Schwarzer Kokon. Matthias Kluger

Schwarzer Kokon - Matthias Kluger


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Haskins?«

      »Was machst du so, Stephen?«, fragte Sandra.

      »Ich bin der Sohn von Senator Haskins«, gab Stephen angeberisch von sich. Ein Trumpf, so glaubte er, der ihn interessant erscheinen ließ.

      »Hab ich mir gedacht, und? Ich wollte wissen, was du so machst.«

      Stephen war perplex. So eine Reaktion hatte er nicht erwartet. »Ich studiere an der Georgetown und werde wohl in die Fußstapfen meines Vaters treten. Haskins Corporation, du weißt schon. Und du, was machst du so, wenn du nicht hinter dem Tresen stehst?«

      »Tagsüber studiere ich am College of Arts Kunst. Ansonsten jobbe ich nachts hier und dreimal die Woche als Aushilfe in einer Wäscherei. Wenn du also mal ein Hemd gebügelt brauchst, komm einfach vorbei.«

      Sie lächelte unwiderstehlich. Ihre exakt sitzenden, weißen Zähne wurden von weichen Lippen umrahmt – beim Lächeln bildeten sich kleine Grübchen. Stephen war von ihr angetan.

      »Wenn du dir ein zusätzliches Trinkgeld verdienen willst, dann bring mir bitte noch einen.« Dabei deutete Stephen auf sein Glas.

      »Wenn’s weiter nichts ist?« Sandra goss ihm Bourbon mit Cola nach. »Und warum sitzt ein Mr. Haskins mutterseelenallein bei mir an der Bar? Etwa Liebeskummer, der ertränkt werden will?«

      »So in etwa oder auch nicht«, murmelte Stephen. Sie hatte recht. Was mache ich eigentlich hier? Stephen saß vor seinem Glas und dachte über den Tag nach. Kurz an die Uni, um dann, so sein Plan, auf einer tollen Party die Freundin zu bumsen.

      Sandra unterbrach seine Gedanken: »Hey, ich will dich ja in deinem Leiden nicht stören, aber es ist schon nach Mitternacht und wir schließen gleich.«

      »Jetzt macht ihr schon zu?«

      »Ja, unter der Woche immer. Am Wochenende ist mehr los, da haben wir bis vier offen. Aber ich sollte ins Bett, muss morgen früh raus – zur Uni.«

      Stephen legte eine Fünfzig-Dollar-Note auf den Tresen. »Stimmt so.«

      »Das ist aber ein großzügiges Trinkgeld, Stephen, ich kann das unmöglich annehmen.« Sandra griff an den Geldbeutel, der unterhalb ihres kurzen Tops an ihrer Hüfte hing.

      »Nein, lass gut sein, das passt.« Erstmals lächelte Stephen zurück.

      Den Blick auf ihn gerichtet, legte Sandra den Kopf zur Seite. »Bist du mit dem Wagen da, kannst du noch fahren?«

      »Ja und ja«, erwiderte Stephen.

      »Würdest du mich ein Stück mitnehmen?«

      »Wenn du dich traust, zu einem Fremden ins Auto zu steigen, dann gerne.« Stephen zwinkerte ihr zu.

      »Ein Haskins ist doch kein Fremder, außerdem hatten wir doch gerade unser erstes Date.«

      Zwanzig Minuten später saßen beide im Mustang und fuhren mit offenem Verdeck zur Georgia Street. Die Gegend, in die sie kamen, war Stephen nicht ganz geheuer, was Sandra ihm offensichtlich anmerkte. »Du kannst mich gerne da vorne rauslassen, den Rest gehe ich zu Fuß.«

      »Kommt gar nicht in Frage«, gab Stephen den Helden, »ein Kavalier fährt seine Angebetete direkt vor die Haustür.«

      »Ich weiß nicht, ob es einem Haskins gefallen wird, wo seine Angebetete wohnt.« Sandra sah ihn verunsichert an.

      »Ein Haskins steht zu seinem Wort. Also los, wie muss ich fahren?«

      »Bieg dort vorne rechts ab, wir sind gleich da.«

      Die Straße, zu beiden Seiten mit eng aneinandergereihten, mehrstöckigen Gebäuden, bot einen traurigen Anblick, der bei Tageslicht sicher nicht besser werden würde. Vor einer dreistöckigen Klinkerfassade parkte Stephen.

      »Da wohnst du?«

      »Da wohne ich. Ist echt lieb von dir, dass du mich heimgebracht hast. Wenn es nicht so spät wäre und meine Mutter nicht schon schlafen würde, könnte ich dich auf einen Kaffee, wohlgemerkt«, und sie betonte, »auf einen Kaffee, noch mit hoch bitten.«

      »So, du wohnst also mit deiner Mutter hier?«

      »Ja und mit Elias, meinem älteren Bruder. Er ist der Wachhund der Familie und passt auf uns auf.« Sandra lachte. »An dem musst du erst mal vorbeikommen.«

      »Okay, okay, ich habe verstanden«, lachte Stephen zurück. »Dann mach dich mal auf nach oben.«

      Sandra blickte verlegen auf ihre Knie. Sie wollte Stephen wiedersehen, war sich aber nicht sicher, wie sie die Frage möglichst belanglos formulieren sollte. »Kommst du mal wieder in der Bar vorbei?«

      »Mal sehen, wie sich’s zeitlich einrichten lässt«, gab Stephen linkisch zurück und biss sich gleich darauf die Unterlippe. Im Versuch, das eben Gesagte wiedergutzumachen, begann er etwas hilflos: »Ähm, du weißt schon …«

      Sandra ärgerte sich wegen ihrer eigenen Frage. Und Stephens Antwort gab ihr den Rest. »Gut, dann vielen Dank, Mr. Haskins.« Mit diesen Worten stieg sie aus und lief auf den Hauseingang zu, der über wenige kleine Steinstufen hinauf zu einer hölzernen Haustür führte.

      Stephen sah ihr hinterher, als sie sich plötzlich umdrehte und nochmals zum Wagen kam. Beide Hände auf der Beifahrertür aufgestützt, zischte Sandra: »Ist das so bei euch reichen Weißen? Traut ihr euch nur nett zu sein, wenn es dunkel ist und man euch nicht mit einer Schwarzen sehen kann? Ja, ich weiß schon, du bist reich und ich bin arm. Aber das ist es wahrscheinlich nicht. Du bist weiß und ich schwarz, das meintest du doch, oder?« Sie schlug ihre flache Hand auf die Oberseite der Autotür. »Merde!«

      Damit machte sie kehrt, nahm die engen Steinstufen zur Eingangstür und verschwand im dunklen Flur des dreistöckigen Gebäudes.

       Charleston, South Carolina, 1732

      Sanfte Wellen plätscherten gegen den hölzernen Rumpf der Barke. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand noch nicht erreicht und tauchte den im Boot liegenden Körper in eine wohlige Wärme. Auf dem Rücken liegend, blinzelte Zola zaghaft in das helle Tageslicht. Vorsichtig drehte sie sich zur Seite, wagte ihren Kopf ein wenig über die Bootswand hinweg zu heben und erkannte, dass ein ins Wasser ragender Ast die Barke davon abhielt, noch weiter nordwestlich zu treiben. Und so schlenkerte das kleine Schiffchen mit der Flüchtigen an Bord wie eine Nussschale hin und her.

      Zola blickte in alle Richtungen, wusste aber nicht, wie weit sie die Nacht hindurch getrieben war. Panik kroch in ihr hoch. Was, wenn sie noch ganz in der Nähe der Plantage war? Doch um sie herum herrschte absolute Stille. Lediglich eine samtige Brise sowie das Plätschern des Wassers.

      Plötzlich erschrak Zola. Direkt an ihrem Gesicht vorbei, sodass sie die aufgewirbelte Luft der kleinen Flügelschläge spürte, flatterte ein Sperling und setzte sich wenige Zentimeter von ihr entfernt auf die Bootswand. Sein braun gefleckter Kopf wackelte hektisch, aber auch lustig nach allen Seiten und schien sie zu betrachten. Neugierig wanderten seine kleinen Krallen auf der Bootswand auf und ab. Selbst als Zola sich vorsichtig aufsetzte, zeigte er keine Anstalten wegzufliegen.

      »Wer bist denn du?«, fragte Zola, froh und etwas belustigt, nicht mehr ganz allein zu sein.

      Als ob er ihre Frage verstand, blickten seine kleinen Knopfaugen sie direkt an.

      »Weißt du, wo ich bin?«

      »Du willst wissen, wo du bist?«, zwitscherte der Sperling.

      Zola war es, als verstünde sie den Piepmatz, der vor ihr Platz genommen hatte.

      »Ich kann dir helfen«, hörte sie erneut eine Botschaft des Sperlings.

      Sie glaubte, womöglich ihren Verstand verloren zu haben, und fixierte fassungslos den kleinen Vogel.

      »Entspann dich, Zola, noch bist du in Sicherheit. Es gibt Dinge, die


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