Vegane Waffeln. Claudi Feldhaus
habe Zugang zu sauberem Wasser und Bildung … Meine Fresse, Aili! Wir leben doch so halb unseren Traum, wir verdienen Geld mit dem, was wir lieben, auch wenn’s nicht viel ist. Wer hat all das schon? Ich bin glücklich!«
Ich grinste und entgegnete: »Du meinst, mit ’ner gesund funktionierenden Liebesbeziehung würdest du den Zenit überschreiten?«
»Kann sein. Wenn ich noch mehr Glück habe, platze ich.«
Ich lachte, dachte jedoch sofort wieder an Sam. »Aber ich weiß immer noch nicht, was ich nun mit ihm machen soll. Eines ist sicher: Einen Kerl würde er gewiss nicht so erpressen!«
Pami setzte sich wieder, lehnte sich zurück und antwortete: »Einem Kerl hätte er auch keinen Dauerauftrag auf Cupcakes gegeben und legale Steuertricks verraten.«
Samstag, der 3. Oktober. Mit einem großen Korb voller Minimuffins und Flyern bewaffnet sowie mit Familie Crusq im Schlepptau machten wir uns auf den Weg ins Stadtzentrum. Pamis Brüder verschwanden ziemlich schnell in der Menge, die zum Volksfest auf der Straße des 17. Juni pilgerte. Dorthin wollten wir dieses Jahr aber nicht. Weil das Wetter wie so oft am Tag der Deutschen Einheit bombastisch war, breiteten wir auf der Wiese vor dem Bundestag zwei Picknickdecken aus und machten es uns zu sechst bequem. Gut sichtbar für Passanten, stellten wir ein paar von den schwarz-rotgelb verzierten Muffins mit goldenen Zuckerperlen auf ein Tablett. Und immer wenn uns jemand fragte, ob er mal probieren dürfe, reichten wir einen Flyer dazu. Mehrmals wurden wir für diese Werbeaktion gelobt. Ruckzuck war der Korb leer. Pami und ich gaben uns ein High Five für diese gelungene Idee.
»Großartig, Aili!« Auch Lucrecia freute sich.
»Aber das war doch unser beider Plan«, wiegelte ich ab.
»Stimmt nicht, das hast du allein dir einfallen lassen!«, rief Pami sofort.
»Stell dein Licht nicht so untern Scheffel!«, befahl Rhys grinsend und biss von seinem belegten Brot ab.
Ich schüttelte den Kopf und wechselte das Thema. Gegen sechzehn Uhr wurde es so voll, dass die Polizei die Zugänge dichtmachte und nur noch Leute hinausließ. Wir lauschten noch ein wenig den Trommlern, die aber bald von der Bühnenshow am Brandenburger Tor übertönt wurden, und packten dann zusammen. Die Sonne verschwand bald, und die Luft kühlte ab.
»Das waren dieses Jahr die letzten Stunden über zwanzig Grad«, sinnierte Lucrecia traurig.
Ich atmete durch. Den ganzen Tag hatte ich kaum an Sam-Arschkrampe gedacht, und das hatte saumäßig gutgetan. Auf meiner Nase kribbelte gar ein kleiner Sonnenbrand.
Am Abend kehrten wir im »You’re welcome«, einem süßen Bistro in Mitte, ein. Während ich mir meine Dinkelbratlinge schmecken ließ, tauschte sich Pami mit der Besitzerin über Rezepte für vegane Nusskuchen aus. Ich war vom Tag unheimlich müde, aber meine quietschfidele Freundin verwickelte die Inhaberin tatsächlich in ein Verkaufsgespräch. Als sie ihr unsere Karte gab und zusicherte, ihr morgen ein Probeangebot zusammenzustellen, glitzerten meine Augen ebenso stolz wie die ihrer Eltern.
In der Nacht schlief ich wie ein Stein, doch als das Schwarz am Horizont zu Blau wurde, weckte mich ein Geistesblitz: Ich könnte, was das Schlussmachen mit Sam anging, meine Mutter um Rat bitten. Von einem Kerl verlassen zu werden war ihr die größte Schande. Jedoch selbst einen Nicht-Lohnenden, wie sie zu sagen pflegte, in die Wüste zu schicken, das betrachtete sie als Königsdisziplin ihrer jungen Jahre. Wir hatten zwar kein besonders gutes Verhältnis, dennoch sagte mir mein Bauchgefühl, dass es die richtige Idee sei. Verpflichtete sie denn überdies nicht irgendeine Art von Mutterschaftseid dazu, mir mit Rat und Tat zur Seite zu stehen?
Ich wusste, dass sie jeden Morgen um sieben Uhr an der Havel Power Walking machte. Den restlichen Tag geisterte Klaus um sie herum. Ich schälte mich also um halb fünf aus dem Bett und zog mich an. In meiner Müdigkeit vergaß ich, die schäbigen Klamotten zu wählen. Als ich die schmeichelnden Jeans und den schwarzen Rolli anhatte, dachte ich mir, vielleicht sei es sowieso besser, mich schick zu zeigen. Schließlich wollte ich etwas von Bea. Pami brauchte den Wagen später, um mit ihrer Mutter auf den Stoffmarkt zu fahren, deswegen nahm ich die Monatsfahrkarte aus der Schüsselschale. Wir teilten uns das Ticket, sodass es immer bei derjenigen war, die das Auto gerade nicht hatte.
In der morgendlichen Frische lief ich zum S-Bahnhof Springpfuhl. Leider hatte der kleine Backwarenstand »Star Backshop« auf dem Bahnsteig noch geschlossen, andernfalls hätte ich mir einen dieser leckeren Mini-Latte-macchiato genehmigt. Die S 75 Richtung Westkreuz kam als nächste. Ich fuhr bis zur Friedrichstraße, kaufte mir dort fix einen Kaffee bei »Cuccis« und sprang in die nächste S5 nach Spandau. Glücklicherweise schaffte ich es in den N 34, der um diese Zeit immer noch fuhr, und fiel auf einen Sitz über einer Heizung. Meine Füße froren in den dünnen Sneakers, und die Imitatlederjacke über dem dünnen Pulli wärmte keinesfalls ausreichend. Lucrecia behielt recht: Merklich hielt die feuchte Kälte Einzug in Berlin, auch wenn die Tage zumeist noch sehr sonnig waren. Bald würde das bitterkalte Grau die Stadt erobert haben und sie für die gefühlten nächsten sieben Monate völlig beherrschen. Vielleicht haben wir ja mit dem November Glück, hoffte ich und sah mir auf der Fahrt zur Haveldüne die bunten Blätter der Bäume an. Ein wenig munterten sie mich auf.
Kurz vor meiner Ankunft schrieb ich meiner Mutter eine Nachricht: Guten Morgen! Hättest Du Zeit für ein Mutter-Tochter-Gespräch? Mir war der hochtrabende Stil bewusst, aber da Bea viel auf den äußeren Schein gab, würde ihr das gefallen. Zwei Minuten später wurde mir angezeigt, dass sie meine Worte gelesen hatte. Erst als ich kurz vor drei viertel sieben an der Haveldüne ausstieg, wurde angezeigt, dass sie schrieb. Und sie schrieb … und schrieb … und schrieb … Ich war schon bis zum Höhenweg gelaufen, als endlich ihre offenkundig fünfmal umformulierte Antwort aufpoppte. Oh, das klingt aufregend … Wann möchtest Du bei uns vorbeikommen?
Ich versteckte mich an der nächsten Ecke, denn ich vernahm bereits ihre Schritte. Dann wackelte sie auch schon mit angespannten Beinen und zusammengepressten Pobacken an mir vorüber. Ob sie nur einen Hauch von Ahnung hatte, wie albern sie dabei aussah? Das Beste war ihr Gesicht: hoch konzentriert, als höre sie die Schreie der Kalorien, die sie verbrannte. Sie trug ein superenges Set aus glänzendem dunkelrosa Stoff, das zwar alles außer ihrem Kopf bedeckte, jedoch wenig der Fantasie überließ. Als ich sie in den Leggins von hinten sah, musste ich neidvoll zugeben: Die Frau war in Form!
»Guten Morgen, Bea!«, sagte ich.
Die schrie auf und drehte sich um. »Um Himmels willen, Kind, du hast mich zu Tode erschreckt!«
»Sorry, ich dachte, du stehst auf so einen Auftritt.«
»Bist du nur wegen mir hergekommen?«, fragte sie daraufhin und musterte mich. Ihr schien die Jeans aufzufallen und dass ich mich im Vergleich zu unserer letzten Begegnung zurechtgemacht hatte.
»Wegen wem denn sonst? Verzeih, dass ich dich so überrumpelt habe, Bea, aber ich wollte gerne mit dir alleine reden. Ist das okay?«
In ihren Augen glomm etwas auf. Ja, sie schien gerührt von meiner Aktion. »Na, dann komm, Kind, ich laufe auch langsam für dich!«
Ich steckte meine Hände in die Taschen und ging neben ihr her, während sie sich wieder mit komischen Verrenkungen vorwärts bewegte.
»Bea, du weißt schon, dass man Power Walking auch ganz normal betreiben kann? Was du hier abziehst, erinnert an die olympische Disziplin Gehen! Und du siehst aus wie eine kokettierende Ente.«
»Dann ist mein Ziel erreicht!«, gab sie mit seltsam spitzer Stimme zurück.
Irgendetwas hatte ich mit der Bemerkung wohl angestoßen.
»Du bist doch sicher nicht den weiten Weg gekommen, um über meine Walkingtechnik zu diskutieren«, sagte sie nach einer Weile.
Ich musste mir nicht nur eingestehen, dass ich nach einem Anfang suchte, sondern auch, dass mich ihre Geschwindigkeit aus der Puste brachte. »Kannst du bitte normal laufen? Ich kann mich bei dem Anblick nicht konzentrieren!«
»Ach!«, stieß sie aus und schüttelte