Arbeiten wie noch nie!?. Группа авторов

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und am Massenkonsum sorgten relativ hohe Löhne und ein öffentliches Sozialversicherungs­system mit Kranken-, Arbeitslosen- und Pensionsvorsorge. Dieser Kompromiss zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern funktionierte bis in die 1970er zur gegenseitigen Zufriedenheit. Die Unternehmer akzeptierten die von den Gewerkschaften ausverhandelten hohen Löhne, über die das Sozialsystem finanziert wurde, und die Arbeiter fügten sich in den Takt der Fließbandarbeit mit Freizeit- und Familienglück ein; der Produktions-Konsumtions-Kreislauf hielt in der Wiederaufbauphase einigermaßen die Balance.

      Die heutige Erwerbsgeneration kann immer weniger auf dieser »traditionellen« Arbeitswelt der Nachkriegsära aufbauen. Einerseits verlagerte sich der Schwerpunkt am Arbeitsmarkt auf Dienstleistungsberufe (aufgrund der weiteren Technisierung und Verlagerung der industriellen Produktion in so genannte Billiglohnländer). Andererseits wurde die fordistische Produktionsweise (Fließband) von der hochtechnologischen (Computer) abgelöst. Sowohl für die verbleibenden Industrie- als auch für die Dienstleistungsarbeitsplätze setzte sich die neue Arbeitsorganisation durch, welche im Sinne der Flexibilisierung und Effizienzsteigerung den Individuen viel persönlichen Einsatz abverlangt (Postfordismus). Gleichzeitig wurden staatliche Absicherungen gekürzt und private Versicherungsangebote forciert.

      Für viele Arbeitnehmer bedeutete das eine Entwertung ihrer bisherigen Fähigkeiten, Umschulungen kamen auf die Tagesordnung. Diejenigen, die den Umstieg nicht schaffen, nennt man »Modernisierungsverlierer«. Eine noch tiefere Wunde schlägt die Destabilisierung des existenzsichernden Einkommens. Die Erosion fand und findet über die Ausweitung von Teilzeitbeschäftigungen und »Minijobs« statt und indem Anstellungsverhältnisse umgangen werden. Zeitarbeiter werden über Personalagenturen angemietet, solange sie gebraucht werden; herrscht Auftragsflaute müssen sie nicht entlassen werden, sondern sie kehren zur Agentur zurück, werden als Arbeitssuchende gemeldet und erhalten staatliche Arbeitslosengelder (die in Zeiten der Haushaltsdefizite und Sparpakete ebenfalls gekürzt werden). Wieder andere machen sich selbstständig; sie gründen aber keine Firma mit Mitarbeitern, sondern bleiben Ich-AGs; Scheinselbstständige, die einer bestimmten Branche oder nur einem Betrieb zuarbeiten. Damit einher geht die Privatisierung des Risikos; sie sind selbst für die Absicherung im Fall von Krankheit, Arbeitslosigkeit, Pflegebedarf und Pension/Rente verantwortlich. Die Prekarisierungsspirale, die damit in Gang gesetzt wurde, führt dazu, dass Menschen in diesen so genannten atypischen Beschäftigungsverhältnissen nicht mehr von ihrem Einkommen leben können. Nur rund einem Drittel gelingt das; im Vergleich dazu können das fast alle mit Vollzeitanstellung. Der Rückschritt besteht darin, dass die Menschen zwar arbeiten, aber verstärkt auf die Unterstützung durch Fami­lienangehörige angewiesen sind. Sie werden arm trotz Arbeit, wenn Lohn, Sozialtransfers und Familienrückhalt nicht mehr reichen.

      In Anbetracht dieser Tatsachen ist es nicht verwunderlich, dass die prekär gewordenen Verhältnisse für die Betroffenen einen schmerzlichen Verlust von lebenswerten Perspektiven bedeutet, die sie sich noch unter anderen gesellschaftlichen und ökonomischen Vorzeichen erhofft hatten. Arbeitsbiographien werden brüchig, sie sind mit Zeiten von Einkommensausfällen, Berufswechseln und Umzügen verbunden; die Erfüllung des Wunsches vom Eigenheim, Kindern und einem stabilen Leben wird weniger planbar und zufälliger. Die Betroffenen kämpfen mit der raschen Anpassung an wechselnde Anforderungen, denen sie sich mangels Alternativen unterordnen. Selbst die Gewerkschaften bieten kaum noch Schutz vor Sozialabbau. Die Konkurrenz am Arbeitsmarkt und am Arbeitsplatz zwingt die Menschen zu einer Art der Selbstinszenierung, welche durch fehlende Solidarität und ständigen Konkurrenzkampf ihre Würde verletzt – als unbegrenzt flexible Mitarbeiter zeigen sie Unternehmergeist und sind immer zu allem bereit, was dem Unternehmen und angeblich auch ihnen selbst nützen soll.

      Als Folge öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter und gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Für Millionen Menschen sind Arbeitslosigkeit und damit einhergehender sozialer Abstieg, Kontaktverluste und Ausgrenzung bereits Realität (z. B. für Sozialhilfeempfänger oder Ein-Euro-Jobber nach der Hartz IV-Reform). Für viele schwebt eine »Ansteckungsangst« (vgl. Bude 2008, 113ff) wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen und sie versuchen, statt die Ursachen anzugehen, sich von den Betroffenen zu distanzieren, um das »normale Leben« aufrechtzuerhalten. Der Sicherheit, die wir aus dem Normalarbeitsverhältnis und der Kleinfamilie bezogen, wurden wir beraubt auf dem Weg zur Individualisierung unseres Glücks am Arbeitsmarkt (vgl. Malli 2005; zur allg. sozialen Situation und Ungleichheit vgl. Bourdieu 1997).

      Empirische Krisendiagnosen & methodische Irrtümer

      Die sozio-ökonomische Ungleichheit lässt sich empirisch messen. Im Querschnitt lassen sich wachsende Unterschiede beim Haushaltseinkommen von Bevölkerungsgruppen nachweisen; im Längsschnitt lassen sich Schwankungen bei der konjunkturellen Gewinnentwicklung und -beteiligung feststellen. Z. B. können wir für Deutschland belegen, dass die 10 % der Höchstverdienenden zwischen 1992 und 2007 ihr Einkommen noch einmal um 40 % erhöhen konnten. Demgegenüber haben die 10 % derer mit dem geringsten Einkommen noch einmal 15 % verloren (Wolf 2010, 73). Arbeitsmarktexperten sprechen von einer steigenden Lohnspreizung; umgangssprachlich kann man sagen, die Reichen werden reicher, die Armen noch ärmer. Für Österreich fällt die Auseinanderentwicklung geringer aus, lässt sich aber wie der allgemeine Trend auf die Zunahme von geringfügigen, kurzfristigen und Teilzeitbeschäftigungen zurückführen (Guger/Marterbauer 2007, 266). Die Daten lassen sich nach Gruppen (Alter, Geschlecht, Herkunft, Bildungsstand) weiter ausdifferenzieren und interpretieren. An dieser Stelle sei auf die Frauen hingewiesen, die häufiger Teilzeitbeschäftigungen nachgehen als Männer, weswegen zu erwarten ist, dass der geschlechtsspezifische Lohnunterschied wieder zunehmen wird. Davor konnten die Frauen zumindest aufholen aber nicht gleichziehen (ebd. 272)2.

      Bleiben wir bei den ökonomischen Daten, so bringt die Lohnquote die systematische Ungerechtigkeit am deutlichsten zum Ausdruck. Die Anpassung der Lohnquote drückt die Gewinnbeteiligung aus – demzufolge müsste die Quote in der Konjunktur steigen und in der Rezession fallen. Aber obwohl wir in den letzten Jahrzehnten – zwar mit Schwankungen – fast ausschließlich wachsende Volkswirtschaften hatten (gemessen am Bruttoinlandsprodukt; vgl. Wolf 2010, 23 und 25), ist die Lohnquote seit Mitte der 1970er Jahre nur gesunken und die Arbeitslosigkeit gleichzeitig gestiegen3 – ein Trend, der sich für alle westlichen Industrienationen nachzeichnen lässt (vgl. Wolf 2010, 70f). Daraus kann man schließen, dass zwar die Produktivität steigt (ein anderer Ausdruck dafür, dass mit weniger menschlicher Arbeitskraft produziert werden kann), die Gewinne aber nicht als Löhne an die Arbeitskräfte weitergegeben werden. Theoretisch könnte die aufgrund gesteigerter Effizienz frei werdende Zeit auch als Arbeitszeitverkürzung weitergegeben werden, um den Beschäftigungsstand zumindest gleich zu halten. Der Verbleib der Gewinne ist bei Unternehmern und Aktionären zu suchen.

      Die hier herausgegriffenen Indikatoren – Bruttoinlandsprodukt (BIP), Lohnquote und Arbeitslosigkeit – sind auch generell Gradmesser für Wirtschaftskrisen. In Anbetracht der zahlenmäßigen Entwicklung ist man sich einig, dass wir spätestens seit 2009 eine Rezession haben – also kein Wachstum, sondern rückläufige Bruttoinlandsprodukte. Ferner ist man sich über den Auslöser weitgehend einig: das Platzen der Immobilienblase in den USA 2007. Die Aktienkursabstürze griffen rasch auf die globalen Finanzmärkte über und rissen die weltweit vernetzten Wirtschaften mit sich. Dann brach die Realwirtschaft (Güter- und Dienstleistungsproduktion und deren Handel) ein, Kurzarbeit und Entlassungen folgten. Wir können von einer Weltwirtschaftskrise sprechen. Bis auf die noch stark aufholenden Länder China und Indien bilanzierten alle industrialisierten Länder 2009 negativ (Wolf 2010, 25), in Island kam es sogar zu einem Staatsbankrott. Griechenland steht kurz davor.

      Die Gretchenfrage lautet nun: Wie konnte es passieren, dass das Wirtschaftswachstum so rasch in eine Rezession (Schrumpfung) umschlug und das, obwohl Löhne zurückgehalten und Sozialleistungen eingespart wurden? Wurde damit nicht alles Erdenkliche unternommen? Und warum ging es so plötzlich? War die Entwicklung nicht vorhersehbar?

      Was ich mit den empirischen Daten und den folgenden Theorieexkursen veranschaulichen möchte, ist, dass anscheinend gute Wirtschaftsdaten (allem voran Wachstumszahlen gemessen am BIP) nicht zwingend auf eine gesunde Volkswirtschaft schließen lassen; geschweige denn garantieren sie die Gleichverteilung des Wohlstands unter der Bevölkerung.


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