Cork, noch mehr Mord. Ursula Schmid-Spreer

Cork, noch mehr Mord - Ursula Schmid-Spreer


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hatte sie erschreckt. Wütend war ihr Kellner John dazwischen getreten. Die verkleidete Person hatte er am Kragen gepackt und vor Erin hingeschubst. Die Hexe entpuppte sich als verkleideter Mann. Er trug eine grüne Plastikfolie und hatte sich Efeu um Haare, Kopf und Hals gewickelt.

      »Ich habe ihn beim Klauen erwischt«, hatte John gemeint. »Ich rufe die Garda.«

      Dagegen waren die Samhain-Bräuche ja direkt noch harmlos. Jetzt setzte sich Erin im Bett auf, ließ den Tag Revue passieren. Drei junge Mädchen hatten Apfelschalen über die Schulter geworfen. Aus der Form, wie die Schalen gefallen waren, wollten sie Anfangsbuchstaben erkennen. Das sollte wohl der neue Partner sein.

      Normalerweise schaute sie immer noch bei ihrem Vater ins Zimmer, bevor sie schlafen ging, wenn sie unter dem Türspalt Licht sah. Der alte Herr hatte sich vollkommen ins Privatleben zurückgezogen. Solange er seine Zigarren rauchen konnte, täglich seine Sausages mit extra scharfem Senf bekam, war er friedlich. Heute war alles still. Erin überließ es ihrem Oberkellner John, die Kasse zu machen und abzuschließen. John war schon viele Jahre bei der Familie und zuverlässig.

      »Morgen ist auch noch ein Tag, ich will jetzt einfach an nichts mehr denken müssen.«

      Sie hatte sich ins Bett fallen lassen, die Nachttischlampe ausgeknipst und sich auf ihre Einschlafseite gerollt. »Sausages gehen aus, die muss ich morgen gleich als Erstes ordern, das darf ich nicht vergessen«, waren neben dem Samhain ihre letzten Gedanken, bevor sie sich dem wohligen Gefühl des Einschlafens hingab.

      Es war noch dunkel, als sie aufwachte. Ihre Zunge fühlte sich pelzig an und sie spürte, dass sie zur Toilette musste. Barfuß tapste sie in Richtung Bad, ohne Licht anzumachen. Schlaftrunken ging sie weiter in den Gastraum, um sich eine Flasche Wasser zu holen. Nur das schwache Licht einer Laterne leuchtete in das Lokal. Erins Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Es roch seltsam.

      Sie wollte gerade einen großen Schluck aus der Wasserflasche nehmen, machte aber einen Satz auf die Seite. Vor ihr stand jemand, den Rücken gekrümmt, das Gesicht nach unten gebeugt. Mit einem erneuten Satz rückwärts schrie sie vor Schreck auf. Was war hier los? Es kostete sie Überwindung, das Licht anzuknipsen. Ein Mann war da – in gebückter Haltung. Das Gesicht lag auf dem Rost.

      Hellwach war Erin nun. Nicht zum ersten Mal beglückwünschte sie sich, dass sie auf einem stationären Telefon beharrt hatte. Wie oft kam es vor, dass sie ihr Mobiltelefon irgendwo hinlegte und es dann nicht gleich fand. In der Gaststube sollte so etwas nicht vorkommen. Man musste immer wieder mal telefonieren, ein Taxi oder den Krankenwagen rufen oder die Garda – so wie jetzt.

      Der Kommissar wirkte trotz der frühen Stunde – drei Uhr – hellwach. »McCarty« hatte er sich kurz vorgestellt, ohne Titel, ohne Schnörkel, nur »Wo ist die Leiche?«

      Innerhalb kürzester Zeit wimmelte es von Menschen in weißen Overalls, die gewichtig Spuren sammelten.

      Erin war fassungslos. Sie identifizierte den Toten als ihren Oberkellner John Walter. Er war mit aller Gewalt auf den heißen Rost gedrückt worden. Längsrillen hatten sich tief in sein Gesicht eingebrannt. Auch die Hände waren schwarz, gerade so, als hätte sich John am Gitterrost festgekrallt. Zu seinen Füßen lag eine Stahlbürste.

      »Wahrscheinlich wollte er den Grill noch sauber machen. Ich habe das nicht mehr geschafft. Ich fasse es nicht. Wer kann so etwas getan haben? Hat es vielleicht mir gegolten?«

      »Wie kommen Sie darauf, Mrs. Sullivan?«

      »Ich habe heute früher Schluss gemacht, weil ich so kaputt war, Samhain hat mich geschafft. Ich habe John gebeten, den Rost zu reinigen und die Kasse abzurechnen. Er war damit auch für das Zusperren des Ladens verantwortlich. Ich mache das sonst normalerweise. Vielleicht wollte jemand die Kasse klauen oder mich …?« Sie sprach den Satz nicht zu Ende.

      McCarty winkte einem jungen Mann. Leise sprach er, sodass Erin nichts verstand.

      Er wandte sich wieder Erin zu: »Das können wir ausschließen. Die Tasche mit den Einnahmen ist gefunden worden. Hm, erzählen Sie mir etwas über Ihren Oberkellner.«

      »Er war sehr zuverlässig. Meine rechte Hand. Er hat bei meinem Vater in der Metzgerei gelernt.«

      »Er wusste also, wie man Ihre berühmten Sausages macht«, fiel McCarty schmunzelnd ein.

      »Stimmt, die meisten Zutaten kannte er, aber alles wusste er auch nicht. Mein Vater war da sehr vorsichtig. Ich bin mir aber sicher, dass John unser Geheimrezept nie verraten würde. Es ist Tradition in unserem Haus, dass die Rezeptur in der Familie bleibt. Und John war so etwas wie ein Familienmitglied für uns.«

      Als der Kommissar die Augenbraue hochzog, fuhr Erin fort.

      »John wurde uns vor Jahrzehnten schon von einer staatlichen Einrichtung empfohlen. Er hat seine Jugend dort verbracht. Seine Eltern waren bei einem Unfall ums Leben gekommen. Aber spielt das eine Rolle?«, fragte sie gereizt.

      »Aber natürlich! Wir müssen so viel wie möglich über das Opfer erfahren. Oft lässt sich daraus ein Motiv ableiten. Erzählen Sie weiter.«

      »Nun, er hat sich gut angestellt, war pünktlich und zuverlässig. Mein Vater war sehr von ihm angetan. Er war ja erst 14 und man konnte ihn leicht lenken. Er wurde so etwas wie sein Ziehsohn, nachdem mein Vater nur Töchter hat.«

      »Höre ich da einen leichten Unterton heraus? Warum arbeitet Mr. Walter nicht mehr in der Metzgerei?«

      »Er wollte mal was anderes machen, kann ich auch verstehen.«

      »Und da hat er den Oberkellner für Sie gemacht. Hat er das gelernt?«

      »Nein, er kann gut mit Zahlen umgehen und hat Charme den Gästen gegenüber. Ich meine ›hatte‹ Charme.« Erin brach ab und schniefte in das Taschentuch, das ihr der Kommissar hinhielt.

      »Ich kann es Ihnen leider nicht ersparen, aber Sie müssten morgen in die Pathologie kommen, um noch einige Formalitäten zu erledigen. Bis dahin wissen wir auch, wie er gestorben ist, denn auf dem Rost ist er sicher nicht zu Tode gekommen. Ihren Vater und ihre Schwester hätte ich auch gerne gesprochen. Richten Sie den beiden doch bitte aus, dass sie ebenfalls morgen ins Kommissariat kommen sollen.«

      Erin nickte. An Schlaf war natürlich nicht mehr zu denken. Sie musste es ihrem Vater sagen, am besten gleich. Der alte Herr schlief sowieso nicht mehr, sie hatte ihn an der oberen Treppe gesehen. Bei dem Lärm, den die Leute von der Spurensicherung gemacht hatten, wäre selbst ein Stein aufgewacht.

      So ging Erin schwer atmend die Treppen hoch, klopfte kurz am Zimmer ihrer Schwester, wartete ein »Herein« erst gar nicht ab und öffnete mit Schwung die Tür.

      »Steh auf, Schwester, und tu nicht so, als wenn du tief schlafen würdest. Du hast alles ganz genau mitbekommen.«

      Ein rot gefärbter Lockenkopf kam unter der Bettdecke hervor. »Das war ja auch nicht zu überhören.«

      »Und du bist kein bisschen neugierig, was vorgefallen ist? Das passt gar nicht zu dir«, sagte Erin spöttisch. »Dein heiß geliebter John lag mit dem Gesicht zuerst auf dem Rost. Das hat verdammt hässlich ausgesehen, das kann ich dir sagen.«

      Ein Wehlaut erklang. »John!«

      »Ja, tu nicht so scheinheilig. John ist tot, mausetot, und jetzt?«

      »Wie kannst du nur so herzlos sein, du eifersüchtige Schlange. Mich hat er geliebt, nicht dich!«

      »Das meinst auch nur du! Jedem Rock hat er hinterhergesehen, auf seine Sausagemasche sind alle reingefallen. ›Ich kenne das Geheimrezept der Sullivan Sausage‹«, äffte Erin ihn nach, »und dann hat er sich mit den Weibern verabredet. Und da, das kannst du mir glauben, haben sie sich bestimmt nicht über unsere Wurst unterhalten. Meine gute Kinderstube verbietet mir zu sagen, was er mit dem Würstchen …«

      »Schweig!«, hörten sie eine herrische Stimme von der Tür her. »Wenn ich gewusst hätte, dass meine beiden Töchter nichts anderes zu tun haben, als sich über John zu zerfetzen, hätte ich schon früher eingegriffen.«


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