Hilde Domin. Ilka Scheidgen

Hilde Domin - Ilka Scheidgen


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Schneiden, wie vor einem Gewitter“, beschreibt Hilde Domin die Erinnerung in „Randbemerkungen zur Rückkehr“.

      Auf der Weiterreise in Basel angekommen, glaubten sie, einem Alptraum entronnen zu sein, so friedlich war hier die Stimmung. „Die Luft war so frei von Kalamität und Desaster, als habe Gott mit einer großen Spritze alle Straßen blankgesprengt.“

      Gerade dieser Kontrast machte ihnen in aller Klarheit deutlich, dass in Deutschland nur noch mit dem Schlimmsten zu rechnen sei. „Es war, als sei schon alles entschieden, und alles sei verloren“, sagt sie rückblickend auf dieses Erlebnis.

      Für Hilde Domin stand nun erst recht außer Frage, dass für sie beide als Juden in Deutschland kein Platz mehr sein konnte. Rückblickend erkannte sie, wie wichtig dieser Schritt in die Freiheit gewesen ist, der erste von vielen weiteren, der erste ins noch „probeweise Exil“ vor den weiteren der erzwungenen Exile:

      „Wie ich versuche, über das Verlassen der Heimat zu sprechen, entdecke ich zu meinem Erstaunen, dass offenbar die Tatsache, daß ich im Jahre 1932 dem Zwang zuvorgekommen bin, daß ich (…) in sehr jungen Jahren mich selber entschied, wissend, daß schon alles entschieden war, daß dies freiwillige Aufgeben des in Wahrheit schon Verlorenen mein ganzes Leben bestimmt zu haben scheint. Es hat meinen Freiheitsbegriff geprägt. Nicht so sehr, daß ich ›in die Freiheit’ ging, sondern dass ich mir die Freiheit nahm zu gehen.“

      Italien sollte es also sein. Rom. Doch einmal dort angekommen, erwies die Stadt sich als das, was sie im Grunde von vornherein gewesen war: die erste Station ihres langjährigen Exils, das hier im Oktober 1932 begann.

      Dichterisch formulierte Hilde Domin später diese weitere Paradoxie ihres Lebens in dem Gedicht „Ziehende Landschaft“, dem ersten ihres ersten Gedichtbandes „Nur eine Rose als Stütze“.

       Ziehende Landschaft

       Man muß weggehen können

       und doch sein wie ein Baum

       als bliebe die Wurzel im Boden,

       als zöge die Landschaft und wir ständen fest.

       Man muß den Atem anhalten,

       bis der Wind nachläßt

       und die fremde Luft um uns zu kreisen beginnt,

       bis das Spiel von Licht und Schatten,

       von Grün und Blau,

       die alten Muster zeigt…

      Die Lebensthemen von Hilde Domin sind in diesem frühen Gedicht angesprochen: Verlassen der Heimat, Bewahren der „Wurzel“, die sowohl die Heimat als auch die deutsche Sprache versinnbildlichen kann. Und der Wille, sich auch die Fremde anzuverwandeln, bis sie „die alten Muster zeigt“ und man selbst in der Fremde – „wo es auch sei“ – durch diesen Bewusstseinsakt so etwas wie ein Zuhause haben kann.

      Um dies so erleben zu können, war es für Hilde Domin wichtig, Subjekt und nicht Objekt der politischen Umstände zu sein. In ihrem Roman „Das zweite Paradies“ hat sie das Weggehen so beschrieben: „Es war ein guter Tag, denn du konntest noch aufrecht fortgehen, du fielst nicht mit dem Gesicht auf den Boden, weil du von rückwärts gestoßen wurdest. Niemand hat dich hinausgeworfen, beinah bist du von selbst gegangen. Es ist wichtig, nicht öffentlich beschämt zu werden.“

      Natürlich begann damals auch dies andere Gefühl, das die beiden Studenten fortan begleiten sollte, das des Nicht-Heimisch-Seins.

       Gewöhn dich nicht.

       Du darfst dich nicht gewöhnen.

       Eine Rose ist eine Rose.

       Aber ein Heim

       ist kein Heim.

       Sag dem Schoßhund Gegenstand ab,

       der dich anwedelt

       aus den Schaufenstern.

       Er irrt. Du

       riechst nicht nach Bleiben…

      Das wird aus der Rückschau gesagt. Aber sicher war es auch schon damals da, dieses Gefühl, wenn auch vielleicht noch sehr irrational. Denn sie waren ja jung, hatten ihre Zukunft vor sich liegen. Und die lag zunächst in der Fortsetzung ihrer Studien. Rom war für den Studenten der Archäologie der ideale Arbeitsplatz. Erwin Walter Palm liebte die Stadt, und natürlich liebte seine Lebensgefährtin Hilde sie auch.

      In Italien zu leben war trotzdem nicht unproblematisch. Denn Mussolini war bereits an der Macht. Aber wenn man sich nicht um Politik kümmerte, hatte man in den ersten Jahren ihres Italienaufenthaltes nicht viel zu befürchten. Um diese Situation nicht zu gefährden, wandte sich Hilde Domin in ihren Studien von der Gegenwart ab und der Vergangenheit zu: Sie arbeitete über die Staatstheorie der Renaissance und promovierte über das Thema „Pontanus als Vorläufer von Machiavelli“.

      Bereits ein halbes Jahr nach ihrer Abreise nach Italien erwies sich die Richtigkeit von Hilde Domins Ahnungen: Hitler hatte die Macht übernommen. Zu diesem Zeitpunkt erwogen sie und Erwin Palm, nach Spanien weiterzuziehen, da es sie intellektuell sehr verlockte. Dass daraus nichts wurde, weil man in Spanien ihre Abiturzeugnisse nicht anerkannte, erwies sich im Nachhinein als Glück. Sie wären sonst in den Bürgerkrieg geraten.

      Eine Sorge ließ Hilde Domin nicht ruhen: die Sorge um ihre noch immer in Köln lebenden Eltern. In Briefen flehte sie sie so lange an („Ich kann nicht schlafen, solange Ihr in Deutschland seid“), bis sie sich tatsächlich zur Flucht entschlossen. Es war an ihrem 25. Hochzeitstag, als die Eltern über die Grenze nach Belgien gingen und dann nach England auswanderten, wo zwei Schwestern der Mutter, beide verheiratet mit Engländern, lebten.

      1935 promovierte Hilde Domin bei Armando Sapori an der Universität von Florenz und hatte damit ihr Studium beendet. Ihr wurde von der Universität eine Dozentenstelle angeboten, die sie aber ausschlug, weil Erwin Walter Palm – nach seiner eigenen Promotion ebenfalls in Florenz (er promovierte über Ovid) – lieber in Rom seine Studien über römische Kunst und römische Mythologie fortsetzen wollte. Also kehrten sie gemeinsam nach Rom zurück.

      Hilde stellte erst einmal ihre eigenen beruflichen Wünsche einer wissenschaftlichen Laufbahn hintan, um durch Sprachunterricht für ihrer beider Lebensunterhalt zu sorgen. Sie dachte damals, dass es nur eine kurze Übergangssituation wäre. Sie glaubte, dass Erwin sehr schnell berühmt werden würde, und wollte ihm gerne auf dem Weg dahin helfen und anschließend ihre eigenen Pläne verwirklichen.

      1936 heirateten Hilde Löwenstein und Erwin Walter Palm in Rom. Im Konservatorenpalast auf dem Kapitol wurden sie nach römischem Recht getraut. „Das war schon eine besondere Sache“, erzählt sie, „der Standesbeamte hatte die italienische Trikolore um den Bauch gewickelt und weihte mich, nachdem er die Trauungsformel aufgesagt hatte, in meine Pflichten als Ehefrau ein. Das war doch sehr viel anders, als man es sich in Deutschland hätte vorstellen können. Denn er schloss seinen Pflichtenkatalog mit der Bemerkung: ›e i bambini si vaccinano‹, was so viel heißt wie: ›Und die Kinder werden geimpft‹.“

      Nach der Heirat bezogen die Palms ihre erste eigene Wohnung. Bisher hatten sie stets zur Untermiete gewohnt. Gemeinsam. Was damals nicht üblich war für ein unverheiratetes Paar. Aber um Konventionen scherten sie sich nicht, wenn es auch bedeutete, dass sie in die so genannten besseren Kreise nicht eingeladen wurden. Aber für sie zählte nur, dass sie zusammen waren.

      Sie bezogen eine außergewöhnliche Wohnung auf dem Kapitol. In ihr hatte die berühmte Eleonora Duse gewohnt. Und entsprechend war die Wohnung noch ausgestattet: mit vielen Spiegeln in raffinierter Anordnung. Die Möbel kauften sie auf dem Campo dei Fiori, dem römischen Flohmarkt, und bei Trödlern, denn viel Geld hatten sie nicht. Von den Eltern bekamen sie Silber, Porzellan und Perserteppiche, die


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