Schwarze Krähen - Boten des Todes. Carolina Dorn

Schwarze Krähen - Boten des Todes - Carolina Dorn


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unterschrieb er den Arbeitsvertrag und trat am Montagmorgen seinen Dienst an. Melissa hatte bereits alle intravenösen Spritzen und Infusionen bereitgelegt, denn jetzt übernahm Gordon diese Tätigkeit. Während der Visite kamen sie auf ihrem Rundgang in ein Zimmer, in dem drei kleine Mädchen lagen. Allesamt krebskrank. Die kleine Anne mochte kaum sechs Jahre alt sein. Ihr fehlten in der oberen Zahnreihe zwei Zähne und so lispelte sie etwas, wenn sie sprach. Als sie den großen Arzt mit der Spritze in der Hand sah, verließ sie aller Mut.

      „Gibst du mir jetzt die Spritze? Bei Melissa hat es gar nicht wehgetan“, erklärte sie ihm gleich. In ihr sträubte sich alles. Am liebsten hätte sie verlangt, dass Melissa, wie immer, die Spritze verabreichte. Ihr kleines Gesichtchen wirkte ängstlich und abweisend.

      „So, so, und du glaubst ich kann das nicht genauso gut?“, entgegnete der Kinderarzt.

      Doch Gordon benutzte da seine eigene Ablenkungstherapie. Aus der Tasche seines weißen Arztmantels holte er ein kleines, kuscheliges Stoffeichhörnchen hervor. Er setzte sich auf den Bettrand und begann eine lustige Geschichte vom Eichhörnchen „Marlina“ zu erzählen, die er sich gerade ausgedacht hatte. Nebenbei spritzte er das Medikament, ohne dass die Kleine etwas bemerkte.

      „So, wir sind schon fertig“, lächelte Gordon und erhob sich.

      „Es hat überhaupt nicht wehgetan!“, rief das Kind. „Der neue Doktor kann das genauso toll wie Melissa“, informierte sie sofort ihre zwei Zimmergefährtinnen.

      Die Ordensschwester widmete sich jetzt mehr dem Stationsdienst, um nur ja jede Minute mit Gordon auszukosten. Beinahe kam ihre Schreibarbeit als Stationsschwester zu kurz und deshalb musste sie so manches Mal länger in der Klinik bleiben, um alles aufzuarbeiten. Die Mutter Oberin behielt das Ganze eine Weile im Auge und sie war eine sehr scharfe Beobachterin. Jetzt erkannte sie auch, warum ihr Neffe so schnell zugesagt hatte. Der Grund konnte nur Melissa sein.

      Sie, ein Mischlingskind, kam im Alter von fünf Jahren zu ihnen ins Waisenhaus. Ein Autounfall, die Eltern starben, Melissa trug nur einen Armbruch davon. Da sie keiner in der Verwandtschaft aufnehmen wollte, wegen ihrer dunklen Hautfarbe, blieb sie im Kloster. Die Familie schämte sich ihrer. Das trug sich damals im Herbst zu. Drei Monate später fand das Mädchen am Heiligen Abend dann die kleine Christin in der Weihnachtskrippe der Kapelle. Sie lag dort nur in ein dünnes Badetuch gehüllt. Melissa nahm sie auf wie eine kleine Schwester. Sie betreute sie auch, als sie anschließend sehr krank wurde und keiner mehr einen Pfifferling für ihr Überleben gab. Niemand wusste, wie lange das Neugeborene dort in der Krippe lag und draußen wütete in dieser Nacht ein heftiger Schneesturm. Seit dieser Zeit hingen die beiden zusammen wie Pech und Schwefel.

      Christin wuchs im Kinderheim auf und wurde stark vom Kloster geprägt, während Melissa davor bereits ein anderes Leben kennengelernt hatte. Sie stand dem Weltlichen offener gegenüber als dem Kirchlichen, obwohl sie sich dann doch für ein Leben als Nonne entschied. Allerdings galt das für sie noch nicht als endgültig. Der Mutter Oberin gegenüber erwähnte sie allerdings nichts davon. Sie lernte ab ihrem achtzehnten Lebensjahr Kinderkrankenpflege. An dieses Kloster schlossen sich eine Kinderkrankenpflegeschule und eine Krankenpflegeschule an mit einigen Spezialausbildungen. Ebenfalls dazu gehörten eine Kinderklinik und ein Krankenhaus. Melissa wartete, bis Christin fünfzehn Jahre wurde, dann legten sie gemeinsam das Gelübde ab und wurden Ordensschwestern. Irgendwie meinte die Mutter Oberin plötzlich das Gefühl zu haben, Melissa zu verlieren. Und sogar bei Christin beschlich sie eine seltsame Ahnung. Sie würde vielleicht sogar beide verlieren. Es lag sozusagen in der Luft, denn beide zeichnete eine überdurchschnittliche Schönheit aus.

      „Lassen wir den Dingen ihren Lauf, so wie du es willst, Herr“, redete sie vor sich hin und holte die Nachtwachen-Berichte hervor.

      An diesem Vormittag wurde Melissa dringend zu der kleinen Anne gerufen, da sie ganz plötzlich Nasenbluten bekam. Doch dieses Nasenbluten schien kein gewöhnliches zu sein. Das Blut kam beinahe fingerdick heraus. Die Schwester griff sich das nächstbeste Handtuch, um die Flut aufzufangen.

      „Ich muss mal Pipi machen“, flüsterte die Kleine.

      Melissa schob ihr den Schieber darunter. Dabei bemerkte sie zu ihrem großen Schreck, dass auch hier nur noch das blanke Blut kam.

      Schnell rief sie über ihr Handy Gordon zu Hilfe. „Schnell, Dr. Spencer, kommen Sie zu Anne. Sie verblutet sonst.“

      Der Arzt eilte sofort zu dem Kind. Rasch richtete er eine Infusion her. Melissa stellte einen Sichtschirm vor Annes Bett, damit die anderen beiden Kinder im Zimmer nicht allzu viel davon mitbekamen. Als Gordon die Infusion legen wollte, glitt Annes Kopf jedoch zur Seite und sie hörte auf zu atmen. Die Schwester legte ihre Hand auf Gordons und schob sie sachte von dem Arm des Kindes weg.

      „Es ist vorbei. Sie brauchen keine Infusion mehr zu legen“, flüsterte sie.

      Dieses Kind starb so rasend schnell. Keiner konnte ihm mehr helfen. Gordon fühlte sich tief betroffen. Er übte seinen Beruf als Kinderarzt mit Leib und Seele aus, doch wenn ein Kind verstarb, meinte er immer, es sei eines seiner eigenen Kinder, die er jedoch nicht vorweisen konnte, das der Tod ihm stahl.

      Die Ordensschwester kniete nieder und sprach noch leise ein kurzes Gebet an Annes Bett, dann drückte sie dem Kind sein grünes Krokodil in den Arm, deckte es gut zu, so dass es aussah, als ob es schliefe. Zusammen mit dem Arzt schob sie das Bett aus dem Zimmer.

      „Anne muss jetzt viel schlafen“, wandte sie sich im Hinausgehen an die beiden anderen Kinder, denn die reckten neugierig die Hälse.

      Kurz danach kehrte Melissa nochmal zu den beiden Kindern zurück. Sie wusste, sie bekamen mehr mit, als sie sollten.

      „Anne ist gestorben, stimmt das?“, fragte eines der Kinder sie direkt mit erschrockenen großen Augen.

      „Ja, leider war sie so schwer krank und schwach, dass sie nicht weiterleben konnte. Sie besaß keine Kraft mehr, gegen diese Krankheit anzukämpfen. Deshalb hat sie Gott zu sich geholt, damit sie nicht noch mehr Schmerzen erleiden muss“, erklärte sie ihnen.

      Sie setzte sich auf einen Bettrand und die beiden Mädchen kuschelten sich rechts und links neben sie.

      „Aber ihr beide seid stark. Ihr werdet die Krankheit niederkämpfen. Deshalb glaube ich auch fest daran, dass ihr wieder gesund werdet“, machte sie ihnen Mut.

      Gordon stand in der Türe und lauschte den Worten Melissas. Das wäre die richtige Frau für mich und unsere Kinder. Sie weiß mit ihnen umzugehen. Sie belügt die Kinder nicht. Sie erklärt ihnen wie es wirklich ist. Das Leben ist nun mal kein Märchen, überlegte er.

      Anschließend ging die Ordensschwester in die kleine Kapelle. Gordon folgte ihr wenig später und fand sie dort vor dem Altar knien und beten. Leise ließ er sich neben ihr nieder und betete ebenfalls. Er ließ eine Weile verstreichen, dann begann er: „Es ist schlimm, wenn so ein junges Leben gehen muss. Sie hat so gut wie noch gar nichts erlebt oder von der Welt gesehen. Da endete ihr Leben schon.“

      „Wir wissen nicht, warum das so ist, aber Gott weiß es“, antwortete sie leise.

      Gemeinsam verließen sie die Kapelle. Sie arbeiteten nun schon zweieinhalb Wochen zusammen und Gordon bekam drei freie Tage.

      „Ich fahre heute Nachmittag nach „Twenty-Two-Oaks“ zu meinem Freund“, ließ er die Schwester so nebenbei wissen, während er seine Eintragungen in der Medikamentenliste machte.

      „Dort, wo Christin arbeitet?“, erkundigte sich Melissa interessiert.

      „Ja“, und er hoffte im Geheimen, dass sie mitfahren wollte.

      „Ich habe auch ab heute Mittag frei. Darf ich mitkommen?“, bat sie, zu Gordons großer Freude.

      „Aber natürlich nehme ich Sie gerne mit“, strahlten seine Augen sie an.

      „Ich muss nur noch die Erlaubnis von der Mutter Oberin einholen“, rief sie und rannte lachend davon, wie ein übermütiges Kind, obwohl sie bereits achtundzwanzig Jahre zählte.

      Die Oberin erlaubte ihr die kleine Reise, aber sie gab ihr einen Satz


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