte sie an, gab plötzlich ein Gähnen von sich, reckte seine Vorderpfoten nach vorne und sein Hinterteil in die Höhe. Wie ein Schoßhund ließ er sich gemütlich auf die Seite fallen. Das restliche Rudel kam langsam auf Zola zu und einer der Wölfe schleckte mit seiner rauen Zunge ihre Hand. Überwältigt legte Zola zaghaft ihre Finger auf das Fell des Wolfes – und streichelte ihn. Als sei sie schon immer ein Teil des Rudels gewesen, verhielten sich die Wölfe friedlich und legten sich nieder.

      Nach kurzer Zeit tat Zola es ihnen gleich. Sie fasste ruhig nach ihrem Messer, legte es zu ihrer Provianttasche und sich selbst zum Schlafen. Noch immer ein wenig ängstlich, getraute sie sich nicht, sofort die Augen zu schließen. Doch die Schwere der Nacht legte sich über sie. Im Dunst des feuchten Mooses, vermengt mit dem modrigen Geruch vom Fell des Leitwolfs, schlief Zola ein.

      Schlecht gelaunt kam Stephen zu Hause an. Alle schienen zu schlafen. Er ging direkt in sein Zimmer und zog sich seinen Pyjama an. Kurz ins Bad und Zähne putzen. Er legte stets Wert auf sein Äußeres, da gehörte die abendliche Pflege dazu. Er betrachtete sich noch kurz im Spiegel und dachte an Marc. Ob er noch im Knast war? Vor dessen Zimmer öffnete er die Türe einen Spalt breit und hörte sein Schnarchen. Stephen trat ein und knipste das Licht an.

      »Hey, Marc, bist du wach?« Blöde Frage, die durch das Schnarchen beantwortet wurde. Er schüttelte Marcs Schulter. »Marc, wach auf!«

      Ein kurzes Knurren. Marc öffnete verschlafen die Augen. »Was ist?«

      »Was soll sein, das würde ich gern von dir wissen!«

      »Lass mich schlafen, Stephen, verpiss dich.«

      »Du spinnst doch völlig, weißt du eigentlich, was du gemacht hast?« Stephen hatte sein Ziel erreicht, Marc war wach. Mürrisch setzte er sich, nichts außer weißen Boxershorts tragend, im Bett auf. Stephen war wieder mal erstaunt, wie muskulös sein Bruder war.

      »Was willst du jetzt von mir, Stephen? Soll ich bei dir die Beichte ablegen? Ich hab nem Typen die Nase gebrochen. Na und? Du hättest mal seine blöde Fresse sehen sollen!« Marc grinste.

      »Und was, wenn Dad dich nicht rausgehauen hätte?«

      »Hat er aber und jetzt verschwinde, Stephen.«

      »Du bist so ein selbstsüchtiger Arsch, Marc. Weißt du das?«

      »Wenn du jetzt nicht gleich die Biege machst«, schnaubte er, nahm blitzschnell seinen Bruder in den Schwitzkasten und rubbelte mit seinen Knöcheln auf dessen Kopf, »dann ergeht es dir gleich wie dem Typen heute. Los, hau dich aufs Ohr und lass mich zufrieden.«

      Stephen rieb sich seinen Kopf, während er wütend in sein Zimmer verschwand. Es bringt einfach nichts, mit Marc zu reden.

      Am Horizont zeichnete sich der Sonnenaufgang ab, als Zola durch lebhaftes Vogelgezwitscher geweckt wurde. Keiner der Wölfe, die ihr nachts ein solch sonderbares Erlebnis beschert hatten, war zu sehen. Sie blickte sich um, ob sie ihren Sperling unter den Vögeln erkennen konnte. Doch weder sah sie den Kleinen noch konnte sie aus dem Vogelgewirr einen Pieps verstehen. Verlier nicht den Verstand, dachte Zola. War das alles nur ein wirrer Traum?

      Zola, du musst weiter! Sie dachte kurz an die Barke, um damit weiter flussabwärts zu fahren. Doch sie entschied sich dagegen. Mit festem Boden unter den Füßen fühlte sie sich sicherer. Ein Blick in den Proviantbeutel riet ihr, den Vorrat sparsam zu verzehren. Wer weiß, wie lange ich unterwegs bin, bevor ich irgendetwas Essbares finde.

      Die Sonne schien ihr warm auf den Rücken, war stundenlang ihr Begleiter, bis sie an den Rand eines Waldgebietes kam. Massive Baumstämme sowie üppiges Gestrüpp erzeugten einen düsteren Eindruck, der keineswegs einladend auf Zola wirkte. Doch sie erkannte, dass diese dunkle Welt für sie einen natürlichen Schutz bedeutete. Hier ist die Grenze. In jenes Dunkel wird mir keiner folgen.

      Wenige Meter war Zola zaghaft in die Dunkelheit gegangen, als sie die Veränderung wahrnahm. Dichtes Blätterwerk des Waldes kühlte angenehm die Luft des Sommers. Der Waldboden war warm, mit Moos überwuchert. Es roch nach Blattwerk, Pilzen und feuchter Erde. Immer wieder blieb sie stehen, um sich an die Laute des Waldes zu gewöhnen. Ein sanfter Wind blies durch das Geäst, ab und an ein knackendes Geräusch, das sie unwillkürlich ducken ließ.

      Rasch gewöhnte sich Zola an die Sprache des Waldes, sie blieb nur stehen, wenn es um die Orientierung ging. Ihr gutes Gehör vermochte das leise Rauschen des Flusses zu erkennen. Sie lief den ganzen Tag, ohne aus der Düsternis des Waldes herauszukommen noch ein Ende zu sehen.

      Als die Dämmerung einsetzte, hielt sie Ausschau nach einem Lagerplatz für die Nacht. Unter einer großen Eiche sank sie erschöpft


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