Von Blüten und Blättern. Elisabeth Göbel

Von Blüten und Blättern - Elisabeth Göbel


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und nach links, hopst eine Etage höher, probiert das Fliegen, das Landen und Töne, die Gesang werden wollen. Auch der Kleinste traut sich heraus, der kommt zuletzt. Sein graubraunes Federkleid ist noch nicht glatt, sein Schnabel noch ein Babyschnabel. Er schafft den Absprung, landet auf dem Boden. Hockt mal hier, mal da, hält den Kopf schief und blinzelt. Schließlich flüchtet er sich in eine Ecke unterm Vordach der Haustür, sitzt da und sieht alles andere als happy aus. Behutsam legt der Enkel einen aufgespannten Regenschirm auf die Treppenstufe, damit der Wind dem Tier nicht so kalt in sein Federhemd bläst. Es hilft nicht.

      Gegen Mittag ist der Vogel tot und seine Beerdigung wird vorbereitet; ein Pappkarton bekommt ein Innenpolster, eine Papierserviette dient als Leichenhemd, der Deckel kommt drauf. Zwischen den Wurzeln der serbischen Fichte, neben dem Eichhörnchengrab, schaufeln wir eine Grube. Die Beerdigungszeremonie ist einfach, auf das Wesentliche – was ist das eigentlich – reduziert. Unser Singen klappt nicht so recht. Ich schau nach oben in die Fichte und sage: Horch mal, die anderen Vögel singen ihm ein Tschüss, zwitschern ihr Lied für den kleinen Star. Das Kind klopft einen schuhkartongroßen Hügel. Kreuz oder Grabstein?, frage ich, denn es soll ja doch ein bisschen so sein wie im echten, im Menschenleben. Wir finden einen flachen hellen Stein, ich bringe einen Filzstift. Soll ich etwas schreiben?, frage ich. Nein, sagt das Kind und malt auf den Stein mit sauberen Buchstaben: »Grüß Gott«.

      Leider hat der nächste Regenguss den frommen Wunsch zu schnell wieder weggewaschen.

      10. Januar, Montag

      Eva Strittmatter, Zwiegespräch, 1980.

      Die Kleine-Leute-Mentalität

      Der häusererhaltenden Ordnungsliebe

      Hat mich beherrscht. Jetzt ist es zu spät,

      Dass ich noch Schneisen ins Weglose triebe.

      Eva Strittmatter ist achtzigjährig gestorben. Eine Dichterin der kleinen Wunder und der kleinen Freuden, die sich schwer tat mit dem Mann, dem abgelegenen Schulzenhof, dem Dasein in der DDR, der Liebe; das Leben eine Kraftprobe. Die dennoch glücklich war. Die die Wörter wörtlich nahm. Grüß Gott.

      »Seinen Glanz verliert das Glück,/​Hat man es in einem Stück.«

      17. Januar, Montag

      Wie schön. Der Schnee ist weg, die Erde duftet, und ich habe Ordnung gemacht. Von meinem Schreibplatz aus sehe ich das muntere Geringel der Korkenzieherweide. Wir haben sie im letzten Jahr um ein paar Meter versetzt, von der zweiten Serbischen Fichte und dem kleinen Kirschbaum weg. So kann sie sich zeigen in ihrem Wechsel vom Frühlingsgelb zum Sommergrün und später im Jahr dann wieder zum Gelb vor dem dunklen Hintergrund der riesigen Fichte, und auch der Sauerkirschbaum hat nun mehr Platz, um seiner Aufgabe gerecht zu werden. Ein Strahl der noch tief stehenden Sonne beleuchtet jetzt das Staudenbeet, wo die spitzige Yucca den Frost gut überstanden hat, auch der violette Grünkohl sieht doch recht manierlich aus. Rot leuchtet der Sibirische Hartriegel am Zaun, hell schimmern die Federpuschel vom Chinaschilf. Wenn nicht alles, was verblüht war, abgeschnitten ist, kommt die Struktur zum Vorschein, die der Pflanzen und die des Gartens in seiner Gesamtheit. Auch das Silberweiß der Lunaria unterm Klarapfelbaum erfreut meinen Blick, denn der Sonnenstrahl bringt die pergamentenen Blättchen der Samenschoten zum Leuchten, die ich im Herbst mit vorsichtigen Fingern freigelegt habe. Jeden Herbst nehme ich mir einen Hocker, breite ein Tuch unter die Pflanzen und streife die braunen Deckblätter ab, so dass ich die flachen schwarzen Samen sammeln und in die Mülltonne werfen kann. Ließe ich sie auf den Boden fallen, gäbe es zu viel Nachwuchs, zu große Konkurrenz für alles, was im Sommer sonst noch auf Baumscheiben und Nebenbeeten wachsen will. Silberblatt, auch Silbertaler, Silberling, Judaspfennig oder Mondviole genannt – so viele Bezeichnungen für die violett blühende, anspruchslose Lunaria.

      Als wollten sie sich räkeln, strecken vier Apfelbäume ihre kräftigen Arme aus, ohne einander zu berühren, der Garten ist groß genug. Gut einen Morgen misst er, genau genommen 2 600 Quadratmeter. Weniger eindrucksvoll ist der Pflaumenbaum und eine Mirabelle, die seit Jahren nicht mehr trägt. Sie darf bleiben, weil sie ein Kletterbaum ist und weil ihre Rinde sich so elegant um Stamm und Äste arrangiert, dass wir entschieden: Die Mirabelle bleibt, sie bekommt ihr Gnadenwasser. Drei, vier süße Früchtchen im Sommer sind ihr Dankeschön an uns.

      20. Januar, Donnerstag

      Es sind die Tage der Leiter. Der Mann zieht sich feste Schuhe an. Er stellt die Leiter ans Dach, um nachzusehen, ob die Schneelast Löcher hinterlassen hat, durch die der Marder schlüpfen könnte, er sprüht ein Vergrämungsmittel an alle Ecken und für eine Weile stinkt es draußen und drinnen im Haus. Er stellt die Leiter an die Hochstämme der Apfelbäume, denn es ist Zeit für den Frühjahrsschnitt. Wenn der Mann auf die ausfahrbare Leiter steigt, unter deren Holmen der nicht mehr gefrorene Boden nachgibt, mache ich mir Sorgen und gehe ins Haus.

      Die Apfelbäume heißen der Brettacher, die Landsberger Renette, der Boskop. Heute ist der Brettacher dran. Zuerst wird die Kletterhortensie, die sich jedes Jahr beeilt, bis in seine Krone vorzudringen, zurückgeschnitten, dann folgt der Frühjahrsschnitt am Apfelbaum. Wenn er unterbleibt, wird die Krone zu dicht und die Früchte bleiben klein. Jetzt lasse ich den Mann mit Säge und Baumschere werkeln; auf der Leiter stehen und einen Hochstamm schneiden, erfordert Konzentration. Ich gehe zum Schreiben ins Haus. Durch einen gut geschnittenen Baum kann man einen Hut werfen, sagt der Gärtner.

      2. Februar, Mittwoch

      Das Gärtnern macht Pause, ich sammle Wörter.

      Schneeglöckchen heißt Galanthus: gala, griechisch, die Milch, deshalb auch Milchblume, anderswo, das ist mir neu, Hübsches Februar-Mädchen, Weiße Jungfrau oder Schnee-Durchstecher. Und was vom Frühjahr bis zum Herbst die ziemlich unangenehm riechende Wolke unter der Trauerbirke verursacht, ist die massenhafte Population der Birkenwanze, ich las es in einer Schrebergartenzeitung – Kleidoceris resedae. Obgleich Reseda ja duften soll. Nun werden zum Tag des Offenen Gartens im Mai Besucher kommen, die unterm Birkenbaldachin verweilen und dort Kaffee und Kuchen zu sich nehmen wollen. Grasmilben verbreiten sich ebenfalls, so die grüne Presse. Also sind außer den allbekannten Zecken nun auch Milben zu erwarten, die parasitisch leben und von im Grünen sitzenden Warmblütern Lymphe und Zellsäfte saugen. Eine Hirsesorte, lese ich weiter, ist der freche Eindringling in lückigen Rasenflächen, der sich rasend schnell verbreitet, weil er massenhaft kleine braune Samen produziert und so niedrig ist, dass er beim Mähen keinen Schaden nimmt. Der »Totalunkrautvernichter« Roundup in der Flasche mit dem »Anti-Gluck-Auslauf« sei nicht zu empfehlen, weil er alles Übrige ebenfalls beseitige. Auch für die anderen Plagen gebe es kaum wirksame Mittel. Also werden wir’s im Sommer ertragen müssen. Immerhin habe ich wieder ein paar neue Wörter aus meiner Zeitungslektüre. Hier noch eins: Nicht nur Unkraut gibt es, es gibt auch Ungras.

      Zum altmodischen Resedagrün gesellt sich das Wort Bleu mourant und will mir nicht mehr aus dem Sinn. Was ist bleu mourant in meinem grünen Garten? Verblühende Vergissmeinnicht, der Sommerhimmel, die vergehende Hortensie im Herbst. Viel Zeit bis dahin.

      Jetzt noch ein Wort aus der Tageszeitung. Bascha Mika, die streitbare frühere taz-Chefin hat es geprägt: Vermausung. Frauen, die aus welchen Gründen auch immer, nicht Karriere machen, Frauen, die Kinderwagen schieben und den Kleinen die Grasmilben und die Zecken absammeln, Frauen, die Spaß haben auf dem Boden zu knien (!), zu Kreuze zu kriechen gewissermaßen, und da unten herumzuwerkeln – Vermausung. Also auch ich … Schwarze Fingernägel und so weiter.

      Ich wollte ja nach den Schneeglöckchen schauen. Schon vor zwei Wochen hörte ich eine Frau sagen, in ihrem Garten blühten die hübschen Februar-Mädchen bereits. Auch blühende Hamamelis sehe ich seit Tagen in einem Vorgarten in Zehlendorf. Bei uns kommen gerade mal die Spitzen der Schneeglöckchen heraus und an der Hamamelis findet sich nicht die Spur von Gelb. Zaubernuss heißt der magische Strauch, im Moment sieht er nach gar nichts aus, Vermausung auch da. Zum Ausgleich finde


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