Schwarze Krähen - Boten des Todes. Carolina Dorn

Schwarze Krähen - Boten des Todes - Carolina Dorn


Скачать книгу
mag schon sein. Aber nicht bei uns, nicht in unserem Kloster“, ließ sie ihn wissen.

      „Aber jetzt kennst du diese andere Musik“, forschte er weiter. „Und wie ich feststellen konnte, gefällt sie dir sogar.“

      „Ja, du hast Recht. Wahrscheinlich sehne ich mich ab jetzt immer nach ihr“, gab sie versonnen zu.

      Das ist schon die zweite Regel, die ich gebrochen habe, dachte sie.

      „Ist das eine große Sünde?“, interessierte sich Brandon.

      „Ich glaube nicht, dass es ein so großes Vergehen ist“, überlegte Christin mit einem Lächeln.

      Er musste schnell die Augen schließen. Dieses Lächeln brachte ihn total durcheinander. Nie hätte er sich träumen lassen, noch einmal zu solchen Gefühlen fähig zu sein. Vor allem zu so intensiven, tiefen Empfindungen, die er noch niemals je zuvor wahrgenommen hatte. Auf keinen Fall durfte Christin vorläufig davon erfahren. Sie würde ihn wohl auf der Stelle verlassen. Er würde äußerst behutsam damit umgehen müssen.

      „Ich gehe in die Küche und koche dir deinen Tee“, informierte sie ihn und verließ das Zimmer. Mit leisen Schritten ging sie die Treppe hinunter. Es war später Nachmittag. Draußen hingen schwere, dunkle Wolken am Himmel und es regnete.

      Hoffentlich ist niemand in der Küche, dachte Christin bei sich. Doch als sie die Türe öffnete stand da Doreen, die gerade Orangen auspresste.

      „Hallo, Christin“, rief sie erfreut. „Was macht Brandon?“

      „Er hört klassische Musik“, berichtete sie ihr, nahm eine kleine Teekanne vom Regal und stellte sich an das Spülbecken mit dem Rücken zu Doreen.

      „Das ist gut. Er hat schon so lange seine geliebte Musik nicht mehr gehört“, redete die Haushälterin weiter.

      Christin drehte den Wasserhahn auf und ließ Wasser in die Kanne laufen. Dabei zitterten ihre Hände so sehr, dass sie das Gefäß mit beiden Händen festhalten musste.

      Was ist nur los mit mir? fragte sie sich im Stillen. Habe ich mich tatsächlich in ihn verliebt? Wenn das Liebe ist, dann ist es aber seltsam, dass ich dabei so sehr zittere und ganz durcheinander bin. Mir wurde erzählt, es sei etwas Wundervolles und Schönes. Dieses Gefühl in mir macht mir eher Angst. Oder ist tatsächlich nur dieses Wörtchen „Du“ daran schuld? Verzweifelt betete sie wieder still: „Wer auf sein Herz vertraut, der ist ein Tor.“

      Vorsichtig stellte sie die Kanne mit dem Wasser auf den Tisch und verschüttete trotzdem einen Teil davon. In der Küche herrschte eine gewisse Düsternis durch das Regenwetter, das begrüßte die Schwester. Auch dankte sie Doreen im Geheimen, dass sie noch kein Licht machte. Doch im nächsten Augenblick tat sie es und sah natürlich die ganze Bescherung. Hastig versuchte Christin das verschüttete Wasser aufzuwischen, da entglitt ihr auch noch der Lappen. In ihrer Aufregung stieß sie an die Teekanne und beförderte sie zu Boden. Sie zerbrach in tausend Scherben. Doreen kam ihr zu Hilfe und bemerkte ihre bebenden Hände.

      „Christin, was hast du denn? Du wirst uns doch nicht krank werden?“, stellte sie besorgt fest. „Na, ein Wunder wäre es nicht. Tag und Nacht bist du bei Brandon. Du musst auch einmal eine Pause einlegen.“

      Die Haushälterin ergriff die Hände der Schwester und führte sie zu einem Stuhl. „So, hier setz dich.“ „Doreen“, begann Christin mit schwankender Stimme. „Ich würde gern drei bis vier Tage ins Kloster gehen. Aber ich habe Angst, dass es ihm während meiner Abwesenheit wieder schlechter gehen könnte“, äußerte sie ihren Wunsch.

      „Ach, Christin! Richard und ich sind doch auch noch da. Gehe ruhig die paar Tage ins Kloster und tanke wieder Kraft. Ich weiß, wie schwer deine Arbeit hier ist mit ihm. Irgendwann musst du auch mal ausspannen. Mach dir nur keine Sorgen. Das geht schon in Ordnung. Morgen früh wird dich mein Mann hinfahren“, zerstreute Doreen ihre Bedenken.

      Die Schwester nickte leicht. „Danke, Doreen. Ihr beide seid wirklich ganz liebe Menschen“, lobte sie die Frau und ihren Mann.

      Die Haushälterin stand auf, kehrte die Scherben zusammen, wischte das Wasser weg und kochte nun ihrerseits einen Beruhigungstee für die Pflegerin. Nachdem diese ihn getrunken hatte, schickte sie die kleine Nonne ins Bett. Dann begab sich Doreen zu Brandon.

      „So, Junge, heute bekommst du deinen Tee von mir serviert. Christin geht es nicht gut. Ich glaube, sie muss sich ein paar Tage ausruhen, sonst wird sie uns noch krank“, informierte sie ihn.

      „Was fehlt ihr denn?“, erschrocken blickte Brandon Doreen an.

      „Ich nehme an, sie ist überarbeitet. Du bist nämlich kein einfacher Patient, wenn ich das mal bemerken darf“, erklärte sie.

      „Kann ich ihr irgendwie helfen?“, flehte er.

      „Ja, indem du sie für vier Tage ins Kloster gehen lässt. Vielleicht bekam sie auch etwas Heimweh nach ihrer vertrauten Umgebung. Auf jeden Fall werden ihr das Kloster und die Ruhe im Gebet gut tun“, meinte die Haushälterin.

      „Meinst du?“, forschte er unsicher in ihrem Gesicht und auch gleichzeitig etwas enttäuscht nach. Jetzt wird sie schon selbst krank, dachte er. Sicher kann sie es nicht mehr mit mir ertragen, dachte er.

      Er lässt sie ungern gehen, bemerkte Doreen. Aber dieses Mädchen hat ein Recht auf eine Pause, wenn auch nur eine kleine. Kam sie ja sofort nach einer Pflege zu ihm, ohne sich auszuruhen. Schließlich arbeitete sie jetzt schon wieder beinahe dreieinhalb Monate hier. Und sie bewirkte Unglaubliches bei ihrem Patienten.

      Der August neigte sich dem Ende zu. Brandon verbrachte eine sehr unruhige Nacht. Des Öfteren wachte er auf mit der entsetzlichen Angst, Christin könnte ihn verlassen und zwar für immer. Man konnte ihm jederzeit eine andere Pflegerin zuteilen und dann wahrscheinlich eine alte, unansehnliche Ordensfrau, die nicht so liebevoll mit ihm umging. Das quälte ihn unentwegt. Dann wieder machte er sich selbst Vorwürfe. Hatte sie vielleicht seine Gefühle für sie erkannt? Oder waren ihre Wurzeln zu sehr mit dem Kloster verwachsen? So dass sie gar keine Liebe zu anderen empfinden konnte? Aber nein, sagte er sich wieder. Wenn ich mich nicht ganz getäuscht habe, sah ich die Liebe bereits in ihren Augen. Denn oft, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, ruhten eben diese wunderschönen großen dunkelbraunen Augen auf ihm, so sanft und liebevoll. Sie kann kein Mensch ohne jegliches Gefühl sein. Habe ich sie durcheinander gebracht? Sucht sie am Ende Halt und Kraft im Kloster? Vielleicht sogar für immer? Diese Überlegungen kreisten ununterbrochen in seinem Kopf und belasteten ihn ungemein.

      Die Hitze stand regelrecht in seinem Zimmer, obwohl die Fenster offen standen. Ein Gewitter lag in der Luft, doch es kam nicht richtig zum Ausbruch. Es regnete nur leicht und brachte zu der Wärme auch noch eine Portion Feuchtigkeit. Brandon schwitzte sehr stark. Das Wasser lief regelrecht an seinem Körper hinab. Er nahm die Glocke zur Hand und wog sie hin und her. Er hätte gern nach seiner Pflegerin geläutet, aber dann verzichtete er darauf. Er wollte sie nicht aufwecken. Sollte sie ruhig schlafen, wenn es ihr nicht gut ging. Wie gerne hätte er sie jetzt getröstet. Aber er kam von diesem Bett nicht los. Voller Wut hieb er seine Fäuste in die Matratze. Was konnte er schon tun? Diese verfluchte Krankheit und der Unfall ketteten ihn an dieses verdammte Bett. Wenn er den Rollstuhl auch hasste, jetzt wäre er dankbar dafür gewesen, wenn er wenigstens darin hätte sitzen können. Soll denn so mein übriges Leben aussehen? Bis ans Ende so zu liegen, in diesem Bett? Ohne Freude, ohne ein wenig Liebe? überlegte er. Wider Willen stieg ihm das Wasser in die Augen. Wer kann mir helfen? Die Ärzte stehen macht- und ratlos meiner Leukämie gegenüber. Nur einmal möchte ich die reine, tiefe Liebe erleben. Nur einmal noch in diesem Leben glücklich sein. Ist das denn zu viel verlangt? flehte er, während ihm die Tränen über sein Gesicht liefen. So begann er doch tatsächlich zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder zu beten und bat den Herrn darum, dass man ihm doch bitte Christin wieder zurückschicken möge. Er liebte ihre kleinen, zierlichen Hände, die so sanft mit ihm umgingen, so dass er immer glaubte gestreichelt zu werden, wenn er seine Augen schloss. Er seufzte tief auf. Sie ging auf alle seine Wünsche und Bedürfnisse ein. Keinesfalls wollte er


Скачать книгу